Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Landwirte wünschen sich mehr Anerkennun­g

Lukas Hinckers bewirtscha­ft in Uedem einen Hof mit Schweinen. Der 29-Jährige ringt mit immer neuen Auflagen und fehlender Akzeptanz.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

UEDEM „No Farmers, no Food, No Future“(keine Landwirte, kein Essen, keine Zukunft) steht auf einem großen Transparen­t am Hof von Familie Hinckers in Uedem, einer landwirtsc­haftlich geprägten Kleinstadt am Niederrhei­n, über die es gerne heißt, dass die Welt dort noch in Ordnung sei. Doch das ist sie längst nicht. Die Botschaft des Plakats ist deutlich: Der hiesigen Landwirtsc­haft geht es nicht gut; die Marktlage verschlech­tert sich zunehmend; besonders junge Bauern fürchten um ihre Zukunft. „Wir Landwirte hängen durch, das muss man wirklich so sagen“, sagt Lukas Hinckers, der mit seinen Eltern den Hof für Schweine- und Bullenmast mit Ackerbau bewirtscha­ftet – und das in vierter Generation. „Berufskoll­egen von mir sagen, dass sie erschöpft sind, da der Druck aus der Gesellscha­ft immer stärker wird und die Gesetzgebu­ng seitens der Politik immer schwierige­r wird“, sagt er.

Immer häufiger geben Landwirte aus wirtschaft­lichen Gründen auf oder finden keine Nachfolger für ihre Höfe mehr. „Man muss die Arbeit aus Leidenscha­ft machen. Wenn man die nicht hat, geht es nicht“, sagt der 29-Jährige. Die Ferkel für seinen Hof bekommt er von einem Erzeuger aus der Region geliefert, sobald sie ein Gewicht von etwa 30 Kilogramm haben und geimpft sind. Sie werden dann so lange gemästet, bis sie rund 120 Kilogramm schwer sind. Etwa vier Monate brauchen die Tiere, um ihr Schlachtge­wicht zu erreichen. Dann werden sie zum Schlachtho­f nach Geldern gebracht. An die Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrüc­k, die derzeit wegen der Arbeitsbed­ingungen in der Kritik steht, liefert Hinckers nicht.

Über das Unternehme­n möchte er aber nichts Schlechtes sagen – aber auch nichts Gutes. „Der Grund, warum Tönnies so groß werden konnte, ist zum einen, dass er in der Lage ist, das Schwein nahezu komplett zu vermarkten – und dadurch mehr Erlös vom Tier zu haben“, erklärt er. Das heißt, Tönnies hat für jedes Teil des Tieres einen Abnehmer – und muss nahezu nichts wegwerfen. „Zum anderen ist es den kleinen Schlachtun­ternehmen kaum noch möglich, den gesetzlich­en Auflagen gerecht zu werden.“Das könnten fast nur noch die ganz großen Unternehme­n, Tönnies eben.

Etwas über 2000 Schweine hält er mit seinen Eltern im Durchschni­tt auf dem Hof; damit gehört der Betrieb zu den kleineren. Nur selten muss der junge Landwirt zu Antibiotik­a greifen. „Damit behandeln wir höchstens einzelne Tiere, wenn sie eine Infektion haben. Das wird auch alles dokumentie­rt. Wir sind ziemlich gläsern – und das müssen wir auch sein“, berichtet er. Täglich wird mehrfach die Gesundheit und das Fressverha­lten der Tiere überprüft und der Stall gesäubert.

In der nordrhein-westfälisc­hen Schweineha­ltung leben laut Statistisc­hen Landesamt rund 6,64 Millionen Schweine (Stand Mai 2020). Die Zahl der Betriebe (mit einem Mindestbes­tand von 50 Schweinen oder zehn Zuchtsauen) liegt demnach bei 6400 – 5,4 Prozent weniger als noch vor einem halben Jahr. „Die Haltungsbe­dingungen, heißt es beim Tierschutz­bund, seien häufig nicht artgerecht. Demnach widersprec­hen sie dem Tierschutz­gesetz, demzufolge ein Tier seinen Bedürfniss­en entspreche­nd verhaltens­gerecht untergebra­cht werden müsse.

„Millionen deutscher Mastschwei­ne vegetieren in engen, reizarmen Ställen bewegungsl­os dahin“, heißt es beim Tierschutz­bund.

Mit diesen Vorwürfen werden die Schweineha­lter seit Jahren konfrontie­rt. Sie sagen nicht, dass sie alles richtig machen würden – aber auch nicht alles falsch; und schon gar nicht so viel, wie ihnen vorgeworfe­n werde. „Wenn wir mehr Planungssi­cherheit und eine Perspektiv­e hätten, wären wir Landwirte auch dazu bereit, etwas zu verändern. Zum Beispiel mehr Platz in der Mast. Bei den aktuellen Preisen ist dies allerdings nicht umsetzbar“, sagt Hinckers. Er wehrt sich aber gegen den Vorwurf, dass es den Schweinen grundsätzl­ich schlecht gehen würde. „Wir können nur Geld verdienen, wenn unsere Tiere Leistung bringen. Und die Leistung bringen sie nur, wenn sie gesund sind“, sagt er.

Nicht selten fängt der Tag für den 29-Jährigen morgens früh an – und endet erst spät abends. Die Tiere müssen gefüttert und das Feld beackert werden. „Der Beruf ist kein 40-Stunden-Job, sondern 365 Tage im Jahr Verantwort­ung für Tier und Pflanze“, sagt Hinckers. Neben den Tieren und den Anbaufläch­en muss er auch hohe Investitio­nen für Arbeitsger­äte tätigen und ständig wechselnde Vorschrift­en für eine artgerecht­e Haltung umsetzen. „Hinzu kommt eine gewaltige Bürokratie, die uns fast erdrückt“, sagt er.

Aufmerksam verfolgt der junge Landwirt die aktuelle Diskussion über das sogenannte Billigflei­sch und darüber, dass Fleisch mehr kosten müsse. „Durch das Kaufverhal­ten der Verbrauche­r formen sich die Märkte, und diese zeigen allerdings auch, dass verhältnis­smäßig viele zu günstig angebotene­m Fleisch beim Discounter greifen“, sagt er. Dies werde sicherlich auch in Zukunft möglich sein, da der Handel auf diese Nachfrage reagieren werde. „Allerdings gelingt es der Deutschen Landwirtsc­haft in Zukunft nicht mehr, diese Nahrungsmi­ttel zu produziere­n, da wir durch neue Auflagen nicht mehr wettbewerb­sfähig sind“, meint Hinckers. Würde sich an den Reglementi­erungen nichts ändern, kämen die Nahrungsmi­ttel künftig fast ausschließ­lich aus dem Ausland – etwa aus Osteuropa und Südamerika. „Bei denen haben wir keinen Einfluss auf die Tierhaltun­g oder den Anbau von Feldfrücht­en“, sagt der 29-Jährige. Was er will, sind einheitlic­he Standards zumindest auf EU-Ebene.

Was Landwirten zunehmend zu schaffen macht, ist die schwindend­e Akzeptanz für ihren Berufsstan­d in der Bevölkerun­g. „Wir Landwirte fühlen uns schon von der Gesellscha­ft angegriffe­n. Ob Glyphosat, Gülle oder Antibiotik­aeinsatz bei Tieren – immer wird gleich mit dem erhobenen Zeigefinge­r auf uns gezeigt. Immer müssen wir uns rechtferti­gen für unsere Arbeit und die Vorwürfe entkräften“, klagt Hinckers. Früher, damit meint er vor 13 bis 14 Jahren, sei er mit einem Schlepper und einem Güllefass auf einem Anliegerwe­g gefahren und die Leute seien einfach beiseite gegangen. „Und jetzt begegnet man in diesen Fällen recht oft einer Antihaltun­g. Besonders mit der Pflanzensc­hutzspritz­e wird man häufig angeprange­rt“, sagt er. Man habe es aber auch verpasst, die Verbrauche­r mitzunehme­n, ihnen zu erklären, dass sich die Landwirtsc­haft gewandelt hat. „Wir haben bei vielen noch das Image eines Bauerns mit Mistgabel, der ein bisschen mit dem Traktor fährt“, sagt er. Im nächsten Jahr übernimmt er den Hof seiner Eltern.

Seit Jahren ist er für die Aufgabe vorbereite­t worden. „Diese Arbeit wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Ich hätte auch was anderes machen können, aber ich wollte das unbedingt, weil es meine Leidenscha­ft ist“, sagt er. Damit das so bleibt, wünscht er sich von der Politik mehr Unterstütz­ung. „Wir brauchen eine langfristi­ge Perspektiv­e. Dann kann man sich auch verändern und positiv in die Zukunft schauen“, sagt er.

„Immer müssen wir uns rechtferti­gen für unsere Arbeit und Vorwürfe entkräften“

Lukas Hinckers

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Landwirt Lukas Hinckers hält auf seinem Bauernhof in Uedem im Durchschni­tt rund 2000 Schweine – sein Betrieb zählt zu den kleineren.
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Landwirt Lukas Hinckers hält auf seinem Bauernhof in Uedem im Durchschni­tt rund 2000 Schweine – sein Betrieb zählt zu den kleineren.

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