Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Ein Kessel Buntes in Essen
Das Unesco-Welterbe der früheren Zeche Zollverein im Nordosten Essens birgt mehrere Museen und ist auch wegen seiner rostigen Industrie-Architektur einen Besuch wert.
ESSEN Die Zeche Zollverein ist kein Museum, sie ist eine Stadt. Beeindruckende Perspektiven bietet schon ein Rundgang durch das weitläufige Gelände des Unesco-Weltkulturerbes mit seinen rotbraunen Backsteinbauten, dem riesigen Doppelbock-Förderturm und der Kokerei mit ihren symmetrisch angeordneten, teils fast 100 Meter hohen Schloten. Noch mehr zu entdecken gibt es in den vielen Ausstellungsräumen, die derzeit mehrere Sonderausstellungen zeigen.
Fiskars-Ausstellung im
Red Dot Design Museum
Der finnische Werkzeug- und Gartengerätehersteller Fiskars hat in diesem Jahr die Auszeichnung „Red Dot: Design Team of the Year“und damit auch mehrere Räume für die Ausstellung „Onnellisuus“erhalten, was auf finnisch „Glück“bedeutet. Besucher erfahren, dass das bekannte Orange der Marke ursprünglich aus Sparsamkeit in die Produkte gefunden hat: In den 1960ern fielen bei der Produktion von Kaffeetassen und elektrischen Entsaftern größere Mengen des grellen Kunststoffs als Abfall an, den der Hersteller für Scherengriffe zu recyceln wusste. All diese Produkte sind ausgestellt, auch eine Unzahl an Äxten, Heckenund Astscheren, an deren Modellen sich die interessante Produktentwicklung und der sich über die Jahrzehnte verändernde Geschmack der Käufer und Designer abbilden. Die Fiskars-Schau ist im ersten Obergeschoss des Red-Dot-Museums, ein Rundgang lohnt auch in der Dauerausstellung – von Milchpumpen bis zum Duschkopf hat dort mit 2000 Exponaten so ziemlich jedes Produkt Einzug gehalten, das einen zweiten Blick wert ist.
Installation „La Primavera“im ehemaligen Kesselaschebunker Immer freitags wird der von der deutsch-amerikanischen Künstlerin Maria Nordman gestaltete Raum „La Primavera“aus dem Kesselaschebunker gekurbelt, in den er sich einfügt. Er darf nur einzeln betreten werden, damit sich der gewünschte Effekt einstellt: Der an sich leere Raum, in den nur durch einen – beim Eintreten nicht zu sehenden – Spalt Tageslicht hereinschummert, gibt das Gefühl des Ausgesetztseins, der Einsamkeit. Stille und diffuses Licht suggerieren einen sichtbaren Nebel, der ein Trugbild der Wahrnehmung ist. Das Erlebnis ist sehr individuell; es ist erlaubt, sich hinzulegen und in sich und den Raum hineinzuhorchen.
Fotoschau „Die weite Stadt“im „Portal der Industriekultur“
Eine visuelle Reise ins Herz des Ruhrgebiets der 70er und 80er Jahre ermöglichen die Fotografien von Heinz Josef Klaßen. Der Essener Gymnasiallehrer lichtete seine urbane Umgebung als Vorlagen für Gemälde ab. 2015 entdeckte Klaßen diese 460 Diapositive wieder und ließ ihnen eine Restaurierung angedeihen. Im ehemaligen Rundeindicker, einem runden Raum, in dessen Mitte konzentrische weiße Sitzbänke stehen, ist unter dem Titel „Die weite Stadt“eine kleine Auswahl dieser Fotos ausgestellt.
Die Aufnahmen haben einen dokumentarischen Charakter, sie zeigen leere Parkplätze voller Pfützen, heruntergekommene, bröckelige Hausfassaden, ein paar gehetzte Fußgänger auf dem Weg von der oder zur Arbeit im tristen, stahlgrauen Essen. Großaufnahmen wie „Bierautomat“aus dem Jahr 1971 wecken Assoziationen klischeehafter Arbeiter, die sich auf dem Heimweg eine Flasche ziehen; das Bild „Tankstelle“hingegen ruft mit großen Werbeträgern nach Aufbruch und lässt diesen winzigen Teil Essens wie einen Ausschnitt einer US-Großstadt wirken.
„Survivors“-Ausstellung im Kokskohlenbunker
Ein Höhepunkt des Angebots auf dem Zechengelände ist die Ausstellung „Survivors“im Bereich der Kokerei, in einem ehemaligen Kokskohlenbunker. Überlebensgroße Porträtaufnahmen von Martin Schoeller zeigen 75 Holocaust-Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, die er zum 75-Jahr-Jubiläum ihrer Befreiung befragte und fotografierte.
Die Wirkung der Bilder ist unmittelbar. Das Gebäude mit seinen rohen Wänden und hohen Decken, die man durch die Beleuchtung kaum erkennen kann, verstärken die beinahe erdrückende Last, die den Betrachter fasst, wenn er in einem der quadratischen Ausstellungsräume steht. Ringsherum blicken ihn die Überlebenden mit ernster, aber nicht anklagender Miene direkt durch die Linse des Fotografen an. Sie zwingen jeden, sich längst beantwortet gewähnte Fragen neu zu stellen: Fragen der Schuld, der Verantwortung in der heutigen Zeit und nach Ansprüchen an die Gesellschaft der Zukunft. Zitate der Porträtierte unter den Fotos erinnern daran, was war und was wieder sein kann, wenn wir vergessen.