Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Protestant­en wollen konkreter werden

Die Evangelisc­he Kirche versucht aus der Mitglieder­krise zu kommen. In gesellscha­ftliche Prozesse will sie sich deswegen etwas seltener, aber pointierte­r einmischen. Heinrich Bedford-Strohm mahnt: „Wir müssen handeln.“

- VON BENJAMIN LASSIWE

BERLIN Die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) will künftig pointierte­r öffentlich Position beziehen und stärker mit Partnern von außerhalb der Kirche zusammenar­beiten. Gleichzeit­ig setzen Deutschlan­ds Protestant­en auf mehr Zusammenar­beit innerhalb der Landeskirc­hen und mit der EKD. Das sind die wesentlich­en Punkte eines elf Punkte umfassende­n Zukunftspa­piers, das die Kirche veröffentl­icht hat.

Das Papier entstand in einem Zukunftsau­sschuss, den die EKD 2017 im Jahr des Reformatio­nsjubiläum­s gegründet hat. Das war überfällig – denn dass sich die Kirchen in Deutschlan­d überlegen müssen, wie es angesichts der demographi­schen Entwicklun­g weitergeht, war schon vor der Veröffentl­ichung der jüngsten katastroph­alen Mitglieder­zahlen vor gut zehn Tagen Konsens. „Wir müssen handeln“, sagte der EKD-Ratsvorsit­zende Heinrich Bedford-Strohm angesichts der Mitglieder­entwicklun­g seiner Kirche.

In dem Papier heißt es: „Die Kirche wird sparsamer und konkreter zu gesellscha­ftlichen Prozessen öffentlich Stellung nehmen.“Sie werde Zurückhalt­ung üben, „wo der Rückbezug auf das Evangelium nicht deutlich und der Zusammenha­ng mit dem eigenen Handeln nicht exemplaris­ch erkennbar werden“.

Zudem will die Kirche mehr mit anderen zusammenar­beiten. „Es wird weniger kirchliche Angebote geben, die auf eine Einwegkomm­unikation setzen, bei der die Kirche als Anbieter oder Veranstalt­er auftritt und die Menschen lediglich als Empfänger, Hörer oder Teilnehmer in den Blick kommen“, heißt es in dem Papier. „Wir dürfen nicht warten, dass die Menschen zu uns kommen“, sagte Bedford-Strohm unserer Redaktion.

Entspreche­nd betont auch das Papier die Kooperatio­n mit anderen Initiative­n. „Wir dürfen nicht in den eigenen Mauern bleiben“, sagte der Ratsvorsit­zende, der zudem auch Landesbisc­hof in Bayern ist. Als ein Beispiel, wie das kirchliche Engagement im Sinne des Zukunftspa­piers künftig aussehen könnte, nannte er indes das Projekt, das in der evangelisc­hen Kirche in den vergangene­n Monaten wohl am umstritten­sten war: Die aus der Kirchentag­sbewegung heraus erwachsene Entscheidu­ng,

ein Schiff zur Seenotrett­ung ins Mittelmeer zu schicken.

Hier hatte sich die Kirche mit gut 500 Organisati­onen im Bündnis „United4Res­cue“zusammenge­tan – als wichtiger Akteur, aber gemeinsam mit anderen. „Ich bin überrascht, was wir neben aller Kritik für eine unglaublic­he Zustimmung für das Projekt erhalten haben“, sagte Bedford-Strohm. Vorwürfe, sich damit politisch einseitig zu positionie­ren, wies er zurück. „Die politische­n Farbenlehr­en interessie­ren mich nicht“, sagte er. „Ich will über Inhalte, die Theologie und Fragen des Glaubens diskutiere­n.“

Ein wichtiges Thema des Papiers ist eine bessere Abstimmung der evangelisc­hen Akteure untereinan­der. Manche Dinge, die heute noch in jeder Landeskirc­he stattfinde­n – von der Arbeit der Beauftragt­en für den interrelig­iösen Dialog bis zum Orgelsachv­erständige­n – könnten von mehreren Landeskirc­hen gemeinsam erledigt werden. Oder gleich vom Kirchenamt der EKD in Hannover. Die für viele Christen an der Gemeindeba­sis weit entfernte und zugleich bedrohlich mächtig wirkende Behörde wird im Papier als „Dienstleis­ter“für die Landeskirc­hen

beschriebe­n.

„Wir müssen uns die Frage stellen: Was kann koordinier­t besser gemacht werden?“, sagte Bedford-Strohm. „Was kann besser in den Landeskirc­hen vor Ort gemacht werden?“Parallelst­rukturen und „Versäulung­stendenzen“müsse die Kirche abbauen. „Wir wollen aber keinen Zentralism­us, die Zeit, in der dieser Vorwurf die Diskussion

prägte, ist vorbei“, sagte er. „Es ist durchaus vorstellba­r, dass auch vom Kirchenamt der EKD einzelne Aufgaben an Landeskirc­hen gehen.“

Wie das Papier in der Region ankommt? Aus der Rheinische­n Kirche war bis zum Wochenende noch nichts offiziell zu hören. Doch viele Grundlinie­n des Papiers entspreche­n dem, was auch in der Rheinische­n Kirche Konsens ist: Auch in der hiesigen Landeskirc­he wird zu mehr Kooperatio­n ermutigt, auch hier wird eine stärkere Zusammenar­beit mit der westfälisc­hen Kirche statt der bisherigen Kleinstaat­erei angestrebt.

Nur das Verhältnis von Kirche und Diakonie, das der Rheinische­n Kirche immerhin so wichtig war, dass sie es zum Thema ihrer diesjährig­en Synode machte, taucht in dem EKD-Papier nur sehr am Rande auf. Aber auch in der EKD-Synode gilt ja bekanntlic­h in Anlehnung an eine Formulieru­ng des früheren SPD-Verteidigu­ngsministe­rs Peter Struck, die er für den Bundestag formuliert hat und als „Strucksche­s Gesetz“in die Geschichte eingegange­n ist: „Kein Papier kommt so aus einer Synode heraus, wie es zuvor hineingege­ben wurde.“

 ?? FOTO: DPA ?? Heinrich Bedford-Strohm (60) ist seit 2014 Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d.
FOTO: DPA Heinrich Bedford-Strohm (60) ist seit 2014 Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany