Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Wie viel Affe steckt im Menschen?
Mensch und Schimpanse sind sich sehr ähnlich. Nur 1,3 Prozent ihrer Erbanlagen sind unterschiedlich. Was aber macht dann unsere Andersartigkeit aus? Ein Blick ins Detail offenbart: Zahlen sind nicht alles, die Nutzung der Gene ist entscheidend.
Genetisch sind Mensch und Schimpanse fast identisch. Woher kommt dann unsere Andersartigkeit? Die Antwort steckt im Detail.
Der gemeinsame Vorfahr von Schimpanse und Mensch lebte vor rund sechs Millionen Jahren
Ist der Mensch tatsächlich die Krone der Schöpfung? Ein Schimpanse würde über diese Frage wohl eher müde lächeln und in etwa so antworten: „Dieses spärlich behaarte Wesen, das kaum in der Lage ist, auf einen Baum zu klettern, soll der Gipfel der Evolution sein? Ein Geschöpf, das kaum die richtigen Früchte von den falschen unterscheiden kann? Das sich von Viren wie HIV anstecken lässt, die unsereins längst hinter sich gelassen hat?“
Übel nehmen könnte man unseren Artgenossen solche Fragen nicht. In der Verwandtschaft wird eben auch schon mal Tacheles gesprochen – von Menschenaffe zu Menschenaffe. Denn Schimpanse und Mensch sind engste Verwandte: Nur 1,3 Prozent ihrer Gene sind verschieden. Normalerweise trifft eine solch hohe Übereinstimmung nur für Unterarten innerhalb ein und derselben Spezies zu und nicht für unabhängige Familien.
Enge Verwandtschaft bedeutet aber nicht, dass der Mensch vom Affen abstammt. Vielmehr haben beide einen gemeinsamen Vorfahren, aus dem sich später die verschiedenen Familien der Menschenaffen getrennt weiterentwickelt haben. Evolutionsbiologen sind heute sicher, dass dieser gemeinsame Vorfahr vor etwa fünf bis sechs Millionen Jahren gelebt hat, dann trennten sich beide Entwicklungslinien voneinander.
Somit ist der Mensch evolutionsbiologisch betrachtet ein Nesthäkchen in der Evolution. Was sind schon sechs Millionen Jahre, wenn man bedenkt, dass die Entstehung der ersten Lebewesen vor etwa 3,8 Milliarden Jahren datiert wird? Kein Wunder also, dass Schimpansen uns so ähnlich sind. Sie sind soziale Wesen wie wir und leben in großen Familien. Sie können Emotionen zeigen und beweisen nicht nur in wissenschaftlichen Tests große Intelligenz. Dank ihres opponierten Daumens können sie Dinge greifen, festhalten und gezielt Werkzeug benutzen. Was aber macht den Unterschied aus zwischen Homo sapiens und Schimpanse? Sind die 1,3 Prozent wirklich so marginal, wie es auf den ersten Blick scheint?
Die Antworten liegen im Detail. Und offenbaren sich Genetikern beim genauen Blick auf die Erbsubstanz von Mensch und Affe, der DNA. Diese liegt als gewundener Doppelstrang im Zellkern einer jeden Zelle. Ihre Bausteine sind Basen, die als Paare einander gegenüberliegen. Ein Gen entspricht einem Abschnitt auf dem DNA-Strang, es ist eine Vererbungseinheit. Das Gen bestimmt, welches Eiweiß (Protein) der Organismus herstellen muss. Proteine wiederum sind die Grundlage für unsere Muskeln, Nerven, Organe und Knochen. Als Botenstoffe (Hormone) lenken sie die vielfältigen Stoffwechselprozesse unseres Körpers. Anders ausgedrückt: Die Gene sind das Rezept, die Proteine der Kuchen. Es gibt Gene, die lebenslang aktiv sind, andere werden nur bei Bedarf aktiviert.
Wissenschaftler weltweit vergleichen seit Jahren die Erbanlagen von Schimpanse und Mensch. Eine genetische Übereinstimmung der Basenpaare auf der DNA zwischen 98,6 und 98,7 Prozent gilt heute als gesichert. Was sich aber enorm unterscheidet, ist die Benutzung der Gene.
So entdeckten die Forscher, dass es viele Gene gibt, die bei Mensch und Schimpanse zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten und Intensitäten abgerufen werden. Diese sogenannte Gen-Expression unterscheidet sich besonders im menschlichen Gehirn. Hier entdeckten die Wissenschaftler fast viermal so viele Unterschiede verglichen mit dem Gehirn von Schimpansen. Entsprechend dieser andersartigen Benutzung der Gene ist auch die Synthese von Proteinen im menschlichen Gehirn gegenüber dem Schimpansen drastisch verändert. Das menschliche Gehirn ist rund dreimal so groß wie das des Schimpansen.
Dass ein winziger Unterschied im Detail große Folgen haben kann, zeigen jüngere Forschungen über das Sprach-Gen. Mensch und Schimpanse, Papagei, Fisch und Schnecke haben es gemeinsam: ein Gen namens FOXP2. Vor rund 200.000 Jahren änderte sich beim Homo sapiens in relativ kurzer Zeit an nur zwei Stellen die Zusammensetzung in dem Eiweiß, für dessen Herstellung FOXP2 zuständig ist. Ungefähr zu dieser Zeit begann der Mensch zu sprechen. Dass dies kein Zufall war, haben Wissenschaftler durch Experimente an Gewebeproben von Menschen und Affen bewiesen. Vom menschlichen FOXP2-Protein ließen sich 116 Gene im menschlichen Gehirn beeinflussen. Auf die Schimpansen-Variante des Proteins reagierten diese Gene gar nicht.
So bleibt die Sprache vielleicht das auffälligste Unterscheidungsmerkmal zwischen uns und unseren nächsten Verwandten.
Ob wir nun wirklich die (selbsternannte) Krone der Schöpfung sind? Ein Schimpanse würde wohl antworten: „Alles eine Frage des Blickwinkels.“