Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Kampf um die Symbole
Seit Wochen gehen in den USA Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße. Ihre Wut entlädt sich auch an Statuen von Soldaten der Konföderation und deren blau-roter Flagge. Über ein Land, das seinen Bürgerkrieg noch immer nicht verarbeitet hat.
Ob ein Bild zur Ikone wird, entscheiden Kleinigkeiten. Ein kurzer Moment, in dem das Licht genau richtig fällt, der klare Blick auf ein Motiv, das gleichzeitig für sich und für etwas Größeres stehen kann. Geplant ist das meist nicht – so auch im Fall von Brianna Noble. Die 25-jährige Afroamerikanerin nahm am 29. Mai an einer Demonstration der „Black Lives Matter“-Bewegung im kalifornischen Oakland teil. Doch sie kam nicht zu Fuß, sondern zu Pferd – und ihr Bild ging um die Welt.
Gut einen Monat ist das jetzt her. Kurz zuvor war in Minneapolis der Schwarze George Floyd von einem weißen Polizisten getötet worden. Sein Sterben wurde von Passanten gefilmt, auch Brianna Noble sah diese Bilder – und traf eine Entscheidung. „Es war keine geplante Sache. Ich saß zu Hause, war wütend und habe mich hilflos gefühlt“, sagte sie dem britischen „Guardian“. Da habe sie spontan beschlossen, zur Demo zu reiten.
Das Bild, das sie mit erhobener Faust hoch zu Ross zeigt, ist zu einer Ikone der „Black Lives Matter“-Bewegung geworden. „Das Bild ist auch deshalb so stark, weil im kollektiven Gedächtnis der USA und im Mythos des Wilden Westens die Cowboys immer weiß und männlich sind und der Pferdesport in den USA bis heute von wohlhabenden Weißen dominiert ist“, sagt Heike Bungert, Professorin für Nordamerikanische Geschichte an der Universität Münster. „Außerdem konterkariert es das Bild des weißen Eroberers sowie des Sklavenbesitzers zu Pferde.“
Auch andere jahrhundertealte Symbole werden derzeit infrage gestellt, Denkmäler und Straßennamen zum Beispiel, die an angebliche Helden aus Bürgerkriegszeiten erinnern. Rund 700 solcher Monumente
sollen immer noch in Parks, vor Schulen und auf Plätzen stehen, Experten zufolge fließen jedes Jahr viele Millionen Dollar an Steuergeldern in ihre Erhaltung. Prominentes Beispiel ist die Statue des Konföderierten-Generals Robert E. Lee in Richmond, Virginia, das von 1861 bis 1865 Hauptstadt der Südstaaten war. Das Reiterstandbild aus Bronze ragt hoch auf über dem Prachtboulevard Monument Avenue – sein Sockel wurde jedoch vor Kurzem bei einer Demo mit Graffiti besprüht; der demokratische Gouverneur Virginias gab bekannt, das Denkmal abbauen zu wollen.
Das ist allerdings leichter gesagt als getan – ein Richter hat die Demontage inzwischen auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Begründung: Die Statue gehöre dem Volk. Geklagt hatte jemand, der von sich behauptet, ein Nachkomme derjenigen zu sein, die die Statue der Stadt 1890 geschenkt hatten. Denn das durch die Gräuel der Sklaverei vermeintlich vergiftete Erbe des alten amerikanischen Südens ist für viele, vor allem weiße, Südstaatler bis heute positiv besetzt.
„Das hat viel mit dem Versuch zu tun, mit dem Trauma des verlorenen Bürgerkriegs umzugehen“, sagt Heike Bungert. Der Mythos der „Lost Cause“, also der helden- und ehrenhaften Niederlage im Kampf für die Rechte der Einzelstaaten gegen die Union, sei bis heute populär. Die Sklaverei werde dabei ausgeblendet oder wie im Südstaaten-Epos „Vom Winde verweht“vollkommen verklärt. Der Süden der USA sei nach der auf der Sklaverei aufbauenden Blüte vor dem Bürgerkrieg bis heute zumeist wirtschaftlich schwächer als andere Landesteile, der „alte Süden“daher für viele eine Projektionsfläche für Stolz und Identität.
Das bekannteste Symbol dieses alten Südens ist die sogenannte Confederate Flag. Die Flagge, die auf rotem Grund gekreuzte blaue Streifen mit weißen Sternen zeigt, war zwar nie das offizielle Symbol der Südstaaten, sondern eine Schlachtflagge. Dennoch weht sie bis heute von vielen Hausdächern, wird bei Footballspielen
und Autorennen gezeigt und ist als Tätowierung und „bumper sticker“fürs Auto populär.
Doch auch hier deutet sich ein Wandel an. So wird sie künftig nicht mehr Teil der offiziellen Flagge des Bundesstaats Mississippi sein. Das beschloss das dortige Parlament vor wenigen Tagen. Schon zuvor hatte die vor allem im Süden und bei Weißen beliebte Autorennserie Nascar bekannt gegeben, die Flagge von den Tribünen zu verbannen. „Nehmt sie weg von hier, es gibt hier keinen Platz dafür“, hatte Bubba Wallace, der einzige schwarze Fahrer der Serie, zuvor gesagt.
Dieses Umdenken hat USA-Expertin Bungert zufolge auch damit zu tun, dass die Flagge teils von rassistischen Gruppen wie dem KuKlux-Klan vereinnahmt und so zu einem Symbol der angeblichen Überlegenheit der Weißen gegenüber den Schwarzen und auch indigenen Einwohnern der USA wurde. Doch das Narrativ scheint sich zu verändern: Für viele Amerikaner – das zeigt eine repräsentative Yougov-Umfrage von
Januar – steht die Flagge inzwischen nicht mehr für das Erbe des heldenhaft kämpfenden Südens, sondern für Rassismus und Unterdrückung.
Ob „Black Lives Matter“, der sich ähnlich wie bei der Bürgerrechtsbewegung der 60er auch viele Weiße angeschlossen haben, tatsächlich einen Wandel anstoßen kann, wird sich allerdings noch zeigen müssen. „Die Geduld vieler Menschen mit der nicht endenden Polizeigewalt, dem teils strukturellen Rassismus und den anhaltend schlechten Chancen für Minderheiten ist zwar am Ende“, sagt Bungert. Es sei aber fraglich, ob mit der Regierung Trump viel erreicht werden könne. Der US-Präsident hatte unter anderem angekündigt, die einzige Statue eines konföderierten Generals in der Hauptstadt Washington, D.C., restaurieren zu lassen und sich gegen die Umbenennung von Militärbasen ausgesprochen, die die Namen konföderierter Generäle tragen. Das hatten zuvor prominente Militärs wie der ehemalige CIA-Direktor und Vier-Sterne-General David Petraeus gefordert.
Aus Sicht der Historikerin sollte auch ein genauerer Blick auf Denkmäler im Norden erfolgen, die Generäle wie Philip Sheridan ehren, der für ein Massaker an amerikanischen Ureinwohnern mitverantwortlich war. Auch verehrte Gründerväter wie Thomas Jefferson waren Sklavenbesitzer. Zugleich müsse der Kampf um die Deutungshoheit in diesem Konflikt aber auch gar nicht damit enden, dass Statuen abgerissen und Straßen umbenannt werden. Bungert hält etwa auch die Errichtung neuer Statuen als Kontrapunkt gegen das verklärende Narrativ der „Lost Cause“und den bis heute grassierenden strukturellen Rassismus für denkbar. Diese müssten dann allerdings Afroamerikaner zeigen, Mexican Americans, Indigene, Frauen, sagt Bungert.
Wie das aussehen kann, zeigt ausgerechnet ein Beispiel aus Richmond. Vor dem Kunstmuseum hat der schwarze Künstler Kehinde Wiley im Dezember 2019 die Statue eines schwarzen jungen Mannes mit Dreadlocks und Turnschuhen aufgestellt – aus Bronze und hoch zu Ross, ganz wie die Befehlshaber der Konföderierten. Und ganz wie Brianna Noble, die 25-jährige Reiterin aus Oakland, die zu ihrem inzwischen berühmten Ritt sagt: „Wenn ich alleine hingegangen wäre, wäre ich nur eine von vielen gewesen. Aber niemand kann eine schwarze Frau auf einem Pferd ignorieren.“