Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Landwirte wünschen sich mehr Anerkennung
Lukas Hinckers bewirtschaft in Uedem einen Hof mit Schweinen. Der 29-Jährige ringt mit immer neuen Auflagen und fehlender Akzeptanz.
UEDEM „No Farmers, no Food, No Future“(keine Landwirte, kein Essen, keine Zukunft) steht auf einem großen Transparent am Hof von Familie Hinckers in Uedem, einer landwirtschaftlich geprägten Kleinstadt am Niederrhein, über die es gerne heißt, dass die Welt dort noch in Ordnung sei. Doch das ist sie längst nicht. Die Botschaft des Plakats ist deutlich: Der hiesigen Landwirtschaft geht es nicht gut; die Marktlage verschlechtert sich zunehmend; besonders junge Bauern fürchten um ihre Zukunft. „Wir Landwirte hängen durch, das muss man wirklich so sagen“, sagt Lukas Hinckers, der mit seinen Eltern den Hof für Schweine- und Bullenmast mit Ackerbau bewirtschaftet – und das in vierter Generation. „Berufskollegen von mir sagen, dass sie erschöpft sind, da der Druck aus der Gesellschaft immer stärker wird und die Gesetzgebung seitens der Politik immer schwieriger wird“, sagt er.
Immer häufiger geben Landwirte aus wirtschaftlichen Gründen auf oder finden keine Nachfolger für ihre Höfe mehr. „Man muss die Arbeit aus Leidenschaft machen. Wenn man die nicht hat, geht es nicht“, sagt der 29-Jährige. Die Ferkel für seinen Hof bekommt er von einem Erzeuger aus der Region geliefert, sobald sie ein Gewicht von etwa 30 Kilogramm haben und geimpft sind. Sie werden dann so lange gemästet, bis sie rund 120 Kilogramm schwer sind. Etwa vier Monate brauchen die Tiere, um ihr Schlachtgewicht zu erreichen. Dann werden sie zum Schlachthof nach Geldern gebracht. An die Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, die derzeit wegen der Arbeitsbedingungen in der Kritik steht, liefert Hinckers nicht.
Über das Unternehmen möchte er aber nichts Schlechtes sagen – aber auch nichts Gutes. „Der Grund, warum Tönnies so groß werden konnte, ist zum einen, dass er in der Lage ist, das Schwein nahezu komplett zu vermarkten – und dadurch mehr Erlös vom Tier zu haben“, erklärt er. Das heißt, Tönnies hat für jedes Teil des Tieres einen Abnehmer – und muss nahezu nichts wegwerfen. „Zum anderen ist es den kleinen Schlachtunternehmen kaum noch möglich, den gesetzlichen Auflagen gerecht zu werden.“Das könnten fast nur noch die ganz großen Unternehmen, Tönnies eben.
Etwas über 2000 Schweine hält er mit seinen Eltern im Durchschnitt auf dem Hof; damit gehört der Betrieb zu den kleineren. Nur selten muss der junge Landwirt zu Antibiotika greifen. „Damit behandeln wir höchstens einzelne Tiere, wenn sie eine Infektion haben. Das wird auch alles dokumentiert. Wir sind ziemlich gläsern – und das müssen wir auch sein“, berichtet er. Täglich wird mehrfach die Gesundheit und das Fressverhalten der Tiere überprüft und der Stall gesäubert.
In der nordrhein-westfälischen Schweinehaltung leben laut Statistischen Landesamt rund 6,64 Millionen Schweine (Stand Mai 2020). Die Zahl der Betriebe (mit einem Mindestbestand von 50 Schweinen oder zehn Zuchtsauen) liegt demnach bei 6400 – 5,4 Prozent weniger als noch vor einem halben Jahr. „Die Haltungsbedingungen, heißt es beim Tierschutzbund, seien häufig nicht artgerecht. Demnach widersprechen sie dem Tierschutzgesetz, demzufolge ein Tier seinen Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht untergebracht werden müsse.
„Millionen deutscher Mastschweine vegetieren in engen, reizarmen Ställen bewegungslos dahin“, heißt es beim Tierschutzbund.
Mit diesen Vorwürfen werden die Schweinehalter seit Jahren konfrontiert. Sie sagen nicht, dass sie alles richtig machen würden – aber auch nicht alles falsch; und schon gar nicht so viel, wie ihnen vorgeworfen werde. „Wenn wir mehr Planungssicherheit und eine Perspektive hätten, wären wir Landwirte auch dazu bereit, etwas zu verändern. Zum Beispiel mehr Platz in der Mast. Bei den aktuellen Preisen ist dies allerdings nicht umsetzbar“, sagt Hinckers. Er wehrt sich aber gegen den Vorwurf, dass es den Schweinen grundsätzlich schlecht gehen würde. „Wir können nur Geld verdienen, wenn unsere Tiere Leistung bringen. Und die Leistung bringen sie nur, wenn sie gesund sind“, sagt er.
Nicht selten fängt der Tag für den 29-Jährigen morgens früh an – und endet erst spät abends. Die Tiere müssen gefüttert und das Feld beackert werden. „Der Beruf ist kein 40-Stunden-Job, sondern 365 Tage im Jahr Verantwortung für Tier und Pflanze“, sagt Hinckers. Neben den Tieren und den Anbauflächen muss er auch hohe Investitionen für Arbeitsgeräte tätigen und ständig wechselnde Vorschriften für eine artgerechte Haltung umsetzen. „Hinzu kommt eine gewaltige Bürokratie, die uns fast erdrückt“, sagt er.
Aufmerksam verfolgt der junge Landwirt die aktuelle Diskussion über das sogenannte Billigfleisch und darüber, dass Fleisch mehr kosten müsse. „Durch das Kaufverhalten der Verbraucher formen sich die Märkte, und diese zeigen allerdings auch, dass verhältnissmäßig viele zu günstig angebotenem Fleisch beim Discounter greifen“, sagt er. Dies werde sicherlich auch in Zukunft möglich sein, da der Handel auf diese Nachfrage reagieren werde. „Allerdings gelingt es der Deutschen Landwirtschaft in Zukunft nicht mehr, diese Nahrungsmittel zu produzieren, da wir durch neue Auflagen nicht mehr wettbewerbsfähig sind“, meint Hinckers. Würde sich an den Reglementierungen nichts ändern, kämen die Nahrungsmittel künftig fast ausschließlich aus dem Ausland – etwa aus Osteuropa und Südamerika. „Bei denen haben wir keinen Einfluss auf die Tierhaltung oder den Anbau von Feldfrüchten“, sagt der 29-Jährige. Was er will, sind einheitliche Standards zumindest auf EU-Ebene.
Was Landwirten zunehmend zu schaffen macht, ist die schwindende Akzeptanz für ihren Berufsstand in der Bevölkerung. „Wir Landwirte fühlen uns schon von der Gesellschaft angegriffen. Ob Glyphosat, Gülle oder Antibiotikaeinsatz bei Tieren – immer wird gleich mit dem erhobenen Zeigefinger auf uns gezeigt. Immer müssen wir uns rechtfertigen für unsere Arbeit und die Vorwürfe entkräften“, klagt Hinckers. Früher, damit meint er vor 13 bis 14 Jahren, sei er mit einem Schlepper und einem Güllefass auf einem Anliegerweg gefahren und die Leute seien einfach beiseite gegangen. „Und jetzt begegnet man in diesen Fällen recht oft einer Antihaltung. Besonders mit der Pflanzenschutzspritze wird man häufig angeprangert“, sagt er. Man habe es aber auch verpasst, die Verbraucher mitzunehmen, ihnen zu erklären, dass sich die Landwirtschaft gewandelt hat. „Wir haben bei vielen noch das Image eines Bauerns mit Mistgabel, der ein bisschen mit dem Traktor fährt“, sagt er. Im nächsten Jahr übernimmt er den Hof seiner Eltern.
Seit Jahren ist er für die Aufgabe vorbereitet worden. „Diese Arbeit wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Ich hätte auch was anderes machen können, aber ich wollte das unbedingt, weil es meine Leidenschaft ist“, sagt er. Damit das so bleibt, wünscht er sich von der Politik mehr Unterstützung. „Wir brauchen eine langfristige Perspektive. Dann kann man sich auch verändern und positiv in die Zukunft schauen“, sagt er.
„Immer müssen wir uns rechtfertigen für unsere Arbeit und Vorwürfe entkräften“
Lukas Hinckers