Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Italiens Autobahnen zerbröseln
Brücken und Tunnels sind schlecht gewartet – und offenbar ist auch kriminelle Energie im Spiel.
ROM Die jüngste Meldung stammt vom Samstag. Fünf Autos waren morgens in einem Tunnel auf der ehemaligen Staatsstraße 671 in der Provinz Bergamo, Lombardei, unterwegs. Plötzlich lösten sich Betonteile von der Decke. Ein Autofahrer konnte nicht mehr bremsen und brauste in die Trümmer, sein Airbag öffnete sich. Zwei weitere Fahrzeuge kollidierten. Verletzte gab es nicht.
Ein unbedeutender Unfall in der italienischen Provinz? Der Zustand der italienischen Straßen und Autobahnen ist längst ein Politikum. Zerstörte Fahrbahnen, Erdrutsche, herabstürzende Teile, mangelnde Instandhaltung, gar Betrug – Autofahren in Italien war schon immer ein Abenteuer. Jetzt wird auch die Infrastruktur zum Risiko.
Die Liste der Schäden allein aus jüngster Zeit ist lang. Auf der Autobahn A 6 in Ligurien stürzte am 8. Januar Putz von der Decke. Niemand kam zu Schaden. Doch die Strecke ist berüchtigt, seit nur sechs Wochen zuvor dort ein Erdrutsch einen 30 Meter langen Viadukt wegschwemmte. Ein Autofahrer, der mit seinem Fahrzeug kurz vor dem Loch zum Stehen kam, warnte mitten auf der Fahrbahn die heranrasenden Fahrzeuge. Kurz darauf tat sich auf der A 21 im Piemont ein zehn Meter großes Erdloch auf. Der Asphalt war einfach weggespült worden.
2,5 Tonnen Putz und Beton stürzten am 30. Dezember von der Decke eines Tunnels auf der A26 bei Genua. Staatsanwalt Francesco Cozzi sagte: „Das hätte ein Blutbad geben können.“Cozzi ist der Staatsanwalt, der wegen des Einsturzes eines Teils der Morandi-Brücke in Genua im August 2018 ermittelt. 43 Menschen starben damals.
Seither stehen Italiens Straßen im Fokus. Vor allem Norditalien und insbesondere Ligurien sind betroffen. Ligurien wird bei starken Regenfällen immer wieder von Erdrutschen heimgesucht. Sicheres Reisen auf Liguriens Autobahnen sei „wie ein Hauptgewinn im Lotto“, spottete die Zeitschrift „Panorama“.
Nach einem Bericht des italienischen Verkehrsministeriums, dessen Ergebnisse die Zeitung „La Repubblica“vergangene Woche veröffentlichte, entsprechen etwa 200 Autobahntunnel im Land nicht den Sicherheitsvorschriften. Dabei gehe es etwa um fehlende Standstreifen, Fluchtwege oder Brandmelder. Verkehrsministerin Paola De Micheli bestätigte zwar den Bericht, gab aber Entwarnung: „Es gibt keine gefährdeten Tunnels, es handelt sich um Maßnahmen, um verschiedene Gesetzesvorschriften zu erfüllen.“
Für 105 der vom Verkehrsministerium genannten Strecken ist das Unternehmen Autostrade per l‘Italia zuständig, das seit dem Teileinsturz der Morandi-Brücke stark unter Druck steht. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die in Rom inzwischen zusammen mit den Sozialdemokraten regiert, fordert, dem größten Autobahnbetreiber Italiens, der von der Unternehmerfamilie Benetton kontrolliert wird, die Konzession zu entziehen. Wegen drohender Schadenersatzzahlungen wurde das bisher nicht umgesetzt. Infolge der Schäden darf Autostrade per l‘Italia aber im ersten Halbjahr die Autobahngebühren nicht wie üblich erhöhen. Laut Nachrichtenagentur Ansa erwirtschaftete das Unternehmen zwischen 2013 und 2017 einen Gewinn von 4,05 Milliarden Euro. Für die Instandhaltung wurden im selben Zeitraum nur 2,1 Milliarden Euro eingesetzt.
Im September kam zudem heraus, dass Ingenieure von Autostrade per l‘Italia Berichte über Statikuntersuchungen in mindestens zwei Fällen gefälscht hatten. Ein Viadukt auf der A26 sowie eine Brücke auf der A16 (Neapel-Bari) waren betroffen. Der Staatsanwalt ermittelt. Untersuchungsrichter ließen zudem mehrere Autobahnbrücken auf der A14 (Bologna-Bari) sowie der A 16 beschlagnahmen, weil diese nicht den Sicherheitsvorschriften entsprachen.