Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Verstärker des Hasses
Soziale Netzwerke gehen gegen Hate Speech vor – den Werbekunden sei Dank.
Ich gestehe, ich habe eine Weile die Versprechen geglaubt, die aus dem Silicon Valley tönten. Dass wir unsere Erlebnisse mit aller Welt teilen, dass wir Freundscheaften pflegen, dass wir eine Wissensgesellschaft werden und dass wir aus der Hängematte heraus kreativ sind. Es ist dem Virus und Trump zu verdanken, dass das Marketinggefasel endlich entlarvt wird. Die sozialen Netzwerke bilden die Welt nicht ab, sondern verstärken das Böse. Wir haben es nicht mit Medien zu tun, sondern mit Brandbeschleunigern, gefüttert von Manipulatoren, gegen die selbst garstige Boulevard-Hetzer wie Menschenfreunde wirken.
Kürzlich hat eine Studie von Professor Kathleen M. Carley (Carnegie Mellon University) ergeben, dass mehr als die Hälfte jener Twitter-Stimmen, die für ein schnelles Wiederanfahren der US-Wirtschaft plädierten, von gesteuerten Programmen stammen, sogenannten Bots. Carley untersuchte 200 Millionen Tweets und fand heraus, dass die öffentliche Debatte schon seit Februar über diese Bots manipuliert wird, mit 16 verschiedenen Strategien. Die Programme beherrschen nicht nur kleinere Manöver wie „Likes“, sie führen auch Aktivistengruppen zusammen („Bridging)“oder bombardieren unliebsame Meinungen („Nuking“).
Unterdessen überbieten sich Facebook, Twitter und Youtube beim Stilllegen von Hetzer-Accounts. Haben die kostbarsten Unternehmen der Welt ihr Gewissen entdeckt? Eher nicht. Vielmehr herrscht nackte Panik, weil ein globaler Verbund von mehr als 1000 Werbekunden Facebook unter dem Slogan „Kein Profit aus Hass“(„Stop Hate for Profit“) boykottiert. Womit der Beweis erbracht wäre, dass Facebook und die anderen lediglich auf wirtschaftlichen Druck reagieren. Der Journalist Hajo Schumacher schreibt hier über seine Entdeckungsreise in der digitalen Welt. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de