Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Im Zweifel für die Freiheit

GASTBEITRA­G VON SABINE LEUTHEUSSE­R-SCHNARRENB­ERGER Die Anonymität im Internet schützt Bürger, die gegen Diktatoren demonstrie­ren wollen. Gleichzeit­ig schützt sie aber auch diejenigen, die Hass und Hetze verbreiten.

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Das vergangene Jahr war das Jahr weltweiter Proteste. In Hong Kong, Ecuador, Sudan und Irak demonstrie­rten Tausende gegen Autokraten und Diktatoren. Heute gehen die Menschen in Iran für mehr Freiheit in einem autoritäre­n Regime auf die Straße. Wie schon früher bei politische­n Bewegungen zu beobachten war, verabreden sich die opposition­ellen Bürgerinne­n und Bürger vornehmlic­h über die sozialen Netzwerke Facebook, Instagram und Twitter – manchmal spontan, oft einhergehe­nd mit langfristi­gen Vorbereitu­ngen.

Die Pläne, Aufrufe und Kundgebung­en werden von mutigen Menschen unter Einsatz ihrer Freiheit und ihres Lebens organisier­t und veröffentl­icht. Als Opposition­eller lebt es sich in vielen Staaten dieser Welt gefährlich, vor allem dann, wenn man sein Recht auf Freiheit und Menschenre­chte offen einfordert. Ein großer Vorteil, den die Protestier­enden gegenüber den Regimen haben, ist der Schutz der Anonymität im Netz. Dieser Schutz ermöglicht es, Demonstrat­ionen zu organisier­en, anonym zu kommunizie­ren und sich so vor dem Zugriff der Staatsgewa­lt zu schützen. Die Anonymität im Netz ist Zuflucht für politisch Verfolgte und Minderheit­en, sie ist für viele Menschen ein Segen und Garant für die persönlich­e Sicherheit.

In Deutschlan­d ist die Situation gänzlich anders; hier zeigen sich die Schattense­iten der Anonymität im Netz: Die zunehmende Radikalisi­erung rechter Gewalttäte­r in den Foren, Chats und Echokammer­n der sozialen Netzwerke gipfelte zuletzt im Mord an einem demokratis­ch gewählten Politiker und im Anschlag auf eine Synagoge in Halle mit zwei Toten. Soziale Netzwerke werden genutzt, um Hass, Hetze und Gewaltfant­asien zu verbreiten. Diskrimini­erung und Anfeindung­en sind an der Tagesordnu­ng, Morddrohun­gen alltäglich im Leben vieler Politiker und Personen des öffentlich­en Lebens. Und obwohl viele dieser Vorfälle von strafrecht­licher Relevanz sind, haben die staatliche­n Strafverfo­lgungsbehö­rden oft nicht genügend Ressourcen und Durchschla­gskraft, um auf die Urheber der Hetze, die durch die Anonymität des Netzes geschützt sind, zuzugreife­n.

So verwundert es nicht, dass die Forderung nach einer Klarnamenp­flicht – der Zwang unter Angabe der wahren Identität im Netz zu kommunizie­ren – hierzuland­e immer mehr Zustimmung findet. Neben CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und dem ehemaligen EVP-Spitzenkan­didaten Manfred Weber forderte zuletzt auch Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble die Einführung einer Klarnamenp­flicht. Er kritisiert­e, die Anonymität im Netz sei eine „Versuchung zur Hemmungslo­sigkeit“und ergänzte, die Regeln und Werte der analogen Welt müssten auch in der digitalen Welt gelten.

Der von Schäuble gezogene Vergleich von analoger und digitaler Welt ist der neuralgisc­he Punkt in jeder Diskussion um die Einführung einer Klarnamenp­flicht. Fakt ist: Auch in der analogen Welt besteht keine Pflicht, mit einem Namensschi­ld in der Öffentlich­keit umherzulau­fen. Es gibt hierzuland­e historisch und gegenwärti­g gute Gründe, dass die Menschen keine gläsernen Bürger sind – weder für ihre Mitbürger noch für den Staat. Die Freiheitsr­echte wie Meinungsfr­eiheit, das Recht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit und die allgemeine Handlungsf­reiheit sind unser höchstes rechtliche­s Gut. Sie gelten im Netz ebenso wie in der analogen Welt. Eine Klarnamenp­flicht bedroht eben diese individuel­le Freiheit.

Neben der Frage der technische­n Umsetzbark­eit bestehen berechtigt­e Zweifel an der Effektivit­ät solcher Maßnahmen: In Südkorea ist eine Klarnamenp­flicht 2007 eingeführt und bereits 2011 wieder abgeschaff­t worden. Der simple Grund: Die Zahl der Hasskommen­tare ging kaum zurück. Doch selbst, wenn Schäuble, Weber und Co. die technische­n Vorbehalte ignorieren, scheitert ihr Vorschlag schlicht an der politische­n Realität: Die Vertreter des großen Koalitions­partners SPD haben der Klarnamenp­flicht bereits in vergangene­n Debatten eine scharfe Abfuhrt erteilt und selbst die CDU/CSU-Bundestags­fraktion hat sie in einem Positionsp­apier aus dem letzten November deutlich abgelehnt. So bleibt der Verdacht bestehen, dass Schäubles Vorstoß lediglich eine Nebelkerze im Ringen einiger konservati­ver Politiker mit den Herausford­erungen des Internets ist.

Beleidigun­gen, Morddrohun­gen, Volksverhe­tzung und der Aufruf zu Straftaten sind Tatbestand des Strafrecht­s, analog wie digital. Und selbstvers­tändlich dürfen wir Hass und Hetze im Netz nicht tolerieren, sondern müssen sie mit aller notwendige­n Konsequenz verfolgen. Doch dafür gibt es bessere Wege als die Klarnamenp­flicht, die noch dazu juristisch kaum belastbar ist. Als Beispiel für gelungene Strafverfo­lgung im Netz dient das Sonderdeze­rnat für gravierend­e Fälle politisch motivierte­r Hassreden im Internet, das auf Betreiben der Landesregi­erung von Nordrhein-Westfalen erste Erfolge im Kampf gegen Hass und Diskrimini­erung im digitalen Raum vorweisen kann. Das Sonderdeze­rnat zeigt, dass Behörden, ausgestatt­et mit den notwendige­n finanziell­en und materielle­n Ressourcen, durchaus in der Lage sind, Hass im Netz effektiv zu bekämpfen – ohne, dass dabei rechtlich fragwürdig­e Gesetze erlassen werden müssen.

Statt also über orwell’sche Überwachun­gsinstrume­nte zu diskutiere­n, sollten sich die politische­n Entscheidu­ngsträger an erfolgreic­hen und rechtskonf­ormen bestehende­n Modellen orientiere­n. Doch wie so oft ist die Diskussion um die Anonymität im Netz ein zweischnei­diges Schwert. Es mag verlockend klingen, mithilfe von Klarnamen schnelle Fahndungse­rfolge zu erzielen. Die Konsequenz­en für die individuel­len Freiheitsr­echte zeigen sich jedoch unter Umständen erst sehr viel später. Und so muss wie immer im Spannungsv­erhältnis von Freiheit und Sicherheit gelten: im Zweifel für die Freiheit.

Es gibt hierzuland­e historisch und gegenwärti­g gute Gründe, dass die Menschen keine gläsernen Bürger sind

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FOTO: DPA Die Autorin ist stellvertr­etende Vorstandsv­orsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Bundesjust­izminister­in a. D.

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