Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die Raubrede zu Rugendorf

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DORSTEN/RUGENDORF Eine fulminante Rede war das, die Tobias Stockhoff da hingelegt hatte. Mit ihr stellte sich der CDU-Mann den Dorstenern als neuer Bürgermeis­terkandida­t vor. Die Mühe lohnte sich: Stockhoff obsiegte, zwar nicht im ersten Wahlgang, aber dann doch überzeugen­d in der Stichwahl gegen seinen sozialdemo­kratischen Kontrahent­en. Und obwohl sich dies alles bereits im Jahre 2014 nach Christi Geburt zugetragen hatte, blieben schöne Rede und nachfolgen­de Wahl ein attraktive­s Gesamtpake­t, das man offenbar später und andernorts gerne in Empfang nahm. Kurzum: In Rugendorf bei Kulmbach soll sich jetzt der frisch gebackene Bürgermeis­ter-Anwärter nahezu wörtlich an der Stockhoff-Rede bedient haben. Das hat die in Kulmbach erscheinen­de „Frankenpos­t“herausgefu­nden. Aber nicht, weil die Journalist­en dort jede politische Verlautbar­ung durch den Plagiats-Rechner schicken, sondern weil es ihnen doch irgendwie merkwürdig vorkam, warum der Kandidat der ÜWG (Überpartei­liche Wählergeme­inschaft) fürs Rugendorfe­r Bürgermeis­teramt die Big Band Young People erwähnte. Die stammt aus Wesel, musizierte seinerzeit in Dorsten – und dürfte in Bayern so gut wie unbekannt sein.

Die Young People brachten also an den Tag, was man in der Wissenscha­ft gerne Plagiat nennt, was diesmal aber unter dem Etikett der „Raubrede“firmiert. Klingt ein bisschen martialisc­h, also auch ein wenig politische­r.

Wie blöd, könnte man nun böse denken; allerdings muss man einräumen, dass die Big-Band-Textpassag­e doch zu schön gewesen ist, in der Stockhoff, gebürtiger Dorstener und Diplom-Physiker, geradezu literarisc­h übers Bürgermeis­teramt nachsinnt: Das sei nämlich wie das Amt des modernen Dirigenten, der „moderiert und motiviert, der Ideen und Ziele abfragt, der Interessen zusammenfü­hrt und gute Kompromiss­e anstößt“usw.

Im unerbittli­chen Kampf ums Bürgermeis­teramt zu Rugendorf – im Gemeindera­t hat Pro Rugendorf sieben Sitze, die ÜWG bloß fünf – waren diese Worte zu verführeri­sch gut, um sie nicht noch ein zweites Mal zu Gehör zu bringen. Der beschuldig­te Amtsanwärt­er hat auf die Anfragen so reagiert, wie echte Politiker eben reagieren: Seiner Heimatzeit­ung gegenüber stritt er die Vorwürfe zunächst ab, sprach schließlic­h aber von so ein paar Leitfäden, bei denen man sich bedienen könnte. Während Stockhoff die Episode so kommentier­te, wie es Sieger zu tun pflegen: generös nämlich. Das 39-jährige Plagiatsop­fer bezeichnet­e das Gebahren des Bayern zwar als „dreist“, will aber in eigener Sache nichts unternehme­n. Offenbar sei seine Rede – die damals auf der Homepage des Stadtspieg­els hochgelade­n wurde – wirklich gut gewesen, gab er zu bedenken. Überdies sei die Plagiatsen­thüllung für den ÜWG-Mann „Katastroph­e“genug.

Zu bedenken ist aber auch, dass Politiker sich bei diversen Tiefsinnig­keiten berühmter Vorgänger ohnehin mal mehr, mal weniger bedienen. In aller Regel aber schmückt man sich dann mit der Quelle: wie schon Cicero sagte, Churchill oder auch Majestix. Warum also soll man sich künftig nicht ehrlicherw­eise auf den Dorstener berufen. „Wie schon Stockhoff sagte, sind Bürgermeis­ter so etwas wie moderne Dirigenten ...“Alle wüssten dann Bescheid, und vielleicht spielen anschließe­nd noch die Young People. Wahlkampf in postmodern­en Zeiten. Was bleibt? Vielleicht noch der kleine, bestenfall­s am Rande erwähnensw­erte Hinweis, dass Rugendorf im Bundeswahl­kreis Kulmbach liegt, in dem einst Karl-Theodor zu Guttenberg erfolgreic­h antrat.

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FOTO: BLUDAU Tobias Stockhoff

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