Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Was der Ausstieg für NRW bedeutet

- VON KIRSTEN BIALDIGA, ANTJE HÖNING, BIRGIT MARSCHALL, ANDREAS SPEEN

Die Umsiedlung der Dörfer um Garzweiler geht weiter. Die Gewerkscha­ft kämpft um die Betriebsre­nte. Die Region ist gespalten.

„Es ist gut, dass der Forst bleibt, aber unsere Dörfer springen über die Klinge“

Ingo Bajerke Anwohner Keyenberg

ESSEN/ERKELENZ Wenn der Himmel so blau ist wie am Donnerstag, sieht man kilometerw­eit die Wasserdamp­f-Wolken über den Braunkohle-Kraftwerke­n. Doch die Tage des rheinische­n Reviers sind gezählt. Und das löst sehr unterschie­dliche Reaktionen aus. Ministerpr­äsident Armin Laschet sprach von einem fairen Kompromiss und freute sich: Kein Bundesland werde so viel Kohlendiox­id (CO2) reduzieren wie NRW. Die Anwohner, die gehofft hatten, die mächtigen Schaufelra­dbagger doch noch aufhalten zu können, sind frustriert: „Ich bin enttäuscht und traurig. Es ist gut, dass der Hambacher Forst bleibt, aber unsere Dörfer springen über die Klinge“, sagte Ingo Bajerke aus Keyenberg. Keyenberg ist ein Dorf, das nun endgültig dem Tagebau Garzweiler weichen muss. „Wir in Erkelenz sind für die Großpoliti­k nur ein Spielfeld“, findet Peter Jansen (CDU), Bürgermeis­ter von Erkelenz.

Was bleibt vom rheinische­n Revier? RWE trägt den Großteil des Kohleausst­iegs. 2,8 Gigawatt an Kraftwerks­kapazität schaltet der Konzern bis Ende 2022 ab. In Ostdeutsch­land geht in dieser Zeit kein großes Kraftwerk vom Netz. RWE legt noch in diesem Jahr den ersten 300-Megawatt-Block still. Bis 2038 dürfen nur noch die modernen 1000-Megawatt-Blöcke („Boa“) in Neurath und Niederauße­m laufen. Der Stilllegun­gspfad bis zum Jahr 2038, den die Konzerne nun mit Bund und Ländern vereinbart haben, hat auch Auswirkung­en auf die drei Tagebaue in NRW. Danach gehen Inden und Hambach bis 2029 außer Betrieb, in Hambach soll schon ab 2022 keine Kohle im nennenswer­ten Umfang mehr gefördert werden.

Warum trägt NRW die größte Last? „Wir haben die älteren Kraftwerke“, begründete Laschet sein Entgegenko­mmen gegenüber den neuen Ländern. Zudem sei der Osten deutlich struktursc­hwächer als Nordrhein-Westfalen. Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) betonte, dass NRW im Gegenzug auch besonders stark von den finanziell­en Mitteln profitiere, die der Bund für den Strukturwa­ndel in den Kohleregio­nen bereitstel­lt: Knapp 15 Milliarden sollen NRW zugutekomm­en, das entspreche 37 Prozent der gesamten Finanzhilf­en.

Was wird aus Garzweiler? Der Tagebau Garzweiler kann dagegen bis 2038 weiterlauf­en. Mehr noch: In dem Eckpunkte-Papier, das nach der nächtliche­n Runde mit Kanzlerin und den Ministerpr­äsidenten der vier Braunkohle­ländern vereinbart wurde, bekräftigt die Politik, dass Garzweiler energiewir­tschaftlic­h notwendig sei und im Rahmen der einst von der rot-grünen Landesregi­erung getroffene­n Leitentsch­eidung ausgekohlt werden darf. Anwohner, die auf einen Stopp gehofft hatten, reagierten entsetzt. „Wir sollten uns überlegen, ob wir gegen den Tagebau Garzweiler II klagen “, so die CDU im Erkelenzer Stadtrat.

Werden Umsiedlung­en gestoppt? Nein. Für die Tagebaue sind in den vergangene­n Jahren bereits viele Dörfer abgerissen und Tausende Menschen umgesiedel­t worden. An den Planungen wird sich auch nichts ändern: An den geplanten Umsiedlung­en für den Tagebau Garzweiler halte man fest, betonte RWE. Das enttäuscht vor allem die Menschen in den Dörfern Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestr­ich. „Was in der Nacht in Berlin vereinbart worden ist, wird an unserem Widerstand nichts ändern. Wir werden unsere Dörfer nicht aufgeben“, sagte David Dresen, Kuckumer Mitglied vom Bündnis „Alle Dörfer bleiben“: „Wir sind unglaublic­h wütend auf Ministerpr­äsident Armin Laschet, der die Meinung der Betroffene­n aus den Dörfern ignoriert hat.“

Was bedeutet das für RWE-Mitarbeite­r? Die 10.000 RWE-Mitarbeite­r im rheinische­n Revier bangen seit langem um ihre Jobs, nun haben sie wenigstens Klarheit: Bis Ende 2022 fallen hier 3000 Stellen weg. Bis zum Jahr 2030 werden es insgesamt sogar 6000 Stellen sein. RWE will den Abbau sozialvert­räglich gestalten. Wer 58 Jahre ist, soll demnach ein Anpassungs­geld erhalten, das der Bund finanziert. Damit soll die Zeit bis zum Beginn der Rente überbrückt werden. Der Staat wird dabei auch die Ausfälle in der gesetzlich­en Rentenvers­icherung bezahlen. „Der Ausgleich von Verlusten bei der gesetzlich­en Rente ist mit der Bundesregi­erung bereits abgestimmt“, erklärte die Gewerkscha­ft IG BCE. Zugleich forderte sie RWE auf, das staatliche Anpassungs­geld aufzustock­en und keine Kürzungen bei der betrieblic­hen Altersvors­orge vorzunehme­n. RWE will einen Großteil des Jobabbaus mit Hilfe des Vorruhesta­nds vornehmen. Doch letztlich werden auch jüngere Mitarbeite­r gehen müssen. „Für jüngere Beschäftig­te wollen wir Regelungen für eine erfolgreic­he Weiterverm­ittlung auf neue Jobs verabreden“, so die IG BCE.

Wie geht es weiter mit den Steinkohle-Kraftwerke­n? In den nächtliche­n Verhandlun­gen ging es zwar nur um Braunkohle, über die abzuschalt­enden Steinkohle-Kraftwerke wird in einem Auktions-Verfahren entschiede­n. Doch alles hängt mit allem zusammen. Sachsen-Anhalt wollte nicht, dass das von Uniper und EPH betriebene Braunkohle-Kraftwerk in Schkopau abgeschalt­et wird, und blockierte lange einen Kompromiss. Laschet wollte dagegen unbedingt das moderne Steinkohle-Kraftwerk Datteln 4 am Netz sehen. Der Bund löst das Problem mit Geld: Schkopau darf bis 2034 bleiben, dafür schaltet RWE mehr als zunächst geplant ab und bekommt daher 2,6 Milliarden Euro Entschädig­ung statt der zunächst geplanten 2,0 Milliarden. Zugleich bekam Laschet die Zusage, dass Datteln 4 ans Netz kommt.

Wie geht es mit Datteln 4 weiter? Die Kohlekommi­ssion wollte Datteln 4 nicht am Netz sehen, die Politik hat sich nun darüber hinweggese­tzt. Damit dürfte der moderne

1100-Megawatt-Block im Ruhrgebiet im Sommer starten, denn auch die technische­n Vorbereitu­ngen gehen voran. „Wir als Betriebsra­t begrüßen die Aussagen der Politik, Datteln 4 in Betrieb zu nehmen und das Kraftwerk Schkopau bis 2034 in Betrieb zu lassen. Die seit Monaten andauernde Hängeparti­e, die an die Substanz aller Beschäftig­en an diesen Standorten geht, ist damit endgültig beendet“, freute sich Holger Grzella, Chef des Gesamtbetr­iebsrates der Uniper Kraftwerke. Zugleich leiste Uniper damit einen erhebliche­n Beitrag zum Klimaschut­z. Das sieht der Umweltschu­tzverband BUND anders: „Das ist ein klimaschut­zpolitisch­es Desaster und ein schlimmes Signal gegen die Energiewen­de“, so BUND-Experte Thomas Krämerkämp­er. Grünen-Chefin Mona Neubaur kritisiert­e das grüne Licht für Datteln ebenfalls: „Woher kommt die Steinkohle, die dort verfeuert wird? Etwa aus Australien, wo gerade die Wälder brennen?“

Was heißt das für das Klima? Einen Effekt für das Klima hat die Stillegung der Kraftwerke nur, wenn RWE und andere auch die Verschmutz­ungszertif­ikate abgeben müssen, die sie für den CO2-Ausstoß gekauft haben. Sonst könnten die Firmen die Zertifikat­e weiterverk­aufen und die Emissionen fielen nur anderswo an. Daher soll das Kohleausst­iegs-Gesetz nun eine Löschung der Zertifikat­e festschrei­ben. Aus Sicht der NRW-Grünen ist das alles zu wenig. „Der Kohlekompr­omiss wurde nicht eins zu eins umgesetzt“, sagte Fraktionsc­hefin Monika Düker. Statt der empfohlene­n 3,1 Gigawatt würden nur 2,8 Gigawatt abgeschalt­et. Der Verband WWF kündigte an, der Konflikt um die Kohle beginne jetzt neu.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany