Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Was Verkehrssünder wissen müssen
Bis zu eine Million Bußgeldbescheide und 100.000 Fahrverbote sind falsch – wegen eines Formfehlers. Wer noch nicht gezahlt hat, hat Glück. Wer den Führerschein schon abgegeben hat, Pech. Der ADAC fordert eine bundesweite Lösung.
Das Wirrwarr um den neuen Bußgeldkatalog ist groß. Am 28. April trat er in Kraft und sah zum Beispiel höhere Strafen für Temposünder vor. Doch wegen eines Formfehlers ist er nichtig, viele Länder wenden ihn seit Freitag nicht mehr an. Der ADAC schätzt, dass bundesweit aber schon 100.000 Fahrverbote auf seiner Basis ausgesprochen wurden. „Es ist davon auszugehen, dass seit Inkrafttreten der Änderungen etwa eine Million Verkehrsverstöße begangen wurden, wobei rund 100.000 mit einem Fahrverbot belegt sein dürften“, sagte Markus Schäpe, Leiter der Juristischen Zentrale des ADAC, unserer Redaktion. Das müssen Autofahrer wissen.
Was ist, wenn ich nun geblitzt werde? Hier ist die Lage eindeutig, dann gilt der neue Bußgeldkatalog nicht. Laufende Bußgeldverfahren seien nach der Rechtslage vor dem 28. April 2020 zu bescheiden, betonte eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums am Sonntag. Das Bundesverkehrsministerium habe die Länder vergangene Woche darüber unterrichtet, dass aufgrund eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot der Bußgeldkatalog insgesamt nichtig sei. NRW habe dies an die Bußgeldstellen und Polizeibehörden weitergegeben.
Warum ist der neue Bußgeldkatalog falsch? Das von Andreas Scheuer (CSU) geführte Bundesverkehrsministerium hat versäumt, in seiner Veränderungsverordnung auf die Rechtsgrundlage für Fahrverbote hinzuweisen. Und das macht sämtliche Neuregelungen nichtig – wegen der engen Beziehung zwischen Bußgeld und Fahrverbot, so der ADAC. Scheuer sorgt immer wieder für Pannen, das Maut-Desaster zählt dazu.
Was ist, wenn ich früher geblitzt wurde, mein Bußgeldbescheid aber noch nicht rechtskräftig ist? Dann sollte man Einspruch einlegen. Wenn noch keine Rechtskraft eingetreten ist, entscheidet die Bußgeldstelle oder nach Einspruch ein Gericht darüber, welche Sanktion jetzt ausgesprochen werden kann oder ob das Verfahren einzustellen ist, erläutert ADAC-Experte Schäpe.
Was ist, wenn ich mein Bußgeld bereits gezahlt habe? Dann hat man Pech, das Geld ist weg und die Punkte beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg bleiben. „Wer nach Eintritt der Rechtskraft die Geldbuße gezahlt hat, hat keine realistischen Chancen, diesen Betrag zurück zu erhalten“, sagt Schäpe. „Aufgrund der Rechtskraft bleibt auch die Eintragung in Flensburg bestehen.“
Bekomme ich Entschädigung vom Staat? Wer nach dem neuen Bußgeld-Katalog ein Fahrverbot aufgebrummt bekommen hat und seine Führerschein etwa im Juni abgegeben hat, bekommt keine Entschädigung – obwohl der Fehler beim Staat liegt. „Wer sein Fahrverbot schon vollständig angetreten hat, erhält dafür keine Entschädigung vom Staat“, erläutert der ADAC-Experte weiter.
Was ist, wenn mein Fahrverbot läuft? Dann kommt es auf den Einzelfall.
Wenn Fahrer das Fahrverbot noch nicht vollständig angetreten haben, gibt es das Gnadengesuch nach der Gnadenordnung des jeweiligen Landes. „Hier muss vom Betroffenen individuell vorgetragen werden, welche besondere Belastung mit dem Vollzug eines Fahrverbots verbunden ist, wenn es nach dem alten Bußgeldkatalog nicht vorgesehen war“, erläutert Schäpe. Das Ganze ist aber aufwendig: Die Bußgeldstelle muss eine Stellungnahme für das Innenministerium schreiben, das über das Gesuch entscheidet. Der ADAC warnt: „Wer vor positiver Entscheidung über den Gnadenantrag trotz des wirksamen Fahrverbots fährt, begeht eine Straftat wegen des Fahrens ohne Fahrberechtigung.“
Wie geht es weiter? Scheuer, der die handwerklichen Fehler der Reform politisch zu verantworten hat, will die Chance offenbar nutzen, um die Strafen für Raser wieder abzuschwächen. Einige Landesverkehrsminister wollen dagegen, dass Scheuer nur den Formfehler beseitigt. NRW hält sich raus und verweist darauf, dass das Ganze Bundessache sei. Der ADAC drängt auf eine rasche, bundesweite Klärung: „Die entstandene Situation ein untragbarer Zustand: Eine unterschiedliche Vorgehensweise der Länder wäre inakzeptabel. Es muss jetzt sofort zu einem bundeseinheitlichen Vorgehen kommen“, fordert ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand. Zugleich warnt er Autofahrer: „Es gibt auch in dieser Situation keinen Freibrief für Raser. Die Polizei kontrolliert und sanktioniert.“Nur eben nach altem Recht.