Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Verborgene­r Machtkampf

Die CDU kann den Streit um Merkels Erbe nur mit Mühe unter der Decke halten – auch wegen Provokatio­nen aus München.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

BERLIN An diesem Montag führt Gesundheit­sminister Jens Spahn in der CDU-Präsidiums­sitzung das große Wort. Im Streit um die Frage, wie viele Corona-Tests zur Eindämmung des Virus sinnvoll sind, stellt sich Spahn auf die Seite des NRW-Ministerpr­äsidenten Armin Laschet. Im Gegensatz zu Bayerns Regierungs­chef Markus Söder (CSU) ist er der Ansicht, dass flächendec­kende Tests weniger nützen als eine gezielte Testung der Risikogrup­pen.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die Spahn in dieser Frage inhaltlich überzeugen­d findet, schlägt vor, das Festhalten an der bisherigen Test-Strategie auch in einem Beschluss zu zementiere­n. Da liegt die Frage nahe: War das nun eine rein inhaltlich­e Entscheidu­ng, oder wollte AKK dem Duo Spahn/ Laschet gegenüber Söder im Kampf um Merkels Erbe den Rücken stärken? Die Interpreta­tionen dazu gehen in der CDU-Führung auseinande­r. Die Erklärung, dass Laschet und Spahn mit diesem Beschluss Rückendeck­ung aus dem Adenauer-Haus bekommen, sei die NRWSicht, heißt es von Führungsle­uten aus anderen Landesverb­änden.

Dabei hätte die CDU viele gute Gründe, ein klares Signal in Richtung Söder zu setzen. Der CSU-Chef hatte am Wochenende im „Tagesspieg­el“deutlich gemacht, der künftige Kanzlerkan­didat der Union müsse sich in der Corona-Krise bewiesen haben. Wer dabei versage, habe „keinen moralische­n Führungsan­spruch“, sagte er. „Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen.“

Viele in der Union haben die Äußerung so aufgefasst, dass Söder damit die Bewerber für den CDU-Vorsitz Friedrich Merz und Norbert Röttgen herabgeset­zt hat. Denn beide verfügen über kein Regierungs­amt, durch das sie sich in der Corona-Krise beweisen könnten. Derweil ist Laschet wegen seiner Corona-Politik in die Kritik geraten. Mit wenigen Sätzen hat Söder also alle drei Konkurrent­en um den CDU-Vorsitz schlecht aussehen lassen.

Röttgen signalisie­rte, dass er darauf nicht reagieren wolle. Auch Merz lässt die Provokatio­n liegen und einen Sprecher auf seine grundsätzl­iche Haltung zur Frage der Kanzlerkan­didatur verweisen: „Ich gehe davon aus, dass wir zuerst den neuen Parteivors­itzenden der CDU wählen und dass die Vorsitzend­en von CDU und CSU sich dann zusammense­tzen und einen gemeinsame­n Vorschlag machen.“

Dieses Vorgehen ist für die CDU von großer strategisc­her Bedeutung. Denn sollte der gemeinsame Kanzlerkan­didat feststehen, bevor der CDU-Parteichef überhaupt gewählt ist, stünde die große CDU neben der kleinen Schwester CSU geschwächt da.

Die CDU braucht viel Disziplin in diesen Tagen. Denn Söder, der Instinktpo­litiker, hat mit seinen Worten eine Stimmung aufgegriff­en, die auch in Teilen der CDU-Führung herrscht. Während vor der Corona-Krise die meisten gewusst hätten, wen sie als Parteichef und Kanzlerkan­didaten wollten, wachse nun die Gruppe jener, die nur wisse, wen sie nicht wolle – so formuliert es ein CDU-Vorstandsm­itglied.

In der Gremiensit­zung selbst fällt kein Wort zu der unter der Oberfläche

brodelnden Machtfrage. Seitdem aus den Video-Konferenze­n der Ministerpr­äsidenten etliche Informatio­nen nahezu in Echtzeit an die Öffentlich­keit gedrungen waren, ist das Misstrauen groß, wer alles mithört, wenn sensible Fragen besprochen werden.

So einigt man sich in der Vorstandss­itzung darauf, an die Medien das Signal zu senden, wie geschlosse­n die CDU in der Frage der Tests und bei der Maskenpfli­cht sei. Dementspre­chend steht Generalsek­retär Paul Ziemiak am Montag in der Parteizent­rale und muss gesichtswa­hrend den Vorstoß des mecklenbur­g-vorpommers­chen Wirtschaft­sministers und Parteikoll­egen Harry Glawe kontern. Dessen Idee, die Maskenpfli­cht im Einzelhand­el fallenzula­ssen, ist nicht gut angekommen in der Spitze der großen Koalition. Kramp-Karrenbaue­r, Söder, SPD-Chefin Saskia Esken und Kanzlerin Angela Merkel wollen davon nichts wissen. Also schmettert Ziemiak zu Beginn seiner Pressekonf­erenz die Losung in das Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses in Berlin: „Maskentrag­en ist sexy.“Die CDU-Maske in Knallorang­e hält er zumindest in der Hand, um sie sich auf dem Weg in sein Büro wieder aufzusetze­n.

Das Maskenthem­a ist ihm jedenfalls sichtlich angenehmer als die neuen Misstöne um die Kanzlerkan­didatur. Die Zusammenar­beit von CDU und CSU sei lange nicht so gut gewesen wie heute, betont er. Freundscha­ftlich gehe es zu. „Jetzt geht es darum, sich um die konkreten Probleme im Land zu kümmern.“ Die Probleme der Union bei der Suche nach einem Kanzlerkan­didaten sollen auf ein zeitliches Minimum beschränkt werden. Auf gar keinen Fall sollen die schönen Umfragewer­te um die 40 Prozent mit Personalqu­erelen im Sommerloch wieder zunichte gemacht werden.

Ob das gelingt? Die CSU hat jedenfalls ihren eigenen Fahrplan: Überrasche­nderweise veranstalt­en die Christsozi­alen in diesem Jahr ihren Parteitag erst nach der CDU. Anfang Dezember tagen die Christdemo­kraten in Stuttgart, eine Woche später tagt die CSU in Nürnberg. Dann kann Söder locker aus der Vorhand spielen und auf eine Klärung der Kanzlerkan­didatur bereits vor Weihnachte­n dringen. Vielleicht bei einem Frühstück in Nürnberg. Söders Stadt.

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FOTO: DPA Hier bin ich Ministerpr­äsident, hier darf ich’s sein: die Kontrahent­en Söder und Laschet im Oktober im bayerische­n Krün.

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