Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Flucht vor dem Diktator
Die 49-jährige Kunstlehrerin Zena Saleh vom Konrad-Adenauer-Gymnasium floh vor 18 Jahren mit der Familie aus Bagdad. Ihre Flucht war ein einziger Albtraum – noch heute erinnert sie sich an alle Einzelheiten.
KLEVE-KELLEN Jenseits von Aladdin, seiner Wunderlampe und den farbenprächtigen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht gab es vor mehr als zwei Jahrzehnten in Bagdad einen ganz normalen Alltag für die Bevölkerung. Zena Saleh, 49-jährige Kunstlehrerin im Konrad-Adenauer-Gymnasium in Kellen, wohnte damals mit ihrer Familie mitten in der Hauptstadt des Iraks. Sie hatte als Dozentin für Graphik-Design einen guten Job in der Universität, ihr Mann Naser war selbstständig und hatte einen Installations-Betrieb zusammen mit einem Partner. „Wir hatten ein eigenes Haus, gehörten zur stabilen oberen Mittelschicht. Bis 1998 war die Welt für uns in Ordnung. Meine älteste Tochter war damals fünf Jahre alt und ich war gerade wieder schwanger“, erzählt Saleh. Doch dann wurde alles anders. „Das Regime von Diktator Saddam Hussein machte Druck auf Betriebe. Der Kollege meines Mannes wurde sogar verhaftet“, sagt die 49-Jährige. Jetzt wurde es Ernst für die kleine Familie. „Wir wussten, dass es für uns im Irak keine Zukunft gab!“Das nächste Problem: Qualifizierte Iraker wie Ärzte, Rechtsanwälte oder Firmenchefs konnten nicht ausreisen. Ab sofort waren sie also auf Schlepper angewiesen. Dann ging alles ganz schnell. „Wir mussten sofort mit unseren Kindern verschwinden. Meine Eltern haben uns Geld mitgegeben, bei meiner großen Schwester habe ich meinen Haustürschlüssel abgegeben. Und mit einem kleinen Bus ging es in den Nordirak bis zur letzten Stadt Dahuk.“
Nun war guter Rat buchstäblich teuer, denn es mussten Schlepper gefunden werden, die das Quartett in die Türkei bringen konnten. Das dauerte vier Tage. Über einen sicheren Weg ging es 13 Stunden in die Grenzstadt. „Und dann kam der nächste Schlepper“, erinnert sich Zena Saleh. Ziel war die Hauptstadt Ankara. Dort wurden griechische Pässe mit neuen Fotos vorbereitet. Zwei weitere lange Wochen dauerte das. „Wir wurden zum Flughafen nach Ankara gebracht und mussten 21.000 Dollar zahlen, damit wir nach London fliegen konnten. Als wird jedoch in den Flieger eingestiegen waren, mussten wir unsere Pässe wieder abgeben, die Schlepper waren weg und wir ganz allein im Flugzeug Richtung London.“
Der endgültig Albtraum kam, als die Familie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Auf der Gangway wurden sie von der Polizei abgeführt. „Das war eine komische Sprache“, fand Saleh, die ja neben Arabisch auch Englisch sprach. Auf der Polizeistation im Flughafengebäude fanden sich die vier wie in einem falschen Film: „Erst jetzt wussten wir, wo wir waren: Mit 70 Dollar in der Tasche mit Mann und zwei Kindern in Frankfurt und nicht in London!“Nach der Vernehmung blieben sie drei Wochen im Flughafen, dann ging es zu mehreren Flüchtlingslagern. „Ein Dolmetscher hat gesagt: ,Hier sind Sie in der Demokratie‘. Ich habe es nicht geglaubt“, erzählt sie, „wir hatten große Angst, dass wir zurück in den Irak müssen. Unsere Kinder haben sehr darunter gelitten. Und ich hatte Zweifel, was ich mit meinem Leben gemacht habe“. Nach sieben Monaten und diversen Aufenthalten in Asylheimen kam der Beschluss, dass sie in Deutschland bleiben können. In Essen haben sie eine Wohnung gefunden. Dann das nächste Problem: „Wir konnten kein Wort Deutsch, aber Sprache und Arbeit waren ja sehr wichtig“, erinnert sich Zena Saleh, die auf eigene Faust versuchte, Deutsch zu lernen. Über einen Arzt aus Libyen konnte sie Kontakte knüpfen, um eine Krankenpfleger-Ausbildung zu machen. Ihr Mann Naser arbeitete zum Beispiel als Schlosser, Zeitungszusteller und Busfahrer. Danach war er Küchenhelfer in einem Restaurant und blieb in der Gastronomie. Seit sieben Jahren betreibt er nun in Essen eine Pizzeria.
Als Seiteneinsteigerin arbeitete Zena Saleh schließlich als Kunstlehrerin, zunächst in Velbert (Hauptschule) und Essen (Grundschule) und seit einem Jahr am Konrad-Adenauer-Gymnasium in Kellen. Dreimal in der Woche fährt sie von Essen an den Niederrhein. „Kleve mag ich sehr. Wenn ich die Rheinbrücke überquere, dann fühle ich mich gleich wohl im Kellener Gymnasium. Direktor Westerhoff ist sehr menschlich“, betont die 49-Jährige. Selbstkritisch merkt sie auch an: „Im Unterricht bin ich vielleicht manchmal etwas zu streng. Da muss ich noch dran arbeiten!“KAG-Direktor Heinz Bernd Westerhoff ist erfreut: „Wir sind froh, sie im Lehrerteam zu haben. Ein Beitrag für die Integration!“