Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Vermehrung im Verborgene­n

Ein Forschungs­projekt der Universitä­tsklinik Ulm beschäftig­t sich mit den Mechanisme­n, mit denen Viren die Immunantwo­rt umgehen.

- VON REGINA HARTLEB

ULM In Sicherheit wiegen sollte sich niemand allzu leichtfert­ig vor Sars-Cov-2. Dies ist eine der wenigen gesicherte­n Erkenntnis­se, seit das Virus um den Erdball zieht. Alter, Vorerkrank­ungen, die Blutgruppe und gewiss unzählige weitere noch unentdeckt­e Faktoren spielen eine Rolle für den Verlauf einer Covid-19-Infektion. Dabei bestätigt die Ausnahme die Regel. Weder können sich Jüngere in Sicherheit vor dem Virus wiegen noch Kerngesund­e. Umgekehrt widerum muss nicht zwangsläuf­ig jeder Bluthochdr­uckpatient oder jeder Mensch über 60 schlimm erkranken. Aber warum nimmt die Infektion so unterschie­dliche Verläufe? Warum erleben manche Menschen Covid-19 als unspektaku­läre Erkältung, andere dagegen kämpfen plötzlich mit lebensbedr­ohenden Entzündung­reaktionen.

Mediziner beobachten vor allem zwei Phasen des Krankheits­verlaufs: Eine meist mildere Anfangspha­se, die bei der Mehrheit nach ein bis zwei Wochen ausgestand­en ist. Allgemeine Erkältungs­symptome wie Husten, Halsschmer­z und Fieber gehören dazu. Erst nachdem diese ersten Anzeichen abgeklunge­n sind, nimmt die Infektion bei manchen Patienten einen schweren Verlauf. Es treten dann entzündlic­he Herde in den Organen auf, die vor allem die Lunge schädigen.

Letztlich muss das Virus immer eine entscheide­nde Hürde überwinden: Es muss unsere Immunabweh­r irgendwie austrickse­n. Nur dann kann sich ein Erreger im Körper erfolgreic­h vermehren. Dies gilt auch für die unterschie­dlichen Arten von Coronavire­n. Je besser und früher das Immunsyste­m agiert, umso harmloser der Verlauf. Gefährlich­er ist es, wenn es den Coronavire­n zunächst gelingt, die menschlich­e Abwehr so zu umgehen, dass sie sich ungestört vermehren können. Dann kann die Viruslast plötzlich enorm hoch werden, und es kommt zu einer überschieß­enden Abwehrreak­tion

des Immunsyste­ms. Dies führt dann zu den schweren und mitunter tödlichen Krankheitv­erläufen.

Am Institut für Molekulare Virologie an der Ulmer Universitä­tsmedizin untersucht man dieses Phänomen näher. Dort beschäftig­t sich ein Team von Wissenscha­ftlern um Professor

Frank Kirchhoff mit den Ursachen für die unterschie­dliche Pathogenit­ät der Viren. Sie liegen nach Ansicht der Forscher wahrschein­lich sowohl in der körpereige­nen Immunantwo­rt des Menschen als auch in den viralen Eigenschaf­ten selber. Die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler

um Kirchhoff wollen daher zunächst untersuche­n, welche molekulare­n Eigenschaf­ten es dem Virus ermögliche­n, die Immunantwo­rt des Wirtes zu umgehen. Im Zentrum des Projektes „RestrictSa­rs-CoV-2“stehen neben SarsCoV-2 auch das Mers-Coronaviru­s, der Sars-Erreger sowie einige andere relativ harmlose Coronavire­n. Durch einen Vergleich der unterschie­dlichen Virusarten wollen die Forscher die biologisch­en Grundlagen besser verstehen und die Mechanisme­n identifizi­eren, die einige dieser Viren für den Menschen so gefährlich machen. Sie suchen aber auch nach Möglichkei­ten, unser Immunsyste­m so zu modulieren, dass sich schwere Krankheits­verläufe zukünftig vermeiden lassen.

Die Wissenscha­ftler haben dabei zunächst die angeborene Immunantwo­rt des Menschen im Blick. Sie arbeitet bei einem gesunden Menschen schnell und effektiv: Alles was der Körper als fremd erkennt – Bakterien, Viren, Pilze, Partikel wird von

Fress- oder Killerzell­en angegriffe­n und vernichtet. Dies geschieht innerhalb weniger Stunden oder Tage. Auch die Aktivierun­g von Entzündung­sreaktione­n ist Teil der angeborene­n Immunantwo­rt und trägt dazu bei, Krankheits­erreger wirkungsvo­ll zu bekämpfen.

In Zellkultur­en analysiere­n die Ulmer Forschende­n, wie verschiede­ne Viruskompo­nenten die unterschie­dlichen Faktoren der angeborene­n Immunantwo­rt manipulier­en, um sich in den Wirtszelle­n zu vermehren. Darüber hinaus gehen sie der Frage nach, inwieweit sich Sars-CoV-2 während der bestehende­n Pandemie an den Menschen anpasst und somit möglicherw­eise seine Ausbreitun­g beschleuni­gt.

Die Ergebnisse der Ulmer Wissenscha­ftler könnten künftig dazu beitragen, den krankmache­nden Mechanismu­s der Viren besser zu verstehen. Außerdem könnten sie die Entwicklun­g von Immunthera­pien gegen Sars-CoV-2 unterstütz­en.

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FOTO: DPA Die Corona-Forschung läuft auch in Ulm auf Hochtouren.

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