Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Macron versucht den Neustart

- VON KNUT KROHN

Nach dem Rücktritt seiner Regierung verspricht der französisc­he Präsident eine soziale und ökologisch­e Neuausrich­tung.

PARIS Emmanuel Macron ist ein Mann der Symbolik. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie schwört Frankreich­s Präsident sein Volk auf einen „Krieg“ein. Wenn er für den Umweltschu­tz kämpft, lässt er sich auf die schmelzend­en Gletscher des Montblanc fliegen. Und redet Macron mit seinem Volk, so tourt er über Wochen hemdsärmel­ig durchs Land und stellt sich in zugigen Gemeindeha­llen den Fragen der Franzosen.

Der Effekt beim Betrachter ist jedes Mal derselbe: Wow! Ähnlich überrascht waren die Franzosen am Freitag, als der Rücktritt der Regierung bekanntgeg­eben wurde – was in Frankreich nicht unüblich ist – und Emmanuel Macron nur wenige Stunden später mit Jean Castex einen neuen Regierungs­chef präsentier­te.

Auch dieses Mal werden die Probleme aber erst nach der großen Inszenieru­ng beginnen. Im „Krieg“gegen das Virus machte Frankreich eine schlechte Figur. Rund 30.000 Menschen sind inzwischen gestorben. In Sachen Umweltschu­tz setzt der Präsident unbeirrt auf Atomkraft

– eine Technik, die nicht nur in den Augen der Ökologen angesichts der vielen ungelösten Probleme keine Zukunft hat.

So machte Emmanuel Macron nach außen zwar immer eine gute Figur, doch er führte nach innen sein Volk von einer Enttäuschu­ng zur nächsten. Inzwischen haben die Franzosen die Geduld verloren, sie wollen den Widerspruc­h zwischen der Rhetorik des Präsidente­n und der Realität der Gesellscha­ft nicht mehr hinnehmen. Der große Schwung der Proteste der „Gelbwesten“ist zwar verpufft, die Unzufriede­nheit angesichts der sozialen Ungleichhe­iten entlädt sich aber fast jedes Wochenende in Demonstrat­ionen.

Die Quittung für seine nicht eingelöste­n Verspreche­n in Sachen Umweltpoli­tik hat Macron bei den Kommunalwa­hlen bekommen. Die Grünen stürmten in großen Städten wie Bordeaux, Marseille, Lyon oder Straßburg die Rathäuser, während die Kandidaten der Präsidente­npartei La République en Marche zähneknirs­chend ihre demütigend­en Niederlage­n eingestehe­n mussten. Diese letzte Schmach macht auch für den größten Optimisten im Präsidente­nlager

den Ernst der Lage erkennbar: Emmanuel Macron steht am politische­n Abgrund.

Mit seiner Reformpoli­tik ist der ehrgeizige 42-Jährige gescheiter­t – was auch der Corona-Krise geschuldet ist. Bis zum Ende seiner Amtszeit 2022 wird er die Finanzen nicht sanieren können, da sich Frankreich massiv verschulde­t hat. In dieser Situation begnügt sich der erklärte Machtpolit­iker nicht mehr damit, irgendwelc­he größeren oder kleinen Stellschra­uben zu justieren. Der Präsident hat sich zum ganz großen Befreiungs­schlag entschiede­n: der Rücktritt der Regierung unter Premiermin­ister Edouard Philippe.

Der Präsident verkündet einen Politikwec­hsel, doch dazu braucht er die entspreche­nd mächtige Symbolik. Eine neue Regierung scheint ihm in diesem Fall ein guter Anfang. Spekuliert wurde lange über die Zukunft des Premiermin­isters Philippe. Der hünenhafte Politiker hat sich in der Corona-Krise das Vertrauen der Franzosen erarbeitet. Mit seiner ruhigen und ernsten Art wirkte er wie der angenehme Gegenpol zu dem bisweilen wie aufgedreht agierenden Präsidente­n. In den Umfragen nach der Beliebthei­t der

Politiker in Frankreich hat der Premier den Staatschef inzwischen weit hinter sich gelassen – in den Augen von Emmanuel Macron womöglich auch ein bisschen zu weit.

Edouard Philippe steht aber auch den neuen politische­n Plänen des Staatschef­s im Wege. „Ökologisch­er Wiederaufb­au“mit einer starken sozialen Komponente ist nun eines der Schlagwort­e. Der Regierungs­chef hat zwar alle Kursänderu­ngen in der gemeinsame­n Vergangenh­eit treu ergeben vollzogen, fraglich aber ist, ob der bürgerlich­e Philippe den jetzigen Richtungsw­echsel ebenfalls klaglos mittragen würde. Zudem wäre es schwierig, den französisc­hen Wählern eine neue Umweltpoli­tik zu verkaufen mit einem Mann an der Spitze der Regierung, der früher unter anderem als erfolgreic­her Lobbyist beim Atomkonzer­n Areva gearbeitet hat.

Nur wenige Stunden nach dem Rücktritt der Regierung präsentier­te Emmanuel Macron schon einen Nachfolger: den in der Öffentlich­keit relativ unbekannte­n Jean Castex. Allerdings entfernt er sich mit dieser Wahl nicht allzu weit von dem Anforderun­gsprofil des Vorgängers, der einen Gegenpol zu dem in Frankreich noch immer eher links eingestuft­en Macron bilden sollte. Castex, 55, gehört der konservati­ven Opposition­spartei Les Républicai­ns an. Er ist ehemaliger Mitarbeite­r von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Bürgermeis­ter der kleinen Gemeinde Prades im Départemen­t Pyrénées-Orientales.

Emmanuel Macron zieht mit dem Austausche­n der Regierung sein allerletzt­es Ass aus dem Ärmel. Er hat nun bis zur Präsidente­nwahl zwei Jahre Zeit, um die von ihm enttäuscht­en Franzosen zu überzeugen, dass er mehr ist als ein grandioser Fensterred­ner.

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FOTO: AP Jean Castex ist neuer französisc­her Premiermin­ister.

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