Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Friedensforschung ohne Perspektive
Dem Sammelband des Friedensforschers Mutz fehlen neue Ansätze.
Der Titel dieser Neuerscheinung deutscher „Friedensforschung“ist aufschlussreich: „Schießen wie die anderen?“lautet er, und er ist so aktuell wie bezeichnend für die Krise dieses Bereiches deutscher Politikwissenschaft, ja für die Krise deutscher Außen-und Sicherheitspolitik überhaupt. Beide sind auch heute noch nicht viel mehr als ein Produkt des Kalten Krieges, auch wenn der bereits vor 30 Jahren mit der Wiedervereinigung zu Ende ging. „Die anderen“, das sind alle anderen als die Deutschen. Das sind die, die Diplomatie „mit Zuckerbrot und Peitsche“betreiben, wie Henry Kissinger einst formulierte. Dafür ist man sich in Berlin viel zu schade, egal ob Politiker oder Friedensforscher.
Ganz wohl ist selbst den Herausgebern dabei nicht. Sie haben auch keinen Ausblick, sondern einen Rückblick auf das Schaffen des renommierten langjährigen kommissarischen Leiters des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, Reinh ar dMutz, geben. Er hatte Bekanntheit erlangt durch die Beteiligung am„ Friedens gutachten“der drei bekanntesten deutschen Friedens forschungsinstitutes ein. Und so symbolisiert auch Mutz, der als Gegner neomarxistischer Friedensforscher seine Institution führte, eher das Ende einer weltgeschichtlichen Epoche als den Anfang einer neuen. Die Ablösung des Bipolarismus durch den Multipolarismus setzt heute offenkundig andere Maßstäbe als einst Mutz.
Der Band bietet interessante Aufsätze von Mutz aus knapp 30 Jahren zu vielfältigen Fragen, etwa dem Überleben nach einer nuklearen Zerstörung unserer Zivilisation im Kriegsfall oder der nach dem Sinn der Bundeswehr. Er gibt dabei nicht den Kopf an der Nato-Kleiderkammer ab und kritisiert völlig zu recht die oft unausgegorene deutsche Außenpolitik unabhängig von der Farbe der Regierungskoalit ion. Gleichzeitig findet Mutz aber auch kein konstruktives Verhältnis zum
Einsatz militärischer Macht in einer Zeit der globalen Unordnung. Dies gilt leider auch für seinen lesenswerten Versuch „Frieden schaffen – auch mit Waffen?“.
Unklar bleibt dennoch, was mit dieser rückwärtsgewandten Veröffentlichung erreicht werden soll. Hinweise, wie heute zu agieren wäre, liefert der Band nicht, und kann es auch nicht. Und ähnlich wie die traditionelle, Nato-zentrierte Forschung, die mehr oder weniger alles gut und richtig findet, was in Brüssel beschlossen wird, fehlt hier auch die Zukunftsorientierung, wie sie etwa der französische Staatspräsident Emmanuel Macron derzeit so engagiert betreibt.
Reinhard Mutz: Schießen wie die anderen? Nomos, 2019, 441 S., 89 Euro