Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die große Ernüchteru­ng

- VON NILS BASTEK

Nach dem erschrecke­nden Auftritt gegen Spanien stehen die deutschen Handballer vor einem entscheide­nden Spiel gegen Lettland.

TRONDHEIM (dpa) Uwe Gensheimer fand keine Erklärung für seine bisher schwache Handball-EM. Stattdesse­n stellte sich Bundestrai­ner Christian Prokop mit einer energische­n Ansage hinter seinen Kapitän. Während sich auch am Sonntag im Teamhotel in Trondheim aus Gensheimer­s Gesicht kaum etwas ablesen ließ, sprach Prokop auf dem Stuhl neben ihm mit klarer Stimme. „Uwe hat enorme Qualitäten, dass ich auf Deutsch gesagt, verzeihen Sie mir den Begriff, wirklich sage Scheiß‘ drauf!“, betonte der 41-Jährige. Im entscheide­nden Vorrundens­piel am Montag (18.15 Uhr/ZDF) gegen Lettland solle Gensheimer dann die Situation „richtig nutzen.“Gensheimer registrier­te die Worte nahezu ohne Regung.

Einige Male lächelte er etwas verhalten. Ansonsten sah man dem 33-Jährigen wie schon nach dem ernüchtern­den 26:33 gegen Spanien kaum etwas an. Keinen Ärger, keine Wut, am ehesten vielleicht noch Enttäuschu­ng. Seine ausdrucksl­ose Miene stand sinnbildli­ch für die über weite Strecken erschrecke­nd schwache Leistung der DHB-Auswahl. Sie erzählte aber auch viel über den bisherigen Turnierver­lauf für den 33-Jährigen selbst. Ob er wisse, woran seine schwachen Leistungen bisher liegen, wurde er am Sonntag gefragt. Die Antwort: „Nee.“

Um ihre Ziele bei dem Turnier in Norwegen, Österreich und Schweden zu erreichen, braucht die DHB-Auswahl ihren Kapitän in TopForm. „Wir brauchen Uwe in einer anderen Rolle. Uwe muss uns jetzt auch helfen. Wir müssen ihm helfen, dass er uns auch helfen kann, aber dazu muss er zu sich finden“, sagte DHB-Vizepräsid­ent Bob Hanning. Die bereits ausgeschie­denen Letten dürften zumindest nicht der schwierigs­te Gegner sein, damit auch Gensheimer wieder zu seiner unbestritt­enen Weltklasse zurückfind­et. Mit einem Sieg wäre das DHB-Team sicher in der Hauptrunde. Um aber das angepeilte Halbfinale zu erreichen, müssen Gensheimer und Co. sich deutlich steigern.

Prokop zweifelt nicht an seinem Linksaußen. „Die Gegner haben großen Respekt vor ihm, wir wissen, was wir an ihm haben und das ist wichtig, reinzubrin­gen“, sagte er. Gleichzeit­ig forderte der Bundestrai­ner auch andere Spieler auf, anders als beim desolaten Auftritt gegen Spanien Verantwort­ung zu übernehmen. Auch die zuletzt ebenfalls enttäusche­nden Torhüter Andreas Wolff und Johannes Bitter nahm er in die Pflicht. Zudem brauche sein Team im Rückraum um die ebenfalls kriselnden Paul Drux, Fabian Böhm und Kai Häfner mehr Führung. Führungsqu­alität vermisste

Hanning gegen Spanien komplett.

„Ein Team ohne Leadership funktionie­rt halt auch nicht. Es ist egal, wie es ist, du brauchst eine Führung in dem System“, sagte der 51-Jährige. Es habe beim EM-Spiel gegen Spanien niemanden im Kader gegeben, „der uns dann durch diese Krisen führt“. Gensheimer schaffte das möglicherw­eise deswegen nicht, weil er derzeit vielleicht zu sehr mit sich selbst beschäftig­t ist. Außerdem setze er sich „irgendwo unter Druck, weil er die Mannschaft erfolgreic­h führen möchte“, sagte Prokop. Mit genau diesem Druck kann der Linksaußen derzeit offenbar nicht umgehen. Eine Stütze der ohnehin verunsiche­rten Mannschaft ist er in dieser Verfassung nicht.

„Natürlich möchte ich vorangehen, möchte meine Leistung zeigen. Natürlich bin ich bisher nicht zufrieden“, sagte Gensheimer. Gegen die Spanier hatte Prokop seinen Anführer im zweiten Durchgang sogar gar nicht mehr spielen lassen. Es ist auch nicht das erste Mal, dass der nicht nur wegen seines außergewöh­nlichen Handgelenk­s zu überragend­en Leistungen fähige Gensheimer bei einem großen Event Rätsel aufgibt. Auch bei der enttäusche­nden EM 2018 in Kroatien schien er mit seiner Führungsro­lle spätestens ab der Hauptrunde überforder­t. Dabei hat er während seiner Karriere schon oft bewiesen, wozu er in der Lage ist. Zudem ist die Europameis­terschaft noch vergleichw­eise jung.

Er ist bei weitem nicht der einzige deutsche Spieler, der gegen die Spanier enttäuscht­e, aber als Kapitän wird er nun ganz besonders gefordert sein. Vielleicht klappt es dann doch noch mit dem Erreichen des Ziels, das ihn schon lange antreibt: mit der Nationalma­nnschaft nach Olympia-Bronze 2016 mal etwas noch Größeres zu gewinnen.

 ?? FOTO: VEGARD WIVESTAD GROTT/IMAGO IMAGES ?? Fassungslo­s: Bundestrai­ner Christian Prokop reagiert auf den Auftritt der deutschen Handballer gegen Spanien.
FOTO: VEGARD WIVESTAD GROTT/IMAGO IMAGES Fassungslo­s: Bundestrai­ner Christian Prokop reagiert auf den Auftritt der deutschen Handballer gegen Spanien.
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