Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Ausgerechnet in Deutschland wächst der Antiamerikanismus
D ie Deutschen befürchteten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Strafgericht. Doch die Siegermacht USA verzichtete darauf und half stattdessen der jungen Bundesrepublik bei der Bildung der noch unsicheren Demokratie. Wirtschaftlich unterstützten die Vereinigten Staaten den Aufbau des Landes mit dem legendären Marshall-Plan. Und populär wurden die Amerikaner mit ihrer Luftbrücke nach Berlin, auf der US-Piloten ihr Leben riskierten, um die hungernde Bevölkerung der eingeschlossenen ehemaligen Hauptstadt zu versorgen. Der Höhepunkt der transatlantischen Freundschaft war der Besuch des jugendlichen US-Präsidenten John F. Kennedy 1963 in der Frontstadt Berlin.
Von der Begeisterung für den großzügigen Förderer und Verteidiger in Zeiten des Kalten Krieges ist wenig geblieben. Schon die rebellierende Jugend der späten 60er Jahre verbrannte US-Flaggen wegen des Vietnamkriegs.
Die Proteste gegen den Besuch des konservativen Amtsinhabers Ronald Reagan in den 80er Jahren führten ebenfalls zu gewalttätigen antiamerikanischen Demonstrationen. Und der sprunghafte und selbstverliebte Donald Trump gilt endgültig als Bestätigung dafür, dass die USA eine moralisch verkommene und aggressive Großmacht sind.
Die jüngsten Umfragen sind bezeichnend. Nach Zahlen des US-Meinungsforschungsinstituts Pew haben gerade einmal 39 Prozent der Deutschen eine positive Meinung über die Vereinigten Staaten, weniger als in fast jedem anderen Land Europas. Noch bedenklicher ist, dass nach einer Umfrage
des britischen Instituts Yougov 41 Prozent der Deutschen glauben, dass von den USA die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgehe, während dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem chinesischen Kollegen Xi Jinping eher Weitsicht in weltpolitischen Fragen attestiert wird.
Die Deutschen wenden sich vom einstigen Vorbild in einer Weise ab, die noch 1990, zu Zeiten der Wiedervereinigung, als undenkbar galt. Damals unterstützte vor allem US-Präsident George Bush senior die Einheitspläne Helmut Kohls. Doch Dankbarkeit ist nicht unbedingt eine politische Tugend der Deutschen. Vielmehr besteht hierzulande geradezu eine klammheimliche
Freude, den Amerikanern Defizite vorzuhalten: die angeblich oberflächliche Kultur, die Rolle als Weltpolizist, die Kluft zwischen Arm und Reich und den Anspruch, der Welt ihren Willen aufzuzwingen – ohne Rücksicht auf Verluste.
Der Gießener Soziologe Felix Knappertsbusch hat in seinen empirischen Studien herausgefunden, dass sich Rechte und Linke in ihrem Anti-Amerikanismus ziemlich einig sind, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Während stramm Konservative sich über die USA und ihre Popkultur erheben, geißeln die Linken die imperialistischen Ziele der Außenpolitik und die Unterdrückung von ethnischen Minderheiten. Längst ist der Diskurs in Deutschland antiamerikanisch geprägt. Wer das Land lobt oder gar bewundert, hat es schwer bei Alltagsdiskussionen. Darin spiegelt sich durchaus Selbstgerechtigkeit. Denn erst der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd führte zu Massendemonstrationen in Deutschland. Nach der Aufdeckung
der NSU-Morde, dem tödlichen Anschlag auf Migranten in Hanau oder dem missglückten Attentat auf die Synagoge in Halle gingen viel weniger Menschen hierzulande auf die Straße. Nach den Studien Knappertsbuschs können sich selbst Menschen über den US-Rassismus erregen, die den türkischstämmigen Politiker Cem Özdemir wegen seiner Herkunft als möglichen deutschen Außenminister ablehnen. Das Fazit des Soziologen: Der Antiamerikanismus befördert den deutschen Nationalismus.
Der große Freund jenseits des Atlantiks ist den Deutschen fremd und unheimlich geworden. Dazu hat auch die amerikanische Politik beigetragen, die über die Befindlichkeiten der Verbündeten oft genug einfach hinwegging. Auch die Ignoranz der US-Regierung gegen internationale Verabredungen, sei es in der Rüstung oder im Klimaschutz, heizte das anti-amerikanische Ressentiment hierzulande an. Genauso wie die verstörenden Polizeieinsätze gegen Schwarze.
Doch übersehen wird die Tatsache, dass die USA Auswüchse und Irrfahrten ihrer Politik immer wieder korrigierten. Auf den Imperialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte die demokratische Mission eines Woodrow Wilson, auf den Börsenkapitalismus der 20er Jahre der New Deal von Franklin D. Roosevelt. Und Barack Obama versuchte immerhin, die Kriegspropaganda der neokonservativen Berater George W. Bushs durch vielfältige Friedensaktivitäten abzulösen. Wer Amerika verteufelt, übersieht die zivilisatorischen Kräfte, die von der immer noch starken Führungsnation ausgehen – egal wie sich derzeit der erste Mann des Staates aufführt. Zudem ist gut möglich, dass US-Präsident Trump die Wahl im November sang- und klanglos verliert. Nach Zahlen von Reuters-Ipsos liegt er mit 35 Prozent in einem Umfragetief, während sein Rivale Joe Biden von den Demokraten auf 48 Prozent kommt. Wenn es so kommt, müssen die Antiamerikaner unter den Deutschen wohl oder übel umdenken.
Die USA waren einst das bewunderte Vorbild für die deutsche Nachkriegsdemokratie, jetzt nimmt die Abneigung zu. Doch darein mischen sich viel Selbstgerechtigkeit und eine gehörige Portion Nationalismus.