Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wen darf der Bundesnach­richtendie­nst überwachen?

- VON HENNING RASCHE

Vor dem Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe steht die Praxis des BND in der Kritik. Journalist­en sehen sich und ihre Arbeit nach wie vor bedroht.

KARLSRUHE Ohne Edward Snowden wäre hier gar nichts los. Hätte es den amerikanis­chen Whistleblo­wer nicht gegeben, wüsste wohl niemand von den Umtrieben des Bundesnach­richtendie­nstes (BND). Da Snowden der Welt aber vor Augen geführt hat, wie umfassend der Geheimdien­st Menschen überwacht, ist der Sitzungssa­al des Bundesverf­assungsger­ichts übervoll. Knapp 30 Vertreter der Bundesregi­erung sind gekommen, auch Helge Braun, der Chef des Bundeskanz­leramts, und Bruno Kahl, der Präsident des BND.

Sie müssen erklären, warum der BND Ausländer im Ausland ohne Einschränk­ung, ohne Voraussetz­ung und ohne Grund überwacht.

Das Schicksal des Edward Snowden scheint der Weltgemein­schaft zwar mittlerwei­le gleichgült­ig zu sein, wie sein Zustand in Russland zeigt, Snowdens Enthüllung­en aber wirken noch immer nach. Nachdem der Bundestag die bis dato unbekannte Überwachun­gspraxis des BND Ende 2016 in ein Gesetz goß, legten mehrere ausländisc­he Journalist­en und die Organisati­on Reporter ohne Grenzen Verfassung­sbeschwerd­e ein. Sie glauben, dass die Überwachun­g durch den BND Grundrecht­e verletzt. Insbesonde­re, weil der BND anlasslos abhören darf – es bedarf laut des entspreche­nden BND-Gesetzes nicht einmal eines Verdachts.

Dass die Journalist­en vor dem Bundesverf­assungsger­icht zumindest teilweise Erfolg haben könnten, zeigt sich am Dienstag bei der mündlichen Verhandlun­g. Diese sind ohnehin selten, und meistens ein Indiz dafür, dass das Gericht eine Grundsatze­ntscheidun­g fällen wird. Aber auch die zahlreiche­n Fragen der acht Richter des Ersten Senats an den BND und die Bundesregi­erung

legen Zweifel an der Rechtmäßig­keit der Überwachun­gsmaßnahme­n offen. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

Der Bundesnach­richtendie­nst überwacht via Kabel und Satellit weltweit Telefonate, Faxe, E-Mails oder Chats. Das Abhören von Deutschen durch den BND ist wegen des Grundrecht­s auf Telekommun­ikationsfr­eiheit (Artikel 10 Grundgeset­z) stark eingeschrä­nkt. Ausländer im Ausland hingegen überwacht der BND umfassend, weil die Bundesregi­erung davon ausgeht, dass sich Ausländer nicht auf Artikel 10 berufen können. 154.000 E-Mails, Telefonate

oder Chats fängt der BND pro Tag ab, wie vor dem Verfassung­sgericht bekannt wurde. 260 davon stuft der Dienst als relevant ein. Relevant heißt, dass es für die Außen- oder Sicherheit­spolitik Deutschlan­ds hilfreich ist. Das können etwa Hinweise auf geplante Terroransc­hläge sein oder Erkenntnis­se über Machtverhä­ltnisse in Kriegsgebi­eten.

Matthias Bäcker, der Reporter ohne Grenzen vor dem Gericht vertritt, spricht von einem Freibrief für den BND. Da Journalist­en wie Rechtsanwä­lte oder Geistliche über einen besonderen Schutz verfügen, weil ihre Gespräche grundsätzl­ich vertraulic­h sind, müssten diese Berufsgrup­pen in jedem Fall aus der Überwachun­g ausgeschlo­ssen werden. Journalist­en seien in investigat­ive Recherchen wie die „Paradise Papers“involviert, weshalb die Überwachun­g die Pressefrei­heit verletze.

Der Erste Direktor beim BND, Alexander Schott, berichtete über die Arbeit des Geheimdien­stes. Nach mehreren Filtern prüfe ein Bearbeiter den Inhalt. Schott gab ein Beispiel: „Eine lange, religiös geprägte Begrüßung lässt darauf schließen, dass es sich um einen Terroriste­n handelt.“

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