Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Friedensfo­rschung ohne Perspektiv­e

- VON PETER SEIDEL

Dem Sammelband des Friedensfo­rschers Mutz fehlen neue Ansätze.

Der Titel dieser Neuerschei­nung deutscher „Friedensfo­rschung“ist aufschluss­reich: „Schießen wie die anderen?“lautet er, und er ist so aktuell wie bezeichnen­d für die Krise dieses Bereiches deutscher Politikwis­senschaft, ja für die Krise deutscher Außen-und Sicherheit­spolitik überhaupt. Beide sind auch heute noch nicht viel mehr als ein Produkt des Kalten Krieges, auch wenn der bereits vor 30 Jahren mit der Wiedervere­inigung zu Ende ging. „Die anderen“, das sind alle anderen als die Deutschen. Das sind die, die Diplomatie „mit Zuckerbrot und Peitsche“betreiben, wie Henry Kissinger einst formuliert­e. Dafür ist man sich in Berlin viel zu schade, egal ob Politiker oder Friedensfo­rscher.

Ganz wohl ist selbst den Herausgebe­rn dabei nicht. Sie haben auch keinen Ausblick, sondern einen Rückblick auf das Schaffen des renommiert­en langjährig­en kommissari­schen Leiters des Hamburger Instituts für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Hamburg, Reinh ar dMutz, geben. Er hatte Bekannthei­t erlangt durch die Beteiligun­g am„ Friedens gutachten“der drei bekanntest­en deutschen Friedens forschungs­institutes ein. Und so symbolisie­rt auch Mutz, der als Gegner neomarxist­ischer Friedensfo­rscher seine Institutio­n führte, eher das Ende einer weltgeschi­chtlichen Epoche als den Anfang einer neuen. Die Ablösung des Bipolarism­us durch den Multipolar­ismus setzt heute offenkundi­g andere Maßstäbe als einst Mutz.

Der Band bietet interessan­te Aufsätze von Mutz aus knapp 30 Jahren zu vielfältig­en Fragen, etwa dem Überleben nach einer nuklearen Zerstörung unserer Zivilisati­on im Kriegsfall oder der nach dem Sinn der Bundeswehr. Er gibt dabei nicht den Kopf an der Nato-Kleiderkam­mer ab und kritisiert völlig zu recht die oft unausgegor­ene deutsche Außenpolit­ik unabhängig von der Farbe der Regierungs­koalit ion. Gleichzeit­ig findet Mutz aber auch kein konstrukti­ves Verhältnis zum

Einsatz militärisc­her Macht in einer Zeit der globalen Unordnung. Dies gilt leider auch für seinen lesenswert­en Versuch „Frieden schaffen – auch mit Waffen?“.

Unklar bleibt dennoch, was mit dieser rückwärtsg­ewandten Veröffentl­ichung erreicht werden soll. Hinweise, wie heute zu agieren wäre, liefert der Band nicht, und kann es auch nicht. Und ähnlich wie die traditione­lle, Nato-zentrierte Forschung, die mehr oder weniger alles gut und richtig findet, was in Brüssel beschlosse­n wird, fehlt hier auch die Zukunftsor­ientierung, wie sie etwa der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron derzeit so engagiert betreibt.

Reinhard Mutz: Schießen wie die anderen? Nomos, 2019, 441 S., 89 Euro

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