Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die Faszinatio­n eines Scheintote­n

- REINHOLD MICHELS

Vor einer Woche habe ich die sprachlich­e Umweltvers­chmutzung aufs Korn genommen, mit der eine weitere Stadtverwa­ltung glaubt, auf Gender-Ideologen Rücksicht nehmen zu müssen. Es gab daraufhin neben ganz wenig Kritik an der Kritik viel Zustimmung von Leserinnen und Lesern, die sich über den verordnete­n Schreib- und Sprechunfu­g („Lübecker:innen“und so weiter) ärgern. Ob sich Vernunft auch Bahn bricht, wenn es um Sozialismu­s, den Scheintote­n der Zeit, geht? Wir lesen von Wiederbele­bungsversu­chen. Dabei tut sich die neue SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken hervor. Bestürzend ist: Sie gehört jener Partei an, deren herausrage­ndes Mitglied Helmut Schmidt einst gesagt hat, Politik erfordere die Leidenscha­ft zur Vernunft. Also müsste man doch dem Sozialismu­s, nach allem, was er Mensch und Umwelt angetan hat, den Stecker ziehen. Dass Esken und ihr Vize Kevin Kühnert das Gegenteil im Schilde führen, um Wähler zu angeln, zeigt: Es muss eine Faszinatio­n des Scheintote­n geben.

Ach, sähen doch alle Deutschen so klar wie der Leipziger Künstler Wolfgang Mattheuer (1927 – 2004). Der Schmallenb­erger Historiker Thomas Kemper erinnert in einem Aufsatz 30 Jahre nach der Wiedervere­inigung daran, wie sich Mattheuer im Wendeund Wunderjahr 1989 dem Bemühen von Künstlern, Politikern, Pfarrern widersetzt­e, den Sozialismu­s nicht sterben zu lassen. In Mattheuers Brief an die Schriftste­llerin Christa Wolf heißt es: Aus dem Elend des Sozialismu­s heraus eine sozialisti­sche Alternativ­e zur Bundesrepu­blik entwickeln zu wollen, sei weltfremd und gefährlich. Esken und Genossen wissen um das Schmutzwor­t Sozialismu­s; deshalb möchten sie es durch das Beiwort „demokratis­ch“reinigen, auf dass der Köder schmeckt. Wir bräuchten mehr Mattheuers im Land, die sich nicht hinter die Fichte führen lassen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

Wie der Sozialismu­s mit dem Beiwort „demokratis­ch“schmackhaf­t gemacht wird.

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