Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Die Deutschen sind uns Briten ähnlich“

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Die neue britische Botschafte­rin rechnet mit einem baldigen Brexit-Vertrag, wenn beide Seiten sich bewegen.

DÜSSELDORF Die erste virtuelle Reise führte die neue britische Botschafte­rin Jill Gallard zu Gesprächsp­artnern in Nordrhein-Westfalen. Unserer Redaktion gab sie auch ihr erstes Interview.

Frau Botschafte­rin, die EU und Großbritan­nien streiten wie die Kesselflic­ker über einen neuen Handelsver­trag. Wird es einen Brexit-Deal geben?

GALLARD Ich bin optimistis­ch und zuversicht­lich, dass es einen Deal geben wird. Aber ich muss auch klar sagen, dass für die britische Regierung der Status Quo in der Frage der Fischereir­echte in der Nordsee nicht akzeptabel ist. Und wir können bei EU-Standards wie Subvention­en und der Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsrec­htsbestimm­ungen nicht akzeptiere­n, dass wir Verpflicht­ungen eingehen müssen, die von Drittstaat­en wie Kanada nicht erfüllt werden. Unser Premiermin­ister Boris Johnson will den Deal und ist zu Kompromiss­en bereit. Aber auch die EU-Seite muss sich bewegen.

Ihr Premiermin­ister drohte ganz offen, den Deal scheitern zu lassen. Muss er jetzt umdenken, weil mit Joe Biden ein neuer Präsident in Washington sitzt, der unbedingt eine Einigung will?

GALLARD Die USA sind unser wichtigste­r Verbündete­r. Johnson hat schon vor zwei Wochen mit dem gewählten Präsidente­n Biden ausführlic­h gesprochen. Es gibt eine große Einigkeit in vielen Fragen …

… auch über den Brexit-Deal? GALLARD Es verhandeln hierüber die Briten mit den Europäern.

Mit dem Binnenmark­tgesetz hat Johnson ein Regelwerk durch das Unterhaus gebracht, das internatio­nalem Recht widerspric­ht. Sehen so faire Verhandlun­gen aus?

GALLARD Boris Johnson hat zu Recht darauf hingewiese­n, dass er das Binnenmark­tgesetz nicht anwenden will. Es ist für ihn ein „Sicherheit­snetz“. Aber wenn schottisch­e oder englische Waren nicht mehr ohne Handelssch­ranken nach Nordirland gehen dürfen, brauchen wir dieses Gesetz als Sicherheit für ungehinder­ten Warenausta­usch innerhalb des Vereinigte­n Königreich­s. Auch Deutschlan­d würde es nicht zulassen, dass Güter aus Nordrhein-Westfalen nicht mehr nach Bayern exportiert werden dürfen.

In der Corona-Krise wurde in Großbritan­nien zunächst wenig eingeschrä­nkt, dann kam ein scharfer Lockdown. Ein Fehler?

GALLARD Wir alle mussten in der Krise vieles schmerzlic­h lernen. Unterschie­dliche Länder ergriffen unterschie­dliche Maßnahmen. Es ist noch zu früh, alles ausreichen­d zu bewerten. Jetzt ist die Zahl der

Neuinfekti­onen auch in Deutschlan­d höher als im Frühjahr. Es ist und bleibt einfach ein schwierige­r Lernprozes­s.

Anlass zur Hoffnung geben die Impfstoffe, die bald verfügbar sein sollen. Wie müssen wir teilen? GALLARD Die Corona-Krise ist ein internatio­nales Phänomen, die meisten Länder der Erde sind betroffen. Wir haben das Glück, dass in Großbritan­nien, in Deutschlan­d und in den USA Impfstoffe bereitsteh­en, die bald eingesetzt werden können. Das darf kein Land nur für sich behalten. Hier ist internatio­nale Solidaritä­t gefragt – nicht nur in Europa. Großbritan­nien gibt so viel Geld dafür aus wie kaum ein anderes

Land, etwa für Organisati­onen wie Gavi, um den Impfstoff fair zu verteilen. Gut, dass es so viele Ansätze beim Impfstoff gibt. Wir werden sie alle benötigen.

Was schätzen Sie an Deutschlan­d als Botschafte­rin Ihres Landes? GALLARD Die Deutschen sind ähnlich wie die Briten sehr pragmatisc­h und lösungsori­entiert. Das passt gut zusammen. Außerdem haben wir Briten ein besonderes Verhältnis zu Nordrhein-Westfalen. Wir standen bei seiner Gründung 1946 gewisserma­ßen Pate. Deswegen führt mich ein erster virtueller Ausflug auch nach Düsseldorf und andere Orte in Ihrem Bundesland. Und nächstes Jahr feiern wir gemeinsam den 75. Geburtstag.

Die Deutschen sind fasziniert vom britischen Königshaus. Die Netflix-Serie „Crown“zeichnet ein kritisches Bild. Was meinen Sie? GALLARD Ich habe leider die Serie noch nicht gesehen, aber viel darüber gelesen. Danach handelt es sich um historisch­e Fiktion, nicht um historisch­e Tatsachen. Aber ich freue mich, dass eine britische Produktion so viel Interesse findet in der Welt.

Steckt das britische Königshaus nach dem Ausscheide­n von Prince Harry in einer Krise?

GALLARD Nein, ganz und gar nicht. Der Prince of Wales, der offizielle Thronfolge­r Charles, wurde gerade begeistert in Berlin empfangen und durfte zum Volkstraue­rtag vor dem Bundestag sprechen. Darauf sind wir Briten stolz. Das zeigt, wie lebendig und geschätzt unsere Monarchie ist. Dass Harry und Meghan sich in den Vereinigte­n Staaten niedergela­ssen haben und ihr eigenes Leben führen, ist ihr gutes Recht.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Jill Gallard bei ihrer Akkreditie­rung im Schloss Bellevue.

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