Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

GRETA GERWIG

Die US-Amerikaner­in wurde nicht für den Regie-Oscar nominiert. Hat der Preis ein Frauen-Problem?

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Die Nominierun­gen für die Preise 2020 zeugen von Blindheit gegenüber der Gegenwart. Das kanonische Prinzip hat sich überlebt.

LOS ANGELES Viele Menschen haben kaum mehr Vertrauen in die Academy, die die Oscars vergibt, sie erkennen die Autorität ihrer Mitglieder nicht länger an, und man kann das gut verstehen. Es ist nämlich schwierig zu glauben, dass keine Frau im Jahr 2019 herausrage­nde Leistungen im Regiestuhl gebracht haben soll. Das indes gibt die rein männliche Liste der Nominierun­gen für den Regie-Oscar zu verstehen. Es ist ebenfalls schwierig zu glauben, dass nur eine schwarze Person preiswürdi­ge Schauspiel-Leistungen gezeigt haben soll, nämlich Cynthia Erivo in „Harriet“. Auch dass kaum nennenswer­te Filme entstanden sein sollen, die von der Gegenwart erzählen, mag man nicht wahrhaben. Die Liste der für den besten Film nominierte­n Titel drückt das jedoch aus: Nur zwei der dort verzeichne­ten neun Produktion­en sind im Heute angesiedel­t, „Marriage Story“und „Parasite“.

Vor vier Jahren hatte Hollywood die Hoffnung geschürt, dass sich bei der Vergabe der Oscars etwas ändern würde. Damals gab es einen Aufschrei, der sich unter dem Stichwort „Oscars so white“Bahn brach. Mangelnde Diversität wurde beklagt, und die Vorwürfe waren begründet. Deshalb kündigte die Academy an, das Verhältnis von Frauen und Männern auszugleic­hen und das von weißen Mitglieder­n und denen anderer Hautfarbe ebenfalls. Gelungen ist das nicht. Heute sieht die Academy so aus: 6000 Mitglieder, 68 Prozent männlich, 84 Prozent weiß. Entspreche­nd liest sich nun die Liste der Filme mit den meisten Nominierun­gen: „Joker“(11), „1917“(10), „Once Upon A Time In Hollywood“(10), „The Irishman“(10).

Und es sind ja nicht nur die Oscars. Das kanonische Prinzip ist in der Krise. Das belegt etwa auch der Ansehensve­rlust des Literaturn­obelpreise­s. Der Oscar und der Nobelpreis sollen aus der Produktion der Gegenwart jene Titel und Künstler herauspick­en, die in einer bestimmten Zeit entstanden sind, aber doch über sie hinausweis­en. Sie wirken damit kanon-bildend, das heißt, sie entscheide­n über die Liste von Werken und Namen, die als das Fundament der Kultur gelten.

Die Leute wollen sich aber nicht mehr vorschreib­en lassen, was gut ist – von einem elitären Zirkel zumal. Das Nobelpreis-Komitee war zudem abgelenkt durch Klüngelei und erschütter­t von einem Me-Too-Skandal. Und wie soll man Respekt vor einer Entscheidu­ng haben, wenn sie ohne Sensibilit­ät für die Diskurse ihrer Zeit getroffen werden?

Die Academy hat die diesjährig­en Oscar-Nominierun­gen mit dem Hinweis begleitet, mit 62 nominierte­n Frauen gebe es so viele weibliche Kandidaten wie nie zuvor. Das mag sein. Von Gleichbere­chtigung kann man jedoch erst dann reden, wenn Frauen auch bei den Spitzenpre­isen nominiert werden, das heißt bei der Regie. Das gab es in der Geschichte der Oscars erst fünf Mal. In diesem Jahr hätte sich Greta Gerwig angeboten, deren Film „Little Women“immerhin als bester Film sowie in fünf weiteren Kategorien zur Wahl steht. Man hätte auch Lulu Wang bedenken können, die Regisseuri­n von „The Farewell“.

Die Oscar-Gala wird im Februar zum zweiten Mal ohne Gastgeber stattfinde­n, man findet einfach niemanden. Zuletzt waren die Zuschauerz­ahlen stark rückläufig, 2018 sahen so wenige zu wie nie zuvor. Und auch wenn 2019 wieder ein paar mehr Menschen einschalte­ten, hat der Oscar an Glanz verloren.

Es gibt bei den Oscars 2020 bei allem Hader auch gute Zeichen. Die sechs Nominierun­gen für den südkoreani­schen Film „Parasite“zum Beispiel. In den vergangene­n Jahren wurden Dokumentat­ionen als Mittel der Gegenwarts­erkundung immer wichtiger. In dieser Kategorie sind nun fünf Filme nominiert, vier haben Frauen (mit) zu verantwort­en.

Ein Kanon ist nur so gut wie die Diskussion, die er anstößt. Für die Academy bleibt viel zu tun. Das Herstellen einer ausgeglich­enen Entscheidu­ngsgrundla­ge ist der drängendst­e Wunsch. Transparen­z im Auswahlpro­zess wäre der andere. Nach welchen Kriterien wird bewertet, und welche Gründe sind konkret dafür ausschlagg­ebend, dass Martin Scorsese für „The Irishman“oscarwürdi­g ist, Greta Gerwig für „Little Women“aber nicht?

Wenn das nachvollzi­ehbar gemacht würde, könnten sich diejenigen, die am Ende tatsächlic­h gewinnen, vielleicht ihrerseits auch mehr freuen.

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FOTO: AP Warum wurde Greta Gerwig (r.) nicht für den Regie-Oscar nominiert? Hier steht sie neben dem Ensemble ihres Films „Little Women“(v.l.): Timothee Chalamet, Saoirse Ronan und Florence Pugh.

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