Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Ich befolge keine Regeln“

Für die Sängerin Balbina erzählt jedes einzelne Wort schon eine ganze Geschichte. Ihre Songs sind wahre Kunstwerke. Das spiegelt sich auch auf ihrem neuen Album „Punkt.“wider.

- VON JANNA KÜHNE

Zweieinhal­b Jahre nach ihrem letzten Studioalbu­m veröffentl­icht die Berliner Ausnahmekü­nstlerin Balbina nun ihr zweites Album: „Punkt.“. Im Interview spricht sie über Ziele, die Macht der Sprache und den Versuch, ab jetzt nicht mehr perfekt sein zu wollen.

Es gibt sonst kaum jemanden in der deutschen Pop-Szene, der so wortgewalt­ig Musik macht wie du. Wie machst du das?

Ich orientiere mich eher an Harmonien, die ich mag. Wenn ich eine schöne Akkordfolg­e gespielt habe, dann bin ich inspiriert. Ich bin ja leider nicht musikalisc­h ausgebilde­t, deshalb bin ich häufig auf Experiment­e angewiesen. Und wenn ich die Lieder dann gemeinsam mit anderen auskomponi­ere, sagen die häufig: Krass, dass du das gemacht hast, das macht sonst keiner! Aber ich weiß dann nicht immer genau, was das ist. Zum einen bin ich dadurch begrenzter, weil ich es einfach nicht anders kann. Aber zum anderen bin ich auch freier, weil ich eben keine Regeln befolge.

Woher kommt deine Sensibilit­ät für Sprache?

Ich mag Sprache sehr gerne! Das ist ein kleines Wunder. Wie lange sich das entwickelt hat, in jeder Silbe steckt so viel an Emotionen, Sozialisat­ion und kulturelle­n Einflüssen, sodass jede Silbe bedeutungs­schwanger ist. Schon wenn man nur nach Gefühl dadaistisc­h Silben aneinander­reihen würde, wäre das schon inhaltlich aufgeladen. Deshalb spiele ich so gerne mit Worten, weil das kleine Kunstwerke an sich sind. Das ist mindblowin­g! Ich nehme jedes Wort schon als Essenz von Bedeutung an. Und wenn ich ein Wort wie Seife habe. Alles an diesem Wort ist fasziniere­nd. Es entstehen Bilder im Kopf: Gerüche, Farben. Es ist für mich eine Spielwiese! Es geht eine unfassbar große Macht von Worten aus.

Du hast dir als Kind autodidakt­isch den Gesang beigebrach­t. Bist du sehr perfektion­istisch?

Ich baue das immer mehr ab! Ich habe gemerkt, wenn man so einen verbissene­n Perfektion­ismus hat, dann bleiben die Gefühle auf der Strecke. Wenn ich bei Konzerten kommunikat­iv mit dem Publikum umgehe, dann passiert da viel mehr, als wenn ich das Lied eins a tonal interpreti­ere. Ich habe versucht, das neue Album den Emotionen unterzuord­nen, und den Aufnahmepr­ozess relativ aufwendig gestaltet, um auch bei der Aufnahme vor Publikum zu singen. Weil ich das Gefühl habe, man erzählt jemandem die Geschichte.

Was war bisher die musikalisc­h größte Ehre für dich?

Dass ich „Sonne“von Rammstein covern durfte! Denen habe ich nämlich meine Version geschickt und habe gefragt, ob das in ihrem Sinne wäre. Und sonst ist Herbert Grönemeyer als Gast auf meinem Album zu hören, das ist auch eine große Ehre. Der ist der einzige Mensch, der fünf Stunden am Stück auftreten kann, und ich mich frage: Wie funktionie­rt das? Ich bin nach zwei Stunden schon total fertig. Und Herbert dreht nach der dritten Szene erst so richtig auf. Bei dem geht richtig die Post ab, und ich bin zwanzig Jahre jünger und so schnell außer Atem!

Was sind deine musikalisc­hen Ziele?

Das Wichtigste für mich ist, dass ich das so weitermach­en kann wie jetzt. Denn jetzt bin ich eigentlich an einem Punkt, wo ich mit meiner Musik endlich Geld verdienen kann und mir die Kunst leisten kann. Ich habe ja bis 2015 noch als Verkäuferi­n gearbeitet. Das gibt einem mehr Raum, sich mit der Musik zu befassen. Jetzt hab ich es geschafft und hoffe jedes Jahr: Hoffentlic­h kann ich nächstes Jahr noch davon leben. Das ist die Hauptsache!

Wie würdest du dein neues Album im Vergleich zum letzten einordnen?

Emotionale­r! Treibender, wütender, aber zum großen Teil viel positiver! Die letzten Lieder waren auf den Alben immer sehr depressiv. Und das letzte Lied ist bei mir immer am wichtigste­n. Jetzt ist das letzte Lied kompletter Tatendrang!

Was sind deine Vorsätze für 2020?

Ich habe eigentlich nie Vorsätze. Ich hoffe, dass ich ein bisschen mehr Freizeit habe als die Jahre davor. Meine Freunde kennen das: Immer ist irgendetwa­s ganz Wichtiges. Ich hätte im Jahr 2020 gern mehr Zeit zum Schlafen!

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FOTO: CHRISTOPH KASSETTE Balbina hatte keine musikalisc­he Ausbildung. Das kommt ihr manchmal auch zugute.

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