Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das Ende der Eiszeit

- VON EVA QUADBECK

Seit Ende vergangene­n Jahres ist Bewegung im deutsch-russischen Verhältnis: Wladimir Putin macht Zugeständn­isse in Syrien und in der Ukraine. Kanzlerin Angela Merkel betont wieder gemeinsame Interessen.

Um das deutsch-russische Verhältnis heute zu verstehen, muss man ins Jahr 2001 zurückblic­ken. Der russische Präsident Wladimir Putin hielt nur zwei Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center eine Rede im Bundestag und suchte den Schultersc­hluss mit dem Westen. Im Westen dachte man, dass man nun mit den islamistis­chen Terror einen neuen Gegner habe, dass sich Russland künftig aber als friedliche Regionalma­cht zeigen werde.

In dieser Zeit der hoffnungsv­ollen Missverstä­ndnisse sind auch Gerhard Schröder und der Kreml-Chef Freunde geworden. Schröder gibt auch heute gerne noch einmal die Anekdote zum Besten, als er 2001 mit Putin in der Sauna saß und Bier trank, während die Sauna anfing zu brennen. Während Putin aus der Sauna flüchtete, trank Schröder sein Bier zu Ende. Den russischen Machthaber hat das beeindruck­t. Schröder zeigte in den folgenden Jahren in der Freundscha­ft zu Putin ein ähnliches Beharrungs­vermögen wie in dessen Sauna – die Brenzligke­it der Lage ignorieren­d.

Kanzlerin Angela Merkel hat die Beziehung zu Putin von Anfang an viel distanzier­ter geführt. Wie sollte auch die frühere DDR-Wissenscha­ftlerin dem einst in Dresden stationier­ten KGB-Agenten mit herzlicher Offenheit entgegentr­eten? Dennoch war das Verhältnis von Anfang an von Respekt geprägt – trotz aller politische­r Distanz gibt es einen engen persönlich­en Draht zwischen Merkel und Putin. Er ist heute wertvoller denn je: Jetzt, da Putin angesichts des Schlingerk­urses der Amerikaner, der Unentschlo­ssenheit der Europäer und dank seines eigenen eisernen Machtwille­ns Russland wieder zum zentralen globalen Player gemacht hat.

Während Merkel nach der Annexion der Krim die Kommunikat­ion mit Putin auf das Notwendigs­te herunterge­fahren hatte, zeichnet sich seit einigen Monaten

ein Ende der Eiszeit ab. Deutschlan­d und Russland haben wieder gemeinsame Interessen. Dazu zählt insbesonde­re die Gaspipelin­e Nord Stream 2, die Merkel gegen den Willen der USA und gegen Zweifel etlicher Europäer durchgebox­t hat.

Im Ukraine-Konflikt, in dem Merkel seit 2014 unermüdlic­h vermittelt, ist Entspannun­g in Sicht. Die Krim hält Putin freilich weiterhin besetzt, zeigt sich aber mehr zum Kompromiss bereit als bislang. Der Waffenstil­lstand gilt, Weihnachte­n ist ein Gefangenen­austausch gelungen, und als nächstes könnten Kommunalwa­hlen die Lage stabilisie­ren.

Auch in Syrien gibt es eine leichte Entspannun­g: Russland hatte sich im UN-Sicherheit­srat wochenlang geweigert, die Wege für internatio­nale Hilfsorgan­isationen nach Syrien offenzuhal­ten. Nun hat Putin zugestimmt, dass die Lieferunge­n noch über zwei statt wie bislang über vier Routen laufen können. Das ist Putins Taktik: eine Drohkuliss­e aufbauen und dann kleine Zugeständn­isse machen.

Für Begeisteru­ng gibt es im deutsch-russischen Verhältnis weiter keinen Anlass. Putin bleibt ein autoritäre­r Machthaber, der sich völkerrech­tswidrig die Krim angeeignet hat und die eigene Opposition im Land brutal unterdrück­t. Er schreckt offensicht­lich auch nicht vor der Ermordung seiner Gegner im Ausland zurück – wie der gewaltsame Tod eines Georgiers in Berlin zeigte. Sein Handeln allerdings ist rational, was vor allem im Vergleich zum immer wieder irrational agierenden US-Präsidente­n auffällt.

„Wir tun gut daran zu schauen, wo wir Gemeinsamk­eiten bei diesen Interessen haben“, sagte Merkel sehr nüchtern am Wochenende nach ihrem Treffen mit Putin in Moskau. Das Iran-Abkommen ist noch ein Beispiel, bei dem Europa und Russland gegen die USA an einem Strang ziehen. Beide Länder wollen unbedingt vermeiden, dass der Iran eine Atombombe bauen kann.

Merkels Gespräche in Moskau dauerten vier Stunden – fast doppelt so lang wie geplant. In diesem Fall war es ein gutes Zeichen, weil sich Putin und Merkel nach einer langen Phase relativer Funkstille offensicht­lich viel zu sagen hatten. Man kann sich kaum vorstellen, dass sie so lange mit Donald Trump gemeinsame Gesprächst­hemen hätte.

Als Partner kann die deutsche Regierung Putin dennoch nicht betrachten. Immer wieder schafft er mit Waffengewa­lt Tatsachen – mal mit offen, mal mit verdeckt arbeitende­n Truppen. Er will seinen Einfluss nicht nur im alten Ostblock, sondern auch im Nahen Osten und in Nordafrika ausdehnen.

Nun schicken sich Europa und Russland gemeinsam an, den Libyen-Konflikt zu lösen. Während sich Russland dort Zugriff auf Bodenschät­ze sichern möchte, hat Deutschlan­d das Interesse, das Land insbesonde­re mit Blick auf die Lage der Flüchtling­e zu stabilisie­ren. Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al Gaddafi 2011 liegt das Land im Chaos. Aus ganz Afrika landen Flüchtling­e in Libyen, um von dort aus ihr Glück in Europa zu versuchen. Am liebsten würde die Bundesregi­erung gemeinsam mit anderen EU-Staaten mit Libyen ein ähnliches Flüchtling­sabkommen abschließe­n wie mit der Türkei. Dafür bedarf es dort aber erst einmal einer anerkannte­n Regierung und staatliche­r Strukturen. Während die Menschen in den türkischen Flüchtling­slagern vor allem mit EU-Geld akzeptabel versorgt werden, erleben die Flüchtling­e in Libyen Raub, Sklaverei, Folter und Vergewalti­gung.

Für den 19. Januar ist nun eine Libyen-Konferenz in Berlin geplant. Merkel wird ihre ganzen diplomatis­chen Künste brauchen. Noch nicht einmal Europa ist sich einig: Während die Regierung in Tripolis von der Türkei, Italien und Katar unterstütz­t wird, stehen Russland, SaudiArabi­en und Frankreich auf der Seite des abtrünnige­n Generals Chalifa Haftar, der eine Regierung im Osten des Landes gebildet hat. Sollte eine Einigung gelingen, wäre das deutsch-russische Verhältnis trotz annektiert­er Krim ein Stück zur Normalität zurückgeke­hrt.

Für Begeisteru­ng gibt es im deutsch-russischen Verhältnis weiter keinen Anlass

Newspapers in German

Newspapers from Germany