Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die unsichtbar­e Gefahr

Anders als kriminelle arabische Clans wird die italienisc­he Mafia in der Öffentlich­keit kaum wahrgenomm­en. Dabei hat sie das Kokain-Geschäft in Europa fest in ihrer Hand. Nordrhein-Westfalen spielt für die Mafiosi eine wichtige Rolle.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Mehr als 13 Jahre ist es her, als die italienisc­he Mafia in Deutschlan­d aus dem Dunkeln getreten ist und ein Killerkomm­ando vor dem „Da Bruno“, einem damaligen Nobel-Italiener am Duisburger Hauptbahnh­of, sechs Italiener mit 54 Schüssen hingericht­et hat. Der Mafia haben die Morde nicht geschadet. „Das genauere Hinsehen der Öffentlich­keit und der Polizei durch den Fall hat sich kaum auf die Aktivitäte­n ausgewirkt. Die Morde haben vielmehr zu einer noch höheren Profession­alisierung der Mafia geführt. Italiener haben nach Duisburg gelernt, unauffälli­g

„Man muss bestimmte Produkte von Unternehme­n kaufen oder wird dazu gezwungen“

Sandro Mattioli Mafia-Experte

zu agieren“, sagt der europaweit renommiert­e Mafia-Experte Sandro Mattioli. Tatsächlic­h scheint die Mafia in NRW so stark zu sein wie nie zuvor.

Das Landeskrim­inalamt (LKA) zählt mindestens 117 mutmaßlich­e Mitglieder in NRW; vor fünf Jahren waren es noch 101 Personen. Dazu kommt eine vermutlich hohe Dunkelziff­er. Vier Mafia-Organisati­onen agieren in NRW: die Camorra, die Cosa Nostra, die ’Ndrangheta und die Apulische. „Seit einigen Jahren ist in Nordrhein-Westfalen vor allem eine Dominanz der ’Ndrangheta zu beobachten, nachrangig jedoch auch der Cosa Nostra“, sagt LKA-Sprecher Andre Faßbender.

In den Großräumen Köln und Wuppertal ist die Cosa Nostra als „Baustellen-Mafia“(etwa durch bandenmäßi­ge Hinterzieh­ung der Umsatzsteu­er) aktiv, im östlichen Ruhrgebiet die Camorra und im westlichen Ruhrgebiet sowie am Niederrhei­n die ’Ndrangheta. Die Organisati­onen kommen sich in der Regel nicht ins Gehege bei ihren Geschäften, auch nicht mit Rockern, Russen und Libanesen. Ausgangspu­nkt der organisier­ten Kriminalit­ät ist Ermittlern zufolge immer das Streben nach Geld und dem maximalen Profit – und das möglichst unauffälli­g.

NRW ist für die Mafia so attraktiv, weil es ein prosperier­endes Land mit einer guten Infrastruk­tur und Nähe zu den Niederland­en sei, sagt Faßbender. NRW gilt für die Mafia auch als Rückzugsor­t, als Operations­ort für ihre Geschäfte und als Transitlan­d, um etwa Drogen aus den Niederland­en

zu schmuggeln. „Ein weiterer Grund für die Präsenz der Mafia in Nordrhein-Westfalen dürften historisch gesehen jedoch auch die weitreiche­nden Migrations­bewegungen italienisc­her Staatsbürg­er in den 60er und 70er Jahren gewesen sein, welche überwiegen­d aus den süditalien­ischen Heimatregi­onen der Mafia-Organisati­onen einwandert­en“, sagt der LKA-Sprecher. „Wobei die Einwanderu­ng einer Minderheit von organisier­ten Kriminelle­n dieser Bewegung immanent gewesen sein dürfte.“

Die Hauptkrimi­nalitätsfe­lder der Mafia in NRW und Deutschlan­d sind laut Polizei: Einfuhrsch­muggel und Handel von Kokain, Geldwäsche – häufig unter Nutzung weit verzweigte­r Gastronomi­e- und Einzelhand­elsstruktu­ren –, Verschiebu­ng von Autos und Geldfälsch­ung. „Weiterhin gab es diverse Einzelermi­ttlungen wegen Tötungsdel­ikten, Raub, Geldwäsche, Erpressung, Bedrohung und Steuerhint­erziehung“, sagt LKA-Sprecher Faßbender.

In Europa ist das Kokain-Geschäft fest in der Hand der italienisc­hen ’Ndrangheta, der kalabrisch­en Mafia. Das weiße Pulver, da sind sich die Ermittler einig, stammt zu größten Teilen aus Südamerika. Nach Angaben des Bundeskrim­inalamtes gelangen die Drogen vor allem über die Häfen Rotterdam und Antwerpen nach Europa und von dort aus auch auf den deutschen Markt. In NRW gilt Düsseldorf als Hochburg von Kokain-Konsumente­n. Geschmugge­lt wird der Stoff in großen Containers­chiffen, deren Besatzung davon in der Regel keine Kenntnis hat. NRW und Deutschlan­d fungieren für die Kokainkuri­ere aber in erster Linie als Transitlan­d. Die Bestimmung­sorte sind vor allem Ost- und Südeuropa – insbesonde­re Italien.

Zu den Kriminalit­ätsfeldern der Mafia gehört nach wie vor auch die Schutzgeld-Erpressung. Diese ist jedoch nur schwer nachzuweis­en, nicht zuletzt wegen mangelnder Anzeigeber­eitschaft der Opfer. Laut LKA hat es in den vergangene­n Jahren allerdings kaum Ermittlung­sverfahren in diesem Deliktbere­ich gegeben, weil sich die Beweisführ­ung häufig sehr schwierig darstellt. „Der Verdacht der Schutzgeld­erpressung durch potenziell­e Angehörige einer Mafia-Organisati­on kann in der Regel nicht erhärtet werden“, sagt Faßbender. Selbst wenn sich ein Opfer trauen würde, zur Polizei zu gehen, könne der Nachweis eines strafrecht­lich relevanten Tatbestand­s in der Regel nicht erbracht werden. „Denn derartige Erpressung­en erfolgen oft eher subtil und nicht mit brachialer Gewalt.“

Kann man als Italiener einfach in Düsseldorf ein Restaurant eröffnen, ohne Schutzgeld bezahlen zu müssen? „Ich glaube ja, das ist möglich“, sagt Mafia-Experte Sandro Mattioli. Aber natürlich gebe es die Schutzgeld­erpressung nach wie vor. „Es ist nur heute nicht mehr so, dass man einen Brief mit entspreche­nden Anweisunge­n bekommt und dann kommt jemand vorbei und holt das Geld“, erklärt er. Stattdesse­n liefe es so: „Man muss bestimmte Produkte von Unternehme­n und Hersteller­n kaufen oder wird dazu gezwungen. Das kann Wein und Olivenöl sein, Pizzateig und Kaffee. Auf diese Art wird Schutzgeld bezahlt“, sagt Mattioli. Das habe für die italienisc­hen Clans den Vorteil, dass das in Deutschlan­d nur Nötigung sei mit einem Strafrahme­n von maximal zwei Jahren. „Wer mit einer Pistole ins Lokal geht und sagt, er hätte jetzt gerne 500 Euro jeden Monat, begeht hingegen eine gewaltige Straftat. Wer einem Wirt nur sagt, dass er ab sofort nur noch diesen einen bestimmten Wein kaufen soll, begeht lediglich eine Nötigung“, erklärt er.

Zum „Erfolgsgeh­eimnis“der Mafia gehört, dass man sie kaum wahrnimmt. „Die italienisc­he Mafia zeigt ein freundlich­eres Gesicht in Deutschlan­d in der Öffentlich­keit als arabische Clans. Wahrgenomm­en werden Italiener hier oft als der nette Gastwirt, der freundlich­e Unternehme­r, der Sunnyboy aus dem Süden“, erklärt der Mafia-Experte. Die italienisc­he Mafia habe sich schneller profession­alisiert. „Die italienisc­he Mafia verhält sich schlauer als die arabischen Clans, weil sie begriffen haben, dass sie ihre Geschäfte besser machen können, wenn sie nicht im Fokus stehen“, sagt er. Arabische Clanmitgli­eder posierten hingegen mit teuren Autos. „Und alle Welt fragt sich: Wie können sie sich das leisten. Und das fällt der Polizei natürlich auf.“

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Polizisten bei einer Razzia gegen die italienisc­he Mafia 2018 in einer Duisburger Eisdiele.
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Polizisten bei einer Razzia gegen die italienisc­he Mafia 2018 in einer Duisburger Eisdiele.

Newspapers in German

Newspapers from Germany