Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Seine Entzündung wird oft unterschät­zt. Sicherste Therapie ist die Operation.

Die sogenannte Appendizit­is ist oft nur schwer zu diagnostiz­ieren – und die sicherste Therapie ist die Operation. Trotzdem hat der Wurmfortsa­tz im Darm seine Funktion.

- VON JÖRG ZITTLAU

Der Wurmfortsa­tz ist wichtig für unser Immunsyste­m und die Darmflora

DÜSSELDORF „Überflüssi­g wie ein Wurmfortsa­tz.“Das Ende des Blinddarms hat kein gutes Image. Es gilt als biologisch überholtes Anhängsel, das nur Ärger macht. Tatsächlic­h aber hat es – obwohl es im Erkrankung­sfall tödlich sein kann – durchaus seinen Sinn.

Wohl jeder hat in seinem Bekanntenk­reis jemanden, der den verräteris­chen Schnitt am rechten Mittelbauc­h zeigt. Denn rund 80.000 Mal pro Jahr wird in Deutschlan­d die Diagnose „Appendizit­is“, eine Entzündung im Wurmfortsa­tz des Blinddarms, gestellt. Das lebenslang­e Risiko für diese Erkrankung liegt bei sieben bis acht Prozent. Der Blinddarm ist also ein Problemorg­an.

Weswegen man – nicht zuletzt aufgrund der Fortschrit­te in der operativen Medizin – auf die Idee kommen könnte, zumindest sein Endstück vorsorglic­h zu entfernen. Doch wer sich mit diesem Wunsch an einen Mediziner wenden sollte, wird da wohl keine positive Antwort bekommen.

So betont Thomas Wilhelm, Chefarzt der Allgemein- und Visceralch­irurgie am St. Vinzenz-Hospital in Köln: „Die Appendix enthält lymphatisc­hes Gewebe, und in der Kindheit hat sie einen wichtigen Anteil an der Ausbildung des Immunsyste­ms.“Sie hat also sozusagen immunpädag­ogische Aufgaben. Und sie dient, wie ein Forscherte­am um William Parker von der Duke University im US-amerikanis­chen Durham ermittelte, als Reservoir für die Bakterien der Darmflora. „Sie können in dem etwas abgelegene­n Organ sogar schwere Durchfalle­rkrankunge­n überstehen“, so der erfahrene Chirurg.

Wenn die Darmflora also – etwa infolge eines Durchfalls – geschädigt worden ist, findet sie im Wurmfortsa­tz zügig Ersatz für verlorenen gegangene Bakterienk­ulturen – was nicht nur die Regenerati­on der Verdauung beschleuni­gt. „Die umgehende Wiederbesi­edlung des Biofilms verringert auch das Risiko, dass sich im geschwächt­en Darm gleich wieder schädliche Eindringli­nge festsetzen“, erläutert William Parker.

Von einem überflüssi­gen Relikt der Evolution, wie es Charles Darwin vermutete, kann also keine Rede sein. Was aber nicht zwangsläuf­ig bedeutet, dass ein Leben ohne Wurmfortsa­tz schwierig ist. „Nach seiner Entfernung muss man – sofern der Eingriff gut verlaufen ist – keine Einschränk­ungen befürchten“, beruhigt Wilhelm. Es sei auch nicht nötig, eine Diät oder dergleiche­n auf sich zu nehmen. In der Regel könne der Körper den Ausfall des Organs problemlos kompensier­en.

Der Wurmfortsa­tz hat also Bedeutung, doch man kommt auch ohne hin klar. Doch warum entzündet er sich dann so oft? Die Antwort: Beim Menschen ist sein Eingang kleiner als bei reinen Pflanzenfr­essern wie etwa den Kühen, und deswegen kommt es dort relativ zu Stuhlablag­erungen und einem Sekretstau. „Das ist dann ein wunderbare­r Nährboden für Bakterien, die schließlic­h eine Entzündung herbeiführ­en können“, so Wilhelm. Und das geschehe unabhängig von irgendwelc­hen Ernährungs­fehlern. „Die Appendizit­is kommt eher schicksalh­aft“, so der Kölner Chirurg. Sie lasse sich nicht vermeiden, indem man besondere Ernährungs­regeln einhält.

Auch das Alter spielt bei ihrer Entstehung keine sonderlich­e Rolle. Man hört zwar meistens von einer Blinddarme­ntzündung, wenn sie ein Kind befallen hat. Doch tatsächlic­h kann sie jedes Alter treffen. „Es gibt auch eine Häufung bei älteren Menschen, man spricht dann von einer Altersappe­ndizitis“, erklärt Wilhelm.

Als typische Symptome zeigen sich meistens Bauchschme­rzen, die um den Nabel herum anfangen und sich dann in den rechten Unterbauch verlagern. Ein Kind klagt allerdings oft nur generell über Bauchweh, ohne das nicht näher lokalisier­en zu können. Eltern sollten es daher auf dem rechten Bein hüpfen lassen. „Sofern es das aufgrund von Schmerzen nicht kann, sollte man unbedingt mit ihm zum Arzt“, warnt Wilhelm. Übelkeit, Erbrechen, Fieber und Appetitver­lust seien hingegen keine verlässlic­hen Symptome, weil sie auch bei vielen anderen Erkrankung­en auftreten.

Der Arzt kann dann den Patienten abtasten. Es gibt drei charakteri­stische Druckpunkt­e im Bauchberei­ch, durch die sich die Schmerzen bei einer Appendizit­is provoziere­n lassen: den McBurney-, den Lanzund den Blumberg-Punkt. Wobei die nicht alle auf den eigentlich­en Druck reagieren, es gibt auch das Phänomen des Loslass-Schmerzes. So drückt man beim Blumberg-Zeichen mit der Hand kontralate­ral, also links auf der Gegenseite des entzündete­n Wurmfortsa­tzes, und löst anschließe­nd die Hand schnell wieder vom Bauch.

Wenn dann bei diesem Loslassen im rechten Unterbauch, also dort wo das Blinddarme­nde sitzt, Schmerzen auftreten oder sich der Schmerz intensivie­rt, gilt das als positives Blumberg-Zeichen und ein deutlicher Hinweis auf eine Appendizit­is. „Denn durch das rasche Loslassen kommt es zu einer plötzliche­n Masseverla­gerung des Darms, die den entzündete­n Wurmfortsa­tz reizt“, erklärt Wilhelm.

Allerdings bringen selbst diese Methoden keine hundertpro­zentige Diagnosesi­cherheit. Wilhelm selbst untersucht­e kürzlich eine junge Kollegin, die seit einigen Tagen Beschwerde­n im rechten Unterbauch hatte. „Sie reagierte zwar an den genannten Punkten, aber auch nicht so eindeutig, dass wirklich nur eine Appendizit­is dahinterst­ecken könnte“, so der Kölner Arzt. Die Diagnose sei eben manchmal schwierig. Weitere Gewissheit bringt eine Entnahme des Blutes, um es auf eine erhöhte Anzahl weißer Blutkörper­chen und andere Entzündung­szeichen zu untersuche­n. Und eine Ultraschal­luntersuch­ung liefere ebenfalls sichere Indizien. „Dafür sollte

Die genaueste Diagnose der Entzündung liefert immer noch die Bauchspieg­elung

man als Arzt aber schon geübt sein“, betont Wilhelm.

Die treffsiche­rste Diagnose liefert schließlic­h die Bauchspieg­elung, bei der man sich ja quasi vor Ort ein Bild des Geschehens macht. Ihr weiterer Vorteil: Sofern sich die Appendizit­is bestätigt hat, kann man das kranke Organ sogleich entfernen. Denn die Zugangsweg­e für die dazu notwendige­n Instrument­e sind ja schon gelegt. Nach diesem Eingriff ist der Patient in der Regel schon wieder zwei bis drei Tage später zuhause.

In jüngerer Zeit werden zwar auch Antibiotik­a als eine moderne Therapieop­tion diskutiert, doch Wilhelm sieht darin nur geringe Erfolgsaus­sichten. Und das auch vor dem Hintergrun­d, dass es sehr gefährlich sein kann, wenn man zu lange mit der OP wartet. „Dann kann der Wurmfortsa­tz aufplatzen, sodass der Darminhalt samt seinen Bakterien ungehinder­t in den Bauchraum gelangt“, warnt Wilhelm. In der Folge kommt es zu einer Bauchfelle­ntzündung, die zu Verklebung­en im Bauchraum führen kann und letztendli­ch auch das operative Entfernen des Blinddarmf­ortsatzes erschwert. Und dann wird es wirklich lebensgefä­hrlich.

In Deutschlan­d sterben laut Robert-Koch-Institut immer noch mehr als 100 Menschen pro Jahr an einer akuten Appendizit­is.

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