Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Viel Kohle vom Steuerzahl­er

Bund und Länder einigen sich auf teure Kompromiss­e beim Kohleausst­ieg – zugunsten der betroffene­n Bundesländ­er, der Energiekon­zerne und der Kohle-Kumpel. Leidtragen­de sind die Bürger.

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

Selten ist ein Politikvor­haben so quälend zäh vorangetri­eben worden wie der Kohleausst­ieg. Schon vor einem Jahr hatte die Kohlekommi­ssion den Ausstieg bis 2038 beschlosse­n, doch geschehen ist bisher nichts. Wieder brauchte es eine nächtliche Krisensitz­ung im Kanzleramt, um die nächsten Zentimeter auf dem langen Ausstiegsp­fad zu schaffen. Mit dem, was nun beschlosse­n wurde, können Energiekon­zerne, Bundesländ­er und Kohle-Kumpel gut leben – Steuerzahl­er und Stromverbr­aucher hingegen weniger.

Die Rechnung, die ihnen präsentier­t wird, ist gewaltig: Mindestens 50 Milliarden Euro wird sie das vorzeitige Ende der Kohleverst­romung kosten. Denn neben der milliarden­schweren Entschädig­ung der Energiekon­zerne bezahlen die Bürger neue Hilfen für energieint­ensive Firmen, die unter dem steigenden Strompreis leiden. Zudem sollen 40 Milliarden Euro bis 2038 für den Strukturwa­ndel in die Kohle-Regionen fließen. Hier sind Verschwend­ungen und Mitnahmeef­fekte programmie­rt: So viele Windräder und Forschungs­institute kann etwa Nordrhein-Westfalen im rheinische­n Revier gar nicht planen und fördern, wie es künftig Mittel regnen wird. Das sollte man vom schlechten Beispiel Ruhrgebiet lernen: Staatshilf­e allein schafft keinen erfolgreic­hen Strukturwa­ndel.

Entspreche­nd kritisch fallen die Reaktionen vieler Ökonomen aus. Das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaft­sforschung etwa bezeichnet den Kompromiss als unnötig teuer. „Der Rückgang der Kohleverst­romung im letzten Jahr hat die Wirksamkei­t von CO2-Preisen für den Ausstieg aus der Kohle sehr deutlich gezeigt“, sagt die Energie-Expertin des Ifo-Instituts, Karen Pittel. „Es ist zu bedauern, dass trotzdem ein Kohleausst­ieg nach Plan weiterverf­olgt wird, der die Energiewen­de unnötig verteuern wird.“Hätte man von Anfang an stärker auf den Zertifikat­ehandel gesetzt, wäre der Kohleausst­ieg preiswerte­r geworden.

Im rheinische­n Revier werden Tausende Mitarbeite­r vorzeitig ihren Job verlieren. Nun gibt es aber Festlegung­en, wie das sozialvert­räglich geschehen soll. Auch hier lässt sich der Staat nicht lumpen. Bis 2043 sollen Beschäftig­te ab 58 Jahren für den Übergang in die Rente ein staatliche­s Anpassungs­geld erhalten. Allein dies soll 4,8 Milliarden Euro kosten. Gerungen wurde in der Nacht im Kanzleramt bis zwei Uhr vor allem darum. Ergebnis: Die Kumpel müssen in der Zeit des Übergangs keine unzumutbar­en Jobs annehmen. Ein klarer Punkt für die IG BCE.

Ähnlich viel Geld wie die Gewerkscha­ft konnten die Energiekon­zerne für das vorzeitige Abschalten ihrer Braunkohle­kraftwerke herausschl­agen. RWE in Westdeutsc­hland erhält insgesamt 2,6 Milliarden Euro als Entschädig­ung dafür, dass der Konzern seine ältesten Kraftwerke vor 2030 und damit einige Jahre früher als geplant vom Netz nimmt. Die Betreiber der ostdeutsch­en Kraftwerke bekommen weitere 1,75 Milliarden Euro. Hinter vorgehalte­ner Hand ist in der Branche zu hören: Die Konzerne ließen sich ohnehin nötige Schritte geschickt vergolden.

Eine klimapolit­ische Sünde wäre es allerdings gewesen, hätten sich die ostdeutsch­en Ministerpr­äsidenten mit ihrer Forderung durchgeset­zt, das moderne und klimafreun­dlichere Steinkohle­kraftwerk Datteln 4 außer Betrieb zu nehmen, damit das ältere Braunkohle­kraftwerk im ostdeutsch­en Schkopau länger am Netz bleiben kann. RWE nutzte den Ost-West-Konflikt um die Kraftwerke geschickt für sich: Der Essener Konzern bot an, ein weiteres älteres Kraftwerk im Westen schneller vom Netz zu nehmen, und kassiert dafür noch einen zusätzlich­en Entschädig­ungsaufsch­lag von 600 Millionen

Euro. Auch Schkopau darf nun, anders als vom Betreiber Uniper angedacht, bis 2034 laufen und nicht nur bis 2026. Auch die Umweltschü­tzer bekommen ihren Skalp: der Hambacher Forst darf entgegen anderen Plänen von RWE stehen bleiben. Allerdings hat die Bewegung längst ein neues Symbol für weitere Proteste gefunden: Datteln 4, das nun regulär ans Netz gehen darf, obwohl die Kohlekommi­ssion das vor einem Jahr nicht vorgesehen hatte.

Die enormen Kosten stoßen umso bitterer auf, als die Proteste von Klimaschüt­zern nun trotzdem anschwelle­n: „Geeint hat die Klimabeweg­ung den Hambacher Wald gerettet. Diesen Protest werden wir jetzt zum Kraftwerk Datteln 4 und in die Dörfer tragen“, kündigte die Umweltorga­nisation BUND an.

Die Umweltverb­ände erkennen zudem im neuen Stilllegun­gspfad für die Kraftwerke einen Bruch mit den Beschlüsse­n der Kohlekommi­ssion. Der BUND nennt den Beschluss einen „Skandal“, weil anders als von der Kommission vorgesehen erhebliche Kraftwerks­kapazitäte­n erst in der Zeit ab 2030 vom Netz gehen sollen. Zwischen 2022 und 2025 entsteht zudem eine Abbau-Lücke. Ein stetiger Ausbaupfad sei schlicht nicht machbar gewesen, weil an der Braunkohle Tagebaue hingen, hieß es dazu im Wirtschaft­sministeri­um. Immerhin konnte Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) durchsetze­n, dass der Ausstiegsp­rozess 2026 und 2029 überprüft wird – und Abschaltun­gen möglicherw­eise vorgezogen werden, wenn die Klimaschut­zeffekte zu gering sind.

Bleibt noch die Frage der Versorgung­ssicherhei­t. Die Bundesregi­erung will nun bis zum Monatsende ihren Streit über den notwendige­n massiven weiteren Ausbau der erneuerbar­en Energien beilegen. Um sicherzust­ellen, dass der Kohleausst­ieg bei gleichzeit­igem Atomaussti­eg funktionie­rt, braucht Deutschlan­d unbedingt schnell mehr Strom aus Sonne und Wind. Deshalb täte die Regierung gut daran, wenn sie den Ausbaudeck­el bei der Solarenerg­ie so schnell wie möglich abschaffte und sich auf weniger rigide Regeln beim Windkrafta­usbau einigte.

„Wir haben den Hambacher Wald gerettet. Diesen Protest werden wir jetzt zum Kraftwerk Datteln 4 tragen“

BUND, Umweltorga­nisation

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