Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Was der Ausstieg für NRW bedeutet
Die Umsiedlung der Dörfer um Garzweiler geht weiter. Die Gewerkschaft kämpft um die Betriebsrente. Die Region ist gespalten.
„Es ist gut, dass der Forst bleibt, aber unsere Dörfer springen über die Klinge“
Ingo Bajerke Anwohner Keyenberg
ESSEN/ERKELENZ Wenn der Himmel so blau ist wie am Donnerstag, sieht man kilometerweit die Wasserdampf-Wolken über den Braunkohle-Kraftwerken. Doch die Tage des rheinischen Reviers sind gezählt. Und das löst sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Ministerpräsident Armin Laschet sprach von einem fairen Kompromiss und freute sich: Kein Bundesland werde so viel Kohlendioxid (CO2) reduzieren wie NRW. Die Anwohner, die gehofft hatten, die mächtigen Schaufelradbagger doch noch aufhalten zu können, sind frustriert: „Ich bin enttäuscht und traurig. Es ist gut, dass der Hambacher Forst bleibt, aber unsere Dörfer springen über die Klinge“, sagte Ingo Bajerke aus Keyenberg. Keyenberg ist ein Dorf, das nun endgültig dem Tagebau Garzweiler weichen muss. „Wir in Erkelenz sind für die Großpolitik nur ein Spielfeld“, findet Peter Jansen (CDU), Bürgermeister von Erkelenz.
Was bleibt vom rheinischen Revier? RWE trägt den Großteil des Kohleausstiegs. 2,8 Gigawatt an Kraftwerkskapazität schaltet der Konzern bis Ende 2022 ab. In Ostdeutschland geht in dieser Zeit kein großes Kraftwerk vom Netz. RWE legt noch in diesem Jahr den ersten 300-Megawatt-Block still. Bis 2038 dürfen nur noch die modernen 1000-Megawatt-Blöcke („Boa“) in Neurath und Niederaußem laufen. Der Stilllegungspfad bis zum Jahr 2038, den die Konzerne nun mit Bund und Ländern vereinbart haben, hat auch Auswirkungen auf die drei Tagebaue in NRW. Danach gehen Inden und Hambach bis 2029 außer Betrieb, in Hambach soll schon ab 2022 keine Kohle im nennenswerten Umfang mehr gefördert werden.
Warum trägt NRW die größte Last? „Wir haben die älteren Kraftwerke“, begründete Laschet sein Entgegenkommen gegenüber den neuen Ländern. Zudem sei der Osten deutlich strukturschwächer als Nordrhein-Westfalen. Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) betonte, dass NRW im Gegenzug auch besonders stark von den finanziellen Mitteln profitiere, die der Bund für den Strukturwandel in den Kohleregionen bereitstellt: Knapp 15 Milliarden sollen NRW zugutekommen, das entspreche 37 Prozent der gesamten Finanzhilfen.
Was wird aus Garzweiler? Der Tagebau Garzweiler kann dagegen bis 2038 weiterlaufen. Mehr noch: In dem Eckpunkte-Papier, das nach der nächtlichen Runde mit Kanzlerin und den Ministerpräsidenten der vier Braunkohleländern vereinbart wurde, bekräftigt die Politik, dass Garzweiler energiewirtschaftlich notwendig sei und im Rahmen der einst von der rot-grünen Landesregierung getroffenen Leitentscheidung ausgekohlt werden darf. Anwohner, die auf einen Stopp gehofft hatten, reagierten entsetzt. „Wir sollten uns überlegen, ob wir gegen den Tagebau Garzweiler II klagen “, so die CDU im Erkelenzer Stadtrat.
Werden Umsiedlungen gestoppt? Nein. Für die Tagebaue sind in den vergangenen Jahren bereits viele Dörfer abgerissen und Tausende Menschen umgesiedelt worden. An den Planungen wird sich auch nichts ändern: An den geplanten Umsiedlungen für den Tagebau Garzweiler halte man fest, betonte RWE. Das enttäuscht vor allem die Menschen in den Dörfern Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich. „Was in der Nacht in Berlin vereinbart worden ist, wird an unserem Widerstand nichts ändern. Wir werden unsere Dörfer nicht aufgeben“, sagte David Dresen, Kuckumer Mitglied vom Bündnis „Alle Dörfer bleiben“: „Wir sind unglaublich wütend auf Ministerpräsident Armin Laschet, der die Meinung der Betroffenen aus den Dörfern ignoriert hat.“
Was bedeutet das für RWE-Mitarbeiter? Die 10.000 RWE-Mitarbeiter im rheinischen Revier bangen seit langem um ihre Jobs, nun haben sie wenigstens Klarheit: Bis Ende 2022 fallen hier 3000 Stellen weg. Bis zum Jahr 2030 werden es insgesamt sogar 6000 Stellen sein. RWE will den Abbau sozialverträglich gestalten. Wer 58 Jahre ist, soll demnach ein Anpassungsgeld erhalten, das der Bund finanziert. Damit soll die Zeit bis zum Beginn der Rente überbrückt werden. Der Staat wird dabei auch die Ausfälle in der gesetzlichen Rentenversicherung bezahlen. „Der Ausgleich von Verlusten bei der gesetzlichen Rente ist mit der Bundesregierung bereits abgestimmt“, erklärte die Gewerkschaft IG BCE. Zugleich forderte sie RWE auf, das staatliche Anpassungsgeld aufzustocken und keine Kürzungen bei der betrieblichen Altersvorsorge vorzunehmen. RWE will einen Großteil des Jobabbaus mit Hilfe des Vorruhestands vornehmen. Doch letztlich werden auch jüngere Mitarbeiter gehen müssen. „Für jüngere Beschäftigte wollen wir Regelungen für eine erfolgreiche Weitervermittlung auf neue Jobs verabreden“, so die IG BCE.
Wie geht es weiter mit den Steinkohle-Kraftwerken? In den nächtlichen Verhandlungen ging es zwar nur um Braunkohle, über die abzuschaltenden Steinkohle-Kraftwerke wird in einem Auktions-Verfahren entschieden. Doch alles hängt mit allem zusammen. Sachsen-Anhalt wollte nicht, dass das von Uniper und EPH betriebene Braunkohle-Kraftwerk in Schkopau abgeschaltet wird, und blockierte lange einen Kompromiss. Laschet wollte dagegen unbedingt das moderne Steinkohle-Kraftwerk Datteln 4 am Netz sehen. Der Bund löst das Problem mit Geld: Schkopau darf bis 2034 bleiben, dafür schaltet RWE mehr als zunächst geplant ab und bekommt daher 2,6 Milliarden Euro Entschädigung statt der zunächst geplanten 2,0 Milliarden. Zugleich bekam Laschet die Zusage, dass Datteln 4 ans Netz kommt.
Wie geht es mit Datteln 4 weiter? Die Kohlekommission wollte Datteln 4 nicht am Netz sehen, die Politik hat sich nun darüber hinweggesetzt. Damit dürfte der moderne
1100-Megawatt-Block im Ruhrgebiet im Sommer starten, denn auch die technischen Vorbereitungen gehen voran. „Wir als Betriebsrat begrüßen die Aussagen der Politik, Datteln 4 in Betrieb zu nehmen und das Kraftwerk Schkopau bis 2034 in Betrieb zu lassen. Die seit Monaten andauernde Hängepartie, die an die Substanz aller Beschäftigen an diesen Standorten geht, ist damit endgültig beendet“, freute sich Holger Grzella, Chef des Gesamtbetriebsrates der Uniper Kraftwerke. Zugleich leiste Uniper damit einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz. Das sieht der Umweltschutzverband BUND anders: „Das ist ein klimaschutzpolitisches Desaster und ein schlimmes Signal gegen die Energiewende“, so BUND-Experte Thomas Krämerkämper. Grünen-Chefin Mona Neubaur kritisierte das grüne Licht für Datteln ebenfalls: „Woher kommt die Steinkohle, die dort verfeuert wird? Etwa aus Australien, wo gerade die Wälder brennen?“
Was heißt das für das Klima? Einen Effekt für das Klima hat die Stillegung der Kraftwerke nur, wenn RWE und andere auch die Verschmutzungszertifikate abgeben müssen, die sie für den CO2-Ausstoß gekauft haben. Sonst könnten die Firmen die Zertifikate weiterverkaufen und die Emissionen fielen nur anderswo an. Daher soll das Kohleausstiegs-Gesetz nun eine Löschung der Zertifikate festschreiben. Aus Sicht der NRW-Grünen ist das alles zu wenig. „Der Kohlekompromiss wurde nicht eins zu eins umgesetzt“, sagte Fraktionschefin Monika Düker. Statt der empfohlenen 3,1 Gigawatt würden nur 2,8 Gigawatt abgeschaltet. Der Verband WWF kündigte an, der Konflikt um die Kohle beginne jetzt neu.