Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Verborgener Machtkampf
Die CDU kann den Streit um Merkels Erbe nur mit Mühe unter der Decke halten – auch wegen Provokationen aus München.
BERLIN An diesem Montag führt Gesundheitsminister Jens Spahn in der CDU-Präsidiumssitzung das große Wort. Im Streit um die Frage, wie viele Corona-Tests zur Eindämmung des Virus sinnvoll sind, stellt sich Spahn auf die Seite des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet. Im Gegensatz zu Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) ist er der Ansicht, dass flächendeckende Tests weniger nützen als eine gezielte Testung der Risikogruppen.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die Spahn in dieser Frage inhaltlich überzeugend findet, schlägt vor, das Festhalten an der bisherigen Test-Strategie auch in einem Beschluss zu zementieren. Da liegt die Frage nahe: War das nun eine rein inhaltliche Entscheidung, oder wollte AKK dem Duo Spahn/ Laschet gegenüber Söder im Kampf um Merkels Erbe den Rücken stärken? Die Interpretationen dazu gehen in der CDU-Führung auseinander. Die Erklärung, dass Laschet und Spahn mit diesem Beschluss Rückendeckung aus dem Adenauer-Haus bekommen, sei die NRWSicht, heißt es von Führungsleuten aus anderen Landesverbänden.
Dabei hätte die CDU viele gute Gründe, ein klares Signal in Richtung Söder zu setzen. Der CSU-Chef hatte am Wochenende im „Tagesspiegel“deutlich gemacht, der künftige Kanzlerkandidat der Union müsse sich in der Corona-Krise bewiesen haben. Wer dabei versage, habe „keinen moralischen Führungsanspruch“, sagte er. „Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen.“
Viele in der Union haben die Äußerung so aufgefasst, dass Söder damit die Bewerber für den CDU-Vorsitz Friedrich Merz und Norbert Röttgen herabgesetzt hat. Denn beide verfügen über kein Regierungsamt, durch das sie sich in der Corona-Krise beweisen könnten. Derweil ist Laschet wegen seiner Corona-Politik in die Kritik geraten. Mit wenigen Sätzen hat Söder also alle drei Konkurrenten um den CDU-Vorsitz schlecht aussehen lassen.
Röttgen signalisierte, dass er darauf nicht reagieren wolle. Auch Merz lässt die Provokation liegen und einen Sprecher auf seine grundsätzliche Haltung zur Frage der Kanzlerkandidatur verweisen: „Ich gehe davon aus, dass wir zuerst den neuen Parteivorsitzenden der CDU wählen und dass die Vorsitzenden von CDU und CSU sich dann zusammensetzen und einen gemeinsamen Vorschlag machen.“
Dieses Vorgehen ist für die CDU von großer strategischer Bedeutung. Denn sollte der gemeinsame Kanzlerkandidat feststehen, bevor der CDU-Parteichef überhaupt gewählt ist, stünde die große CDU neben der kleinen Schwester CSU geschwächt da.
Die CDU braucht viel Disziplin in diesen Tagen. Denn Söder, der Instinktpolitiker, hat mit seinen Worten eine Stimmung aufgegriffen, die auch in Teilen der CDU-Führung herrscht. Während vor der Corona-Krise die meisten gewusst hätten, wen sie als Parteichef und Kanzlerkandidaten wollten, wachse nun die Gruppe jener, die nur wisse, wen sie nicht wolle – so formuliert es ein CDU-Vorstandsmitglied.
In der Gremiensitzung selbst fällt kein Wort zu der unter der Oberfläche
brodelnden Machtfrage. Seitdem aus den Video-Konferenzen der Ministerpräsidenten etliche Informationen nahezu in Echtzeit an die Öffentlichkeit gedrungen waren, ist das Misstrauen groß, wer alles mithört, wenn sensible Fragen besprochen werden.
So einigt man sich in der Vorstandssitzung darauf, an die Medien das Signal zu senden, wie geschlossen die CDU in der Frage der Tests und bei der Maskenpflicht sei. Dementsprechend steht Generalsekretär Paul Ziemiak am Montag in der Parteizentrale und muss gesichtswahrend den Vorstoß des mecklenburg-vorpommerschen Wirtschaftsministers und Parteikollegen Harry Glawe kontern. Dessen Idee, die Maskenpflicht im Einzelhandel fallenzulassen, ist nicht gut angekommen in der Spitze der großen Koalition. Kramp-Karrenbauer, Söder, SPD-Chefin Saskia Esken und Kanzlerin Angela Merkel wollen davon nichts wissen. Also schmettert Ziemiak zu Beginn seiner Pressekonferenz die Losung in das Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses in Berlin: „Maskentragen ist sexy.“Die CDU-Maske in Knallorange hält er zumindest in der Hand, um sie sich auf dem Weg in sein Büro wieder aufzusetzen.
Das Maskenthema ist ihm jedenfalls sichtlich angenehmer als die neuen Misstöne um die Kanzlerkandidatur. Die Zusammenarbeit von CDU und CSU sei lange nicht so gut gewesen wie heute, betont er. Freundschaftlich gehe es zu. „Jetzt geht es darum, sich um die konkreten Probleme im Land zu kümmern.“ Die Probleme der Union bei der Suche nach einem Kanzlerkandidaten sollen auf ein zeitliches Minimum beschränkt werden. Auf gar keinen Fall sollen die schönen Umfragewerte um die 40 Prozent mit Personalquerelen im Sommerloch wieder zunichte gemacht werden.
Ob das gelingt? Die CSU hat jedenfalls ihren eigenen Fahrplan: Überraschenderweise veranstalten die Christsozialen in diesem Jahr ihren Parteitag erst nach der CDU. Anfang Dezember tagen die Christdemokraten in Stuttgart, eine Woche später tagt die CSU in Nürnberg. Dann kann Söder locker aus der Vorhand spielen und auf eine Klärung der Kanzlerkandidatur bereits vor Weihnachten dringen. Vielleicht bei einem Frühstück in Nürnberg. Söders Stadt.