Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

The show must go on

- VON TOBIAS JOCHHEIM UND CLEMENS BOISSERÉE

Steigende Corona-Zahlen im Land und dutzende infizierte Spieler – trotzdem wollen die großen US-Ligen zum sportliche­n Alltag zurück. Die NBA setzt dafür auf deutsche Vorbilder und mietet sogar Teile eines Freizeitpa­rks.

ORLANDO Die Fußball-Bundesliga hat sich klare Regeln gegeben: Keine Spiele mit Zuschauern, wenn das Coronaviru­s den Grenzwert von 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche überschrei­tet. Die großen US-Sportligen könnten so nicht stattfinde­n. In Orlando, wo ab Freitag die Basketball-Profiliga NBA ihre Saison fortsetzen will, liegt der Wert zurzeit bei 284 Neuinfekti­onen pro Woche – Tendenz steigend.

Fast wirkt es, als hätte man sich in den USA an die dramatisch­en Zahlen gewöhnt. Im American Football diskutiert man, ob nicht sogar Zuschauer möglich sind, wenn die Saison im September losgehen soll. Die Profi-Teams der Baseball-Liga fliegen für ihre Spiele quer durchs Land. Die Fußball-Liga zieht die Fortsetzun­g der Saison munter durch, auch wenn immer wieder Spiele wegen neuer Corona-Fälle rund um die Teams verschoben oder abgesagt werden müssen.

Vor zwei Wochen reisten nun 22 NBA-Teams nach Nord-Florida, mehrere Hundert Spieler, Trainer und Betreuer begaben sich in Hotels des Freizeitpa­rks Disney World zunächst in Quarantäne. Seit einigen Tagen wird wieder trainiert, am Freitag beginnen die Spiele. The show must go on.

150 Millionen Dollar investiert die Liga für die Fortsetzun­g der Saison, der Plan dafür orientiert sich stark an den Fußball- und Basketball-Hygienekon­zepten aus Deutschlan­d. Täglich werden die Aktiven getestet, das Bewegungsp­rofil aller Spieler wird aufgezeich­net, um Kontakte nachzuvoll­ziehen. Maskenpfli­cht herrscht obendrein. Verstöße lassen sich über eine eigene Hotline anonym bei der Liga melden.

„Wir haben überall Leute, die überprüfen, dass die Regeln eingehalte­n werden. Wenn ich aus dem Zimmer raus gehen würde, dann gibt es überall Sicherheit­sleute, die danach schauen, dass jeder seine Maske an hat“, sagt der deutsche Isaac Bonga von den Washington Wizards. In der Freizeit sollen sich die Spieler vor allem in der „Players Lounge“aufhalten. „Dort gibt es einen Pool, Tischtenni­s, Kartenspie­le sowie viele Fernseher mit Playstatio­n. Draußen kann man Fischen oder Golfen gehen. Man hat hier viele Optionen“, sagt Bonga. Trainiert wird teils in umgebauten Tanzsälen, gespielt wird in einer großen Arena auf dem Gelände des Freizeitpa­rks. Bis Mitte Oktober soll das so gehen, dann soll der Meister feststehen.

„Man darf natürlich skeptisch sein, man muss es vielleicht sogar“, sagt NBA-Experte Frederik Hader, der ab Ende Juli die Spiele beim Streamdien­st Dazn kommentier­en wird. „Die Frage ist, ob der ethische Druck von außen irgendwann zu hoch wird.“Die Krankenhäu­ser in vielen US-Städten sind voll, die Testlabore an ihrer Kapazitäts­grenze. Und mitten hinein in diese Phase kommen die Sportler und verlangen mehrere Hundert Tests pro Tag. Aus Politik, Gesellscha­ft und auch der Liga selbst gab es kritische Stimmen. Doch für die NBA ist es eine Flucht nach vorn. Zum Corona-bedingten Umsatzverl­ust von einer Milliarde durch den Wegfall des Ticketverk­aufs sollen bloß nicht noch Schadeners­atzforderu­ngen der TV-Sender kommen. „Die NBA hat einen guten Plan entwickelt, nirgendwo in den USA dürfte es zurzeit sicherer sein als in Disney World“, sagt Experte Harder. „Aber wenn das Projekt scheitert, dann braucht es auch für die Zukunft ein ganz neues Konzept, dann ist alles ungewiss.“

Das gilt nicht nur für die Männer in der NBA. Auch das Pendant der Frauen ist seit letztem Wochenende wieder aktiv, ebenfalls in Florida,

allerdings in einem weniger schmucken Ressort. Mittendrin ist die Ex-Leverkusen­erin Marie Gülich von den LA Sparks. Mit einer „gewissen Skepsis“sei sie aus Deutschlan­d nach Florida gereist. „Wir werden nach langer Pause sehr viele Spiele in sehr kurzer Zeit spielen, die Verletzung­sgefahr ist entspreche­nd hoch“, gibt sie zu bedenken – und dann ist da noch das Coronaviru­s.

Wie Real diese Gefahr ist, mussten bereits Dutzende Profisport­ler in den USA erfahren. Seit Ausbruch der Pandemie wurden allein in der NBA mehr als 20 Spieler positiv getestet, darunter Stars wie Russel Westbrook oder Kevin Durant. Mit deutlich spürbarer Erleichter­ung verkündete die Liga daher Ende letzter Woche: Alle Spieler, die in den drei Disney-Hotels untergebra­cht sind, wurden negativ auf das Virus getestet. Jetzt erst können die Regeln des 113-seitigen Gesundheit­skonzepts wirklich greifen, mit dem die „Blase“vor Corona-Überträger­n von außerhalb geschützt werden soll.

Gleichzeit­ig wird alles versucht, um den millionens­chweren Profis das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Unter anderem sind sechs Friseure dabei -– ausgewählt aus einer Gruppe von zunächst 50. Nach anfänglich­en Beschwerde­n über miese Zimmer und zu wenig Essen, scheint sich die Stimmung langsam zu bessern. Die Spieler fluten die sozialen Medien mit Videos von Streichen, Gesangsein­lagen und Teamaktivi­täten. Viele haben ihre Spielkonso­len dabei, andere Gitarren, Bücher und Angelausrü­stungen. Der Trainer Luke Walton brachte sieben Pfund Kaffee samt Mühle mit. Die Exzentrike­r unter den Athleten konnten nicht ohne 60 Paar Schuhe, 200 Kleidungss­tücke oder ihr Musikprodu­ktionsstud­io.

Die NBA verkauft ihren Re-Start als große, dringend benötigte Ablenkung für das gebeutelte, politisch zerrissene Land, und ganz falsch mag das nicht sein. Jedenfalls wird durchgezog­en. Ziemlich unabhängig davon, wie viele Menschen im „Sunshine State“Florida mit seinen ungezählte­n Altenheime­n sowie in den USA insgesamt an Covid-19 leiden und sterben werden. Erst bei einer “signifikan­ten Ausbreitun­g des Virus auf unserem Campus” würde man das Experiment abbrechen, sagte NBA-Chef Adam Silver. Was das heiße und wie hoch seine Zuversicht sei, dass alles glatt laufen werde, behielt er lieber für sich.

Übrigens: Der erste Verstoß gegen die Regeln wurde nach nicht mal 24 Stunden verzeichne­t. Ein Spieler hatte, obwohl noch unter Quarantäne stehend, sein Zimmer verlassen und die Hotelküche aufgesucht. Er hätte Hunger gehabt, die vorher geliefert Portion sei zu klein gewesen. In der Folge wurde die Quarantäne von zwei Tagen auf zwei Wochen verlängert.

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FOTOS: DPA/AP Lebron James (oben) von den LA Lakers gehört zu den Stars in der Disney-World-„Blase“. Mit den Besuchern werden die Spieler dort nicht in Kontakt kommen, für ihren Aufenthalt haben sie reichlich Gepäck dabei.
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