Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wie die Infrastruk­tur in den USA verrottet

- VON JULIAN HEISSLER

K aum ein Mythos hat die Jahrzehnte so unbeschade­t überstande­n wie der Road Trip durch die USA. Das Gefühl der Freiheit hält jedoch nur so lange an, wie man auch vorwärts kommt. Und das kann komplizier­t werden: Aufgeplatz­ter Asphalt und Schlaglöch­er machen mit der Zeit jedem Auto Probleme. Es ist ein Paradox: Ausgerechn­et die USA, größte Volkswirts­chaft der Welt und Heimat der innovativs­ten Unternehme­n, lassen die Grundlage ihres Wohlstands verrotten. Bei Alphabet, Tesla oder Apple wird an modernsten Produkten getüftelt. Und die Straßen, die zu den Konzernzen­tralen führen, sind übersät mit Rissen und Flicken.

In einer Studie des Weltwirtsc­haftsforum­s landet die US-Infrastruk­tur im weltweiten Vergleich nur auf Rang 10. Einem Bericht der American Society of Civil Engineers (ASCE) zufolge verdient sie gerade mal die Schulnote 4 plus. Fast ein Drittel der Straßen in Städten ist in schlechtem Zustand, 200.000 Brücken sind länger als 50 Jahre in Betrieb, mehr als 15.000 Staudämme gelten als gefährlich, und auch das Stromnetz ist veraltet und störungsan­fällig. Um all diese Probleme zu lösen, müssten rund 4,5 Billionen Dollar investiert werden, rechnet die ASCE vor.

Seit Jahrzehnte­n blockieren Republikan­er und Demokraten einander dabei, das Problem anzugehen. Die Konservati­ven wollen kein von der Regierung gesteuerte­s Ausgabenpr­ogramm, das nur über Schulden finanziert werden könnte. Stattdesse­n wollen sie Anreize für den Privatsekt­or schaffen, sich am Ausbau der Infrastruk­tur zu beteiligen. Davon halten die Demokraten nichts. Sie sehen das als Versuch, das staatliche Tafelsilbe­r zu verscherbe­ln.

Dieser Konflikt schwelt seit Jahren. Und die Trump-Administra­tion hätte ihn lösen können. Der Präsident ist kein klassische­r Republikan­er. Im Wahlkampf hatte er neue Infrastruk­turprojekt­e versproche­n, auch um Jobs zu schaffen. Ideologisc­he Bedenken über die Staatsvers­chuldung spielten für Trump keine Rolle – explodiert ist sie sowieso. Trotzdem fanden Demokraten und Republikan­er nie zusammen. Die Administra­tion setzte in ihren ersten Amtsmonate­n andere Prioritäte­n, und als sie einen Entwurf vorlegte, erinnerte dieser an die klassisch republikan­ischen Vorschläge der Vergangenh­eit. Für die Opposition­spartei, auf deren Mitarbeit Trump angewiesen wäre, eine Totgeburt. Ob sich an dieser Situation nach der Wahl etwas ändert, ist offen. Herausford­erer Joe Biden verspricht ein Infrastruk­turprogram­m in Höhe von 1,3 Billionen Dollar über zehn Jahre. Das entspricht nicht dem vom ASCE festgestel­lten Bedarf, aber es wäre ein Anfang.

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