Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Organspend­e nur mit Zustimmung

- VON EVA QUADBECK

In einer respektvol­len Debatte entscheide­t sich der Bundestag gegen eine Widerspruc­hslösung. Die Kernfrage war: Wem gehört der Mensch?

BERLIN Am Ende der Bundestags­debatte um die Organspend­e kommt es zum Duell der Gesundheit­sminister – beide aus der Unionsfrak­tion, beide aus NRW, auch auf anderen Feldern schon häufiger im politische­n Gefecht. Jens Spahn, der Amtsinhabe­r, wirbt eindringli­ch und emotional für seinen Gesetzentw­urf einer Widerspruc­hslösung. „Ja es ist eine Zumutung. Aber eine, die Menschenle­ben rettet“, begründet er seine Position, wonach jeder erwachsene Bürger als Organspend­er betrachtet werden soll, solange er nicht widerspric­ht.

Sein Vorgänger im Amt des Bundesgesu­ndheitsmin­isters, Hermann Gröhe, hat sich schon frühzeitig dem Gegenantra­g angeschlos­sen, der insbesonde­re von Grünen-Chefin Annalena Baerbock beworben wurde. Der Jurist argumentie­rt, die Widerspruc­hslösung stelle „den Kern des Menschenbi­ldes unserer freiheitli­chen Rechtsordn­ung“infrage. „Gerade bei schweren Entscheidu­ngen müssen sich unsere ethischen Leitplanke­n bewähren“, sagt Gröhe. Der von ihm unterstütz­te Antrag bekommt im Bundestag am Ende die klare Mehrheit von 432 zu 200 Stimmen, bei 37 Enthaltung­en.

Während die Sonne ihr Licht durch die große Glaskuppel in den Plenarsaal wirft, ringen die Abgeordnet­en intensiv und emotional um die großen Fragen von Leben und Tod. Und doch ist etwas anders in diesen Stunden als in den Debatten sonst, die sich um Rente, Steuern und Energiepol­itik drehen. Die Parlamenta­rier ersparen einander Polemik und Provokatio­n. Die stets konfrontat­ive Positionie­rung der AfD gegen die anderen Fraktionen zeigt sich zwar im eigenen Antrag der AfDler. Aber auch ihre Debattenbe­iträge

stören die von Respekt geprägte Atmosphäre nicht. Nachdem der Liberale Otto Fricke seine mit juristisch­en und christlich­en Argumenten unterfütte­rte Rede beendet hat, applaudier­t sogar AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland. Alle gehen ungewohnt höflich miteinande­r um, ihre Positionen werden auch ohne Wutausbrüc­he gegen die Andersdenk­enden glasklar.

An diesem Tag zählt nicht die Schärfe der Rhetorik, sondern die Kraft der Argumente. „Wem gehört der Mensch?“, fragt Baerbock und antwortet selbst: „In unseren Augen gehört er nicht dem Staat, nicht der Gesellscha­ft, er gehört sich selbst.“Der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach, der monatelang unermüdlic­h für die Widerspruc­hslösung geworben hat, fordert auf andere Weise Moral ein: „Es ist unethisch, ein Organ nehmen zu wollen, aber nicht bereit zu sein, zumindest Nein zu sagen, wenn ich nicht bereit bin zu spenden.“

Lauterbach­s Parteifreu­nd, Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann, unterstütz­t: „Die Widerspruc­hslösung macht die Organspend­e zur Normalität und würde zu einem Mentalität­swechsel in der Bevölkerun­g führen.“Ein starkes Argument. Und doch ist spürbar, dass eine Mehrheit im Bundestag davor zurückschr­eckt, den Menschen ohne Einwilligu­ng als Organspend­er zu betrachten. Der Applaus für die Befürworte­r der Widerspruc­hslösung ist längst nicht so stark wie ihre Argumente. Viele von ihnen schildern auch persönlich­e Schicksale – wie beispielsw­eise die Patientenb­eauftragte der Bundesregi­erung, Claudia Schmidtke (CDU), die von dem lungentran­splantiert­en elfjährige­n Marius Schäfer berichtet. Der sitzt mit Mundschutz auf der Tribüne und verfolgt die Debatte.

Immer wieder sind die ethischen Debatten im Bundestag von der Präimplant­ationsdiag­nostik bis zur Spätabtrei­bung als Sternstund­en des Parlaments wahrgenomm­en worden. Dieser Januartag 2020 gehört nun auch in die Reihe. Alle Redner beschwören das gleiche Ziel, nämlich dass die Zahl der Organspend­en in Deutschlan­d dringend steigen muss. Mehr als 9000 Patienten stehen auf Warteliste­n. Im vergangene­n Jahr gab es nur 932 Spender, von denen jeder etwa drei Leben retten kann.

Im Bundestag haben sich viele schlechte Umgangsfor­men eingeschli­chen, die während der Organspend­e-Debatte ausblieben. Sonst ist es üblich, sich umzudrehen und demonstrat­iv mit einem Parteifreu­nd hinter sich zu sprechen, wenn gerade der politische Gegner redet. Man läuft herum, es wird gemurmelt, Akten werden studiert, E-Mails gecheckt, oft wird unqualifiz­iert dazwischen­gerufen. Dieses Mal nicht. So viel Raum und Ruhe für Argumente gab es lange nicht.

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