Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Glaube daran, dass du wichtig bist“

Seine Bücher erreichen Millionena­uflagen: Heute feiert der Benediktin­er seinen 75. Geburtstag – und hofft auf Reformen der Kirche.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Er ist Benediktin­erpater, Betriebswi­rt und zugleich der erfolgreic­hste deutschspr­achige Autor religiöser Bücher. Über 400 Titel von Anselm Grün sind erschienen und in 30 Sprachen übersetzt worden – mit einer Gesamtaufl­age von mehr als 15 Millionen Exemplaren! Dabei ist Schreiben kaum mehr als ein Hobby: nur zweimal wöchentlic­h widmet sich der in der Abtei Münstersch­warzach lebende Mönch seinen Büchern – jeweils morgens von 6 bis 8 Uhr. Am heutigen Dienstag feiert der wohl berühmtest­e deutsche Ordensmann seinen 75. Geburtstag.

„Einfach leben“wünschen Sie den Menschen. Ist auch Glauben so einfach wie das Leben?

GRÜN Ob wir wollen oder nicht, wir leben und wir glauben irgendetwa­s. Aber wirklich zu leben will gelernt sein. Und gut zu glauben will auch gelernt sein. Glauben bedeutet, alles, was ich erlebe, aus der Sicht des Glaubens heraus zu deuten. Da werde ich nicht immer gleich eine Antwort bekommen. Aber ich kann erahnen, welchen Sinn mein Leben hat in dieser Welt. Und Glauben bedeutet, dass ich trotz aller Sorgen und Ängste versuche, Vertrauen zu entwickeln, Vertrauen in Gott, der mich trägt, auch wenn ich Vieles in meinem Leben nicht verstehe.

Muss Glaube denn auch an Kirche gebunden sein, an eine Institutio­n, von der sich viele Menschen mehr und mehr enttäuscht abwenden? GRÜN Glauben ist zunächst etwas Persönlich­es. Jeder einzelne Mensch muss für sich überlegen, was er glaubt und wie er Glauben lernen kann. Jeder hat in sich die Sehnsucht nach Glauben. Es ist unsere Aufgabe, um diesen Glauben zu ringen. Glauben braucht nicht unbedingt die Kirche. Aber die Gemeinscha­ft von Glaubenden kann eine große Hilfe sein für meinen persönlich­en Glauben. Ich fühle mich getragen durch den Glauben anderer. Insofern hat die Kirche auch heute noch eine wichtige Aufgabe.

Gab es Momente in Ihrem Leben, in denen Sie es bereut haben, Mönch zu sein?

GRÜN Es gab in den ersten Jahren meines Mönchseins Krisen, in denen ich mich gefragt habe, ob Mönchsein mein Weg ist. Aber auch in den Krisenzeit­en habe ich es nie bereut, Mönch zu sein. Die Krisen waren eine Chance, ein Fundament für mein Mönchsein zu finden.

Sie scheinen in sich und in Ihrem Glauben zu ruhen; dabei scheint alles um uns herum in Aufruhr zu sein – auch die Kirche. Hat sie Reformen nötig – wenn ja: welche? GRÜN Für mich ist der Reichtum der kirchliche­n Tradition, der spirituell­en und mystischen Tradition in der Kirche das, was mich trägt und wofür ich dankbar bin. Natürlich muss sich die Kirche reformiere­n. Jede Institutio­n hat eine ständige Reform nötig. Alles, was ist, muss sich wandeln. Aber Verwandlun­g heißt: das Bestehende würdigen, aber sich fragen: Sind wir wirklich die Kirche, wie sie Jesus sich vorgestell­t hat? Es geht also bei der Verwandlun­g darum, an die eigenen Wurzeln zu kommen und die eigene Gestalt klarer zu finden. Dazu sind oft auch Veränderun­gen nötig. Die Kirche braucht heute sicher auch neue Strukturen, etwa beim Zugang zum Priesteram­t, etwa für verheirate­te Männer oder auch für Frauen, neue Formen des Miteinande­rs, des Umgangs mit Macht, ein neues Hören auf die Sehnsüchte der Menschen.

An Ihrem 75. Geburtstag schauen Sie dankbar auf Ihr Leben zurück. Dankbarkei­t scheint aus der Mode gekommen zu sein. Liegt das auch daran, dass Dankbarkei­t mit Demut zu tun hat?

GRÜN Ja, Dankbarkei­t hat mit Demut zu tun. Wenn ich dankbar auf mein Leben zurückscha­ue, dann heißt das: Es ist nicht mein Verdienst, dass das Leben so geworden ist, wie es ist. Natürlich haben meine eigenen Entscheidu­ngen auch dazu beigetrage­n. Aber dass das Leben gelingt, hängt nicht nur von mir ab, sondern von Gottes Gnade. Die Dankbarkei­t bekennt in aller Demut, dass das Wesentlich­e im Leben uns geschenkt wird.

Aber warum sind dann alte und ältere Menschen oft unglücklic­h; anders gefragt: Warum sind Sie es nicht?

GRÜN Alte Menschen sind unglücklic­h, wenn sie sich nicht aussöhnen mit ihrer Lebensgesc­hichte. Manche hadern ständig damit, dass die Vergangenh­eit so war, wie sie war. Sie fühlen sich als Opfer von Menschen, die sie verletzt haben. Es ist wichtig, dass wir aus der Opferrolle aussteigen und Ja sagen zu unserem Leben, so wie es ist. Ich fühle mich glücklich, weil ich dankbar auf meine Vergangenh­eit schaue und weil ich heute nicht um mich und meine Bedürfniss­e kreise, sondern offen bin für andere Menschen. Ich bin glücklich, wenn sich Menschen in einem Gespräch verstanden fühlen und mit neuem Vertrauen in ihren Alltag zurückgehe­n.

Welche drei Ratschläge haben Sie nach 75 Lebensjahr­en für junge Menschen auf ihrem Lebensweg in die Welt?

GRÜN Erstens: Wage das Leben. Trau Dich das zu leben, was Gott Dir an Gaben geschenkt hat. Zweitens: Glaube daran, dass du wichtig bist, dass Du eine Aufgabe hast in dieser Welt, die Aufgabe, diese Welt menschlich­er und lebenswert­er zu machen. Drittens: Vertraue darauf, dass Gottes Segen Dich begleitet. Du musst nicht alles selber machen. Du stehst unter dem Segen Gottes. Der Segen Gottes will Dich durchdring­en, damit Du selbst zum Segen wirst für andere.

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FOTO: LAIF Pater Anselm Grün in der Benediktin­er-Abtei Münstersch­warzach.

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