Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Rubens hoch und heilig
Eine beeindruckende Ausstellung im Diözesanmuseum Paderborn bringt uns den flämischen Barockmeister näher.
Der Meister wollte die Menschen durch Überwältigung zum Glauben führen
Rubens kam nicht nach Paderborn, dennoch hinterließ er dort Spuren. Sie zeigen sich eindrucksvoll gleich zu Beginn der Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“im Diözesanmuseum am Dom. Dort hängen als Flickerlteppich die kunstvoll zusammengefügten Reste des ehemaligen Hochaltarbilds aus dem Gotteshaus nebenan. Fürstbischof Dietrich Adolf von der Recke hatte Mitte des 17. Jahrhunderts Rubens‘ Schüler Antonius und Ludovicus Willemssens aus Antwerpen nach Paderborn geladen mit dem Auftrag, den Dom in barockem Stil neu zu gestalten und auf diese Weise Rubens mittelbar nach Westfalen zu bringen. Als Fliegerbomben im Zweiten Weltkrieg die Renovierung von einst zunichte machten, überlebten lediglich kleine Fetzen der Altarbilder, darunter zahlreiche Bruchstücke des Hauptaltars mit der „Anbetung der Hirten“. In mühevoller Restaurierung auf eine stark vergrößerte, schwarzweiße Vorkriegsfotografie genäht, lassen sie Antonius‘ Original nun erstaunlich wirklichkeitsnah auferstehen.
Fast gewinnt man den Eindruck, als sei die Szene mit Hirten nach Westfalen verlegt. Denn eine junge Frau hat sich nach vorn neben das Jesuskind gedrängt, mit einem Korb voller Eier und einem toten Fasan – Gabe für Maria und Joseph, die etwas Deftiges vertragen können.
Erst 1983 hatte man die Flicken in einem Keller wiederentdeckt, in den der einstige Dompropst sie 1945 ohne Hoffnung auf Restaurierung abgeschoben hatte. Eine virtuelle Rekonstruktion des gesamten Inneren des Doms stellt die „Anbetung der Hirten“in ihren historischen Rahmen.
Solchermaßen eingestimmt kann man sich dem Meister selbst zuwenden, Peter Paul Rubens (1577-1640), dem aus Siegen stammenden Maler
und Diplomaten, der in Italien die Kniffe der antiken Künstler studiert hatte und sie im Atelier in Antwerpen auf seine eigene Arbeit anwandte und übersteigerte.
Sein Prunkstück in Paderborn ist die „Beweinung Christi“aus den Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein/Wien. Wie Rubens durch die diagonale Lage des Leichnams, durch die Hinwendung sämtlicher umstehender Personen zum fahlen Christus und durch die Lichtregie die Dramatik des Geschehens unterstreicht, darin vereint sich, was die Betrachter bis heute an dieser Spielart des Barocks so sehr fesselt. Wer genau hinschaut, der entdeckt, wie Maria dem Leichnam behutsam einen Stachel der Dornenkrone aus der Stirn zieht und wie dabei Blut rinnt. Körperlichkeit in allen ihren Erscheinungen – auch dies hatte Rubens in Europas Süden studiert und dann im Norden verbreitet, mehr noch als durch leuchtende Farben auf Leinwand mittels Tiefdrucken und Kupferstichen. Die Menschen durch Überwältigung zum Glauben zu führen – das war Rubens‘ Ziel, und dafür überhäuften ihn die Antwerpener Jesuiten mit kirchlichen Aufträgen.
Die Ausstellung im Diözesanmuseum konzentriert sich naturgemäß auf Rubens‘ religiöses Werk. Angesichts der Inbrunst, mit der er die Bibel in Szene setzte, könnte man meinen, er sei ein hochkatholischer Mensch gewesen, doch das ist nicht überliefert. Im Antwerpen der Gegenreformation arbeitete er für ungezählte Kirchen ebenso wie für den protestantischen Adel, der sich von ihm gern porträtieren ließ. Der Vater hatte Kontakt zu calvinistischen Kreisen, der Sohn konvertierte in seiner kurzen Kölner Zeit zum Katholizismus. Der Platz zwischen den Stühlen ließ das Geschäft mit der Kunst florieren.
Rund 40 der 150 Ausstellungsstücke stammen von Rubens selbst und seiner Werkstatt, die übrigen größtenteils von Bildhauern, denen er Impulse gab und mit denen er gern zusammenarbeitete. Schließlich orientierte sich barocke Kunst immer am Ideal des Gesamtkunstwerks und an der engen Verbindung von Kunst und umgebender Architektur.
Eng reihen sich Skulpturen aneinander, darunter eine Darstellung der alttestamentlichen Figuren Samson und Delila aus gebranntem Ton, entworfen vom Flamen Artus Quellinus d. Ä. Wie sich hier in einem bestimmten Moment eine Geschichte verdichtet, das entspricht Rubens‘ Verfahren in seiner Malerei. Auch das Zusammenwirken der Brüder Antonius und Ludovicus Willemssens bezeugt das Ineinandergreifen der Künste im Barock. Der eine war Maler, der andere Bildhauer, durch mehrere Skulpturen ist er in der Ausstellung vertreten.
Am Ende versucht sich die Schau an einem Brückenschlag zwischen Barock und Gegenwart, doch wirkt das Manöver verkrampft. Zeit und Ewigkeit, Leben und Tod – gerade die Corona-Krise zeigt, wie weit wir in unserer Todesangst vom letztlich doch immer wieder den Zweifel besiegenden Auferstehungsglauben des Barocks entfernt sind. Noch am ehesten trägt Tony Craggs sich fast drei Meter in die Höhe windende Plastik „It is, it isn‘t“etwas zum Thema bei, indem sie, wie es im Katalog heißt, „den Zustand des unentschlossenen Schwebens thematisiert“. Hans Op de Beecks Videoarbeit „Celebration“kommt dem Lebensgefühl des Barocks zumindest vordergründig nahe. In einem Festmahl hält der Künstler einen verewigten Augenblick zwischen Leben und Tod fest. Von Erlösung auch hier keine Spur. Ob Rubens daran glaubte, darüber kann man lange sinnieren vor seinem meisterhaften Selbstbildnis aus dem Siegerlandmuseum. Stolz zeigt er sich den Betrachtern im Halbprofil, stark ausgeleuchtet im Gesicht, ringsum gähnt Schwärze.
Die Ausstellung im heiligen Paderborn kommt fast ohne die für Rubens typischen nackten Körper aus. An einer Stelle aber hängt ein Bild, zu dem die Bibel dem Künstler eine gute Vorlage bot: „Der Prophet Elia wird von einem Engel mit Speisen versorgt“. Die Szene, in welcher der Engel als halb entblößte Frau mit Rubensfigur dem gleichfalls halb entblößten Propheten einen Trinkpokal und einen Laib Brot reicht, beruft sich mit Fantasie auf das Buch der Könige im Alten Testament.