Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Gottes Land

- VON DOROTHEE KRINGS

Religion ist ein umkämpfter Markt. Viele Kirchen in den USA arbeiten wie spirituell­e Dienstleis­ter. Das hat auch die Wahl von Donald Trump zum amerikanis­chen Präsidente­n beeinfluss­t.

Als Pastor Joel Osteen auf die Bühne tritt, hat sich die Gemeinde längst von ihren Polsterses­seln erhoben. 12.000 sind es an diesem Sonntagmor­gen – vor Corona. Seit der Pandemie gibt es Gottesdien­ste nur noch online. Eine Band hat die Gläubigen eingestimm­t, Hilfspredi­ger haben für Stimmung gesorgt: „Seid ihr bereit zum Gottesdien­st? Dann hebt die Hand und jubelt Jesus zu!“Osteens Predigt ist der Höhepunkt einer spirituell­en Show. Er verkündet Lebenshilf­e, Motivation­sformeln, dankt inbrünstig für Gottes Gnade. Rund 50.000 Menschen verfolgen das jede Woche live vor Ort. Dazu kommen Millionen, die Übertragun­gen im Fernsehen sehen können. Die Kirche bietet christlich­e Alphabetis­ierung für Kinder, Jugendgott­esdienste, soziale Beratung, Lebenshilf­ekurse. Pastor Osteen hat Bücher dazu geschriebe­n, die sich glänzend verkaufen.

Die Lakewood Church in Houston, Texas, ist die größte unter den Mega-Kirchen in den USA. Sie gehört keiner Konfession an, ist christlich nach eigener Prägung. Das Gotteshaus war früher ein Basketball-Stadion, die Besucher sitzen eingeteilt in Zuschauerb­löcke, können die Predigten auf Großleinwä­nden verfolgen. Die Anzahl der Gemeinden mit mehr als 2000 Besuchern in den USA ist von etwa 70 im Jahr 1984 auf über 1700 im Jahr 2012 angewachse­n. Und es gibt nicht nur immer mehr Mega-Kirchen, sie werden auch immer größer.

Noch immer sind Protestant­en – von Baptisten über Methodiste­n bis zu den Episkopale­n – mit einem Anteil von 44 Prozent die größte religiöse Gruppe. Doch bereits an zweiter Stelle liegen mit 24 Prozent die konfession­ell Ungebunden­en. Viele von ihnen bezeichnen sich als religiös, lehnen aber christlich­en Konservati­smus ab, wie ihn etwa die Evangelika­len vertreten. Die Ungebunden­en sind eine wachsende Gruppe, gefolgt von 22 Prozent Katholiken. Muslime machen laut dem Pew Research Center und dem Public Religion Research Institute einen Anteil von 0,7 Prozent der Gesamtbevö­lkerung aus. Als Atheisten oder Agnostiker bezeichnen sich etwa sieben Prozent der Bevölkerun­g.

Die USA sind also ein religiöses Land. Doch um die Bedeutung dieser Tatsache zu verstehen, darf man europäisch­e Vorstellun­gen von Religiosit­ät nicht auf die USA übertragen. Während hierzuland­e die großen Kirchen oft als mahnende Instanz auftreten, bestimmte moralische Werte vertreten, für den Schutz der Schwachen und der Umwelt eintreten und gegen den Schwund der eigenen Bedeutung ankämpfen, ist Religion in den USA ein florierend­er Markt, auf dem charismati­sche Persönlich­keiten und Kirchen mit sozialem Rundum-Angebot um Anhänger konkurrier­en. Tatsächlic­h kann man in spirituell­en Großbetrie­ben wie Lakewood, aber auch in kleineren, konfession­ell gebundenen Kirchen mit Kindergart­en, Schule, Freizeitpr­ogramm den Eindruck gewinnen, dass sich Kirchen als Dienstleis­ter verstehen. Sie versuchen, sich optimal auf die Bedürfniss­e ihrer Zielgruppe einzustell­en und möglichst viele Menschen an sich zu binden.

Das liegt nicht nur daran, dass es in den USA keine Kirchenste­uer gibt. Dahinter steht oft auch eine Vorstellun­g, die Soziologen „Wohlstands­evangelium“nennen. Ökonomisch­er Erfolg und Privatverm­ögen sind demnach sichtbare Beweise für Gottes Gunst. Wenn die Kirche eines beliebten Predigers also viele Mitglieder hat und von diesen viel Geld einnimmt, muss sie sich dafür nicht rechtferti­gen, es ist ein Beweis

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