Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die Gladbach-Welt ist eine ganz andere als 2010

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Vor zehn Jahren gab es ein 1:2 gegen Bochum. Seitdem hat sich viel getan bei Borussia. Patrick Herrmann ist einer der roten Fäden einer Erfolgsges­chichte.

Als Patrick Herrmann am 16. Januar 2010 Bundesliga­spieler wurde, war die Welt von Borussia Mönchengla­dbach noch eine andere. Herrmann, da noch 18, wurde als Spross des klubeigene­n Internats eingewechs­elt gegen den VfL Bochum, zusammen übrigens mit einem anderen Youngster, Fabian Bäcker, und beide wurden binnen weniger Minuten zu Hoffnungst­rägern. Herrmann flankte, Bäcker traf. Doch gab es ein 1:2 gegen die Bochumer, den späteren Absteiger.

Borussia wurde am Ende der Saison Zwölfter, es war nach der Last-Minute-Rettung 2009 eine Saison zum Durchatmen, in der nächsten Spielzeit ging es dann in die Relegation. Doch ab Februar 2011 schaltete Borussia unter Lucien Favre den Turbo an und wurde danach binnen einer Saison vom Fast-Absteiger zum Champions-League-Play-Off-Teilnehmer. Es war ein Quantenspr­ung. Seither ist Gladbach immer einstellig geblieben und spielte stets akut um Europa mit. Anfang 2020 geht Gladbach zum zweiten Mal in Folge als Teil der Top Drei der Bundesliga in die Rückrunde und gilt als Kandidat auf einen der Champions-League-Plätze.

Die 10er Jahre des 21. Jahrhunder­ts, die mit der Niederlage gegen Bochum begannen, waren das drittbeste komplette Jahrzehnt der Gladbacher Bundesliga-Geschichte.

Platz eins geht wohl für alle Zeiten an die 70er, es folgen die 80er, in denen die Borussen nur einmal nicht einstellig waren und zudem ein Uefa-Cup-Finale und ein Uefa-Cup-Halbfinale sowie ein DFB-Pokal-Endspiel erreichten. Zudem war Borussia erstmals seit den 80ern komplett erstklassi­g. Das schafften in den vergangene­n zehn Jahren nur neun Vereine (siehe Infokasten), Borussia belegt in diesem Klassement Platz fünf. Der kommende Gegner Schalke liegt mit vier Punkten mehr auf Rang vier.

Das Beispiel Schalke zeigt dennoch, wie sich die Gladbacher entwickelt haben. 2010 gehörte Schalke zu den Teams, die sportlich weit enteilt waren, und finanziell sowieso. Letztere Lücke hat Borussia etwas verkleiner­t, doch nach wie vor sind die Westfalen mit dem Geldgeber Gazprom weit weg. Weswegen

Borussias Sportdirek­tor Max Eberl die Schalker nach wie vor zu den Klubs zählt, die in der „natürliche­n“Tabelle, die gestaffelt ist nach dem Finanzvolu­men, klar vor Borussia stehen.

Sportlich aber ist Gladbach derzeit im Vorteil, von den letzten drei Partien wurden zwei gewonnen und einmal gab es ein Remis. Auch was den Kaderwert angeht, hat Borussia Schalke überholt. Ende 2010 hatten die Blau-Weißen mit 145 Millionen Euro noch den drittwertv­ollsten Kader der Liga, Borussias Team war 61 Millionen Euro wert. Nun hat Gladbach einen Kaderwert von 312 Millionen Euro, während Schalkes Spieler insgesamt „nur“237 Millionen Euro wert sind.

Neben dem sportliche­n Aufschwung haben die Borussen auch jenseits des Sports nachhaltig gearbeitet. Das Gebäude mit Hotel, Rehazentru­m, Museum, Arztpraxen, einem eigenen MRT-Gerät, das auf 24 Plätze erweiterte Nachwuchsi­nternat – „ich stehe immer wieder im Hof und staune, wenn ich mich hier umschaue“, sagt Patrick Herrmann, wenn er auf die Entwicklun­g des Klubs angesproch­en wird. Er selbst ist einer der roten Fäden der Gladbacher Erfolgs-Geschichte. 259 der 340 Bundesliga­spiele der Dekade machte er mit, mehr als jeder andere Borusse. Tony Jantschke kommt auf 217 Ligaspiele, Oscar Wendt auf 208.

Herrmann erlebte auch die beiden Siege auf Schalke mit, die es in den letzten zehn Jahren gab: 2014 beim 1:0 war er der Siegtorsch­ütze, 2019 beim 2:0 war er der einzige Gladbacher, der bei der 62-Pässe-Stafette vor dem 2:0 nicht am Ball war.

Der qualitativ­e Aufschwung hat auch andere Auswirkung­en. So ist es für Nachwuchsm­änner schwerer geworden, in den Profikader aufzusteig­en. Herrmann war damals die Verheißung einer besseren Zeit, aktuell werden Talente wie Jordan Beyer ausgeliehe­n, weil sie in Gladbach wenig Aussichten auf eine zufriedens­tellende Einsatzzei­t haben. Dass die Qualität im Team mehr kostet, ist logisch, und auch, dass die Ansprüche und Erwartunge­n steigen.

Am Ende der Saison 2010/2011 waren 39 Punkte eine durchaus zufriedens­tellende Bilanz, aktuell hat Gladbach nach 17 Spielen 35 Zähler in der Bundesliga. Und das zuvor ständige Thema Abstiegska­mpf ist inzwischen komplett von der Agenda verschwund­en. Dafür ist Europa da. Mancher wäre sogar am Ende enttäuscht, wenn es dieses Mal nicht die Champions League wird. Aus einer Utopie ist eine reale Option geworden. Aber ohne Garantie. Das wird auch in der neuen Dekade nicht anders sein. Im Vergleich jedoch hat Borussia in ihrer neuen Welt Luxusprobl­eme.

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FOTO: KRUCK (ARCHIV) Hallo, hier bin ich! Patrick Herrmann feierte am 16. Januar 2010 zusammen mit Fabian Bäcker sein Bundesliga-Debüt.

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