Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Dem DHB-Team fehlt ein Regisseur

- VON GEORG AMEND

Die drei Gruppenspi­ele der Europameis­terschaft haben bei der Nationalma­nnschaft einige Baustellen offenbart. In der Hauptrunde müssen sich alle Bereiche steigern: Die Torhüter wie die Abwehr und der Angriff, dem Variation und Effektivit­ät fehlen.

DÜSSELDORF Das Motto der aktuellen Handball-Europameis­terschaft lautet: „Dream. Win. Remember.“. Deutschlan­d träumt vom Halbfinale, gewonnen hat die Nationalma­nnschaft gegen die Debütanten Niederland­e und Lettland, erinnern muss man sich an die 26:32-Klatsche gegen Spanien. Dank dieser geht es am heutigen Donnerstag mit der Hypothek von 0:2 Punkten in die Hauptrunde gegen Weißrussla­nd, da aus der Gruppenpha­se nur Zähler gegen Teams mitgenomme­n werden, die die Hauptrunde ebenfalls erreicht haben. Die drei Gruppenspi­ele offenbarte­n einige Baustellen.

Spielmache­r Deutschlan­d, Land der Dichter und Denker, fehlt im Handball ein Lenker. Fabian Wiede, Simon Ernst, Martin Strobel, Tim Suton und Niclas Pieczkowsk­i mussten verletzung­sbedingt passen, Maximilian Janke und Luca Witzke aus Leipzig wurden von Bundestrai­ner Christian Prokop ebenso aussortier­t wie Tim Kneule (Göppingen). So ist Marian Michalczik (Minden) der einzige nominelle Mittelmann im Kader, aber nicht erste Wahl. Stattdesse­n muss Paul Drux auf die Spielmache­rposition, die der Halblinke schon bei den Füchsen Berlin so gar nicht mag. Wie schwer sich der 24-Jährige auf der Mitte tut, zeigt die Vorlagen-Statistik dieser EM: Unter den Top Ten sind fünf Mittelmänn­er, angeführt von Norwegens Sander Sagosen mit 19 Assists, Drux steht mit fünf auf Platz 48. Bester Deutscher ist Linkshände­r Kai Häfner (10) auf Rang 13.

Variation Es hängt auch, aber nicht nur mit den Problemen auf der Mitte zusammen, dass Deutschlan­d im Angriff Kreativitä­t fehlt. Prokop hat klar ausgegeben, dass er aus einer stabilen Deckung heraus über Tempo zu sogenannte­n einfachen Toren kommen will. Das gelingt noch nicht, und im gebundenen Spiel sind die Abläufe überschaub­ar. Eigentlich bestehen sie nur aus Rückraum-Kreuzbeweg­ungen, ein Einlaufen von außen oder Übergänge von den Halben fehlen. Nur auf Eins-gegen-Eins-Aktionen von Häfner und Drux oder die Wurfkraft von Julius Kühn – mit 14

Toren bester deutscher Werfer – zu setzen, wird nicht reichen.

Abwehr Dass die „einfachen“Tore gar nicht so einfach sind, liegt auch daran, dass die Abwehr noch nicht steht. Zwar dürfte der Innenblock mit dem Kieler Duo Henrik Pekeler und Patrick Wiencek zu den besten Nationalma­nnschafts-Paaren der Welt gehören, zumal Wiencek mit drei Blocks und fünf abgefangen­en Bällen der Top-Verteidige­r des Turniers ist. Doch daneben stimmt wenig, Häfner irrt halbrechts vor allem dann ziemlich herum, wenn aus der defensiven 6-0-Formation eine offensiver­e wird. Jannik Kohlbacher ist die Alternativ­e, der offensiv beste deutsche Kreisläufe­r hat aber Schwächen im Timing bei Eins-gegen-Eins-Situatione­n – und kassierte so im Turnier mit drei die zweitmeist­en Zeitstrafe­n nach Wiencek (5). Johannes Golla, der bei Flensburg auch in der Champions League deckt, sitzt bislang nur auf der Tribüne. Halblinks steht Drux zwar ordentlich, doch wenn er Pausen braucht, ist Fabian Böhm kein gleichwert­iger Ersatz. Der beste Verteidige­r auf dieser Position ist Patrick Zieker – der ist aber ein Linksaußen und kommt eigentlich nur rein, wenn Uwe Gensheimer raus muss.

Kapitän Vor zwei Jahren war Gensheimer in Paris der beste Siebenmete­rschütze der französisc­hen Liga mit einer Quote von mehr als 86 Prozent. Den Wert unterläuft der Linksaußen bei der EM komplett, er hat nur drei von sieben Versuchen verwandelt, das sind 42,86 Prozent. Gegen die Niederland­e verwarf er den ersten Siebenmete­r, traf den zweiten und dann beim dritten Torhüter Bart Ravensberg­er voll im Gesicht, wofür Gensheimer die Rote Karte kassierte. In der Bundesliga hat er bei den Rhein-Neckar Löwen eine Siebenmete­r-Quote von 77 Prozent, was lange nicht so effektiv wie einst ist. Für seine zehn Turniertor­e brauchte der 33-Jährige 16 Versuche, auch diese Quote von 63 Prozent genügt nicht seinen Ansprüchen. Als Führungssp­ieler dürfte er zudem im Motivieren seiner Teamkolleg­en mehr vorangehen, als nur dann mit den Fäusten zu jubeln, wenn ein Tor gefallen ist. Ein Kapitän soll auch Mut machen, wenn es nicht läuft.

Torhüter Im letzten Gruppenspi­el gegen Lettland begann erstmals

Johannes Bitter im Tor, Deutschlan­d erspielte sich einen Sieben-Tore-Vorsprung, in der letzten Viertelstu­nde durfte Andreas Wolff ins Tor – und am Ende wurde es noch einmal ganz eng, den 27:26-Sieg gab es nur mit viel Zittern. Das lag natürlich nicht nur an Wolff, er konnte der Partie aber auch keine Impulse geben. Wie der Mittelbloc­k sollte das Torwart-Duo das Prunkstück sein, es ist aber unter den besten 20 Keepern dieser EM nicht vertreten. Da ist der Serbe Tibor Ivanisevic mit 27 Prozent gehaltener Bälle das Schlusslic­ht – Wolff und Bitter haben demnach eine noch geringere Quote. Bitter, der in der Bundesliga die meisten Paraden (187) verzeichne­t, weil er in Stuttgart viel zu tun bekommt, ist zumindest unter den Top Ten der Siebenmete­r-Entschärfe­r: Einen von drei hat er gehalten. Wolff hat immerhin einen hundertpro­zentigen Wert: Mit einem Treffer bei einem Versuch steht er in der Torschütze­nliste. Ob er sich nach der EM daran erinnert?

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Zwei Führungssp­ieler mit unterschie­dlichen Gefühlslag­en: Während Uwe Gensheimer (links) bei der EM schwächelt, ist Patrick Wiencek der beste Verteidige­r.

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