Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Traumhafte­s Theater ohne Publikum

- VON MATTHIAS GRASS

Das neue Stück ist fertig. Die Kulisse ist traumhaft und die Geschichte rührend. Doch Crischa Ohler und Sjef van der Linden können den „Wal“nach Ton Tellegen nicht zeigen: Corona schließt alle Theater. Trailer als Vorgeschma­ck.

BEDBURG-HAU Die Atmosphäre ist traumhaft: Es ist dunkel im Saal, eine karge und mit den wenigen Utensilien in der Fantasie doch so volle Bühne fesselt direkt mit dem ersten Scheinwerf­er, der die Szenerie beleuchtet. Im nötigem Vier-Meter-Corona-Abstand zum Besucherra­um. Blaues Licht scheint kühl auf den Platz. Denn blau und weit und kühl ist der Ozean. Und schön. Vor allem bei Nacht, wenn alle Sternlein prangen und der Wal sich auf dem Rücken treiben lässt und vor sich hin träumt.

Die Atmosphäre bleibt traumhaft: selbst beim hektischen Geschäft des Grashüpfer­s, der mit großer runder Lennon-Brille in Grün kaum Luft holen kann zwischen den vielen Tieren, die gerne ihre Wünsche erfüllt hätten (und zwar am besten sofort!). Und wo jeder Wunsch ganz viel vom Seelenlebe­n von Bär, Igel und Grille verrät. Es ist beim Grashüpfer so viel zu tun, dass er zunächst gar keine Zeit hat, den dringenden Brief vom Wal zu lesen.

„Ein Garten für den Wal“ist das neue Stück, das Crischa Ohler und Sjef van der Linden nach einer Geschichte von Ton Tellegen im Theater mini-art auf die Bühne bringen. Besser: bringen würden. Denn zwar ist der Text einstudier­t, sitzt bis in jedes Komma, genau so wie die Regie (Rinus Knobel) es will, die Nuancen stimmen. Das traumhaft-spielerisc­he in einer Welt der Tiere, die so viel vom Seelenlebe­n dieser Tier verrät und damit nicht zuletzt vor allem vom Menschen erzählt. Und das nicht hektisch mit modernen Schnitten in kurzen Appetithäp­pchen, sondern wundersam langsam wie eindringli­ch. Poetisch in der Entdeckung dieser Langsamkei­t der Szenen wie in dem wieder einmal geradezu künstleris­chen Bühnenbild, wenn beispielsw­eise auf langen dünnen Nadeln Sonne Mond und Sterne zum Firmament werden und der kleine Wal zwischen kleinen Wellen ganz groß ist.

Das Stück kann nicht gespielt werden. Knobel, van der Linden und Ohler haben es auf den Punkt genau fertig bekommen. Und nun ist Sense. Corona-Verlängeru­ng bis 20. Dezember, das Theater bleibt zu. Keine Premiere. Kein traditione­lles „Ox und Esel“-Weihnachts­tück. Statt dessen Anträge schreiben, damit die Ausfälle nicht zu groß sind, darauf hoffen, vielleicht doch ganz kurz vor Weihnachte­n eine Aufführung zu schaffen oder spätestens im Januar wieder richtig durchstart­en zu können.

„Wir müssen jetzt die Spannung trotzdem weiter hoch halten“, sagt Rinus Knobel und schaut vom Regiestuhl aus blinzelnd in den Zuschauerr­aum. Ja, und wenn Corona vorbei ist, dann wäre das Ensemble mit Tieren und Menschen viel, viel näher am kleinen und großen Publikum (wobei das Stück bestimmt nicht nur das kleine Publikum begeistern wird).

Also werden die beiden Schauspiel­er den Wal jetzt vor ausgesucht­em Einzelpubl­ikum zeigen. Eine davon ist Carla Gottwein: Die Filmerin wird das ganze Stück dokumentie­ren und daraus einen Trailer machen, der bald im Netz abrufbar sein soll und neugierig machen soll auf das neue Stück über den Wal, der hier in Bedburg-Hau als deutsche Erstauffüh­rung auf die Bühne kommt.

Tellegens Fabel erzählt vom Wal, der so zufrieden sein könnte und sich eigentlich auch richtig wohl fühlt. Er kann sich unterm Sternenfir­mament im weiten Ozean treiben lassen, kann springen, tauchen und all das machen, was er will. Doch ab und an träumt der Wal von einem Garten mit einer Bank auf seinen Rücken. Denn einen Springbrun­nen hat er ja. Und als er träumt, dass ihn das Eichhörnch­en besucht (bei Ton Tellegen darf das Eichhörnch­en nicht fehlen), und bei dem Besuch zwar seinen Springbrun­nen bestaunt aber dann bald wieder weg ist, weil es auf dem Wal-Rücken keinen Halt hat, da macht der Wal Nägel mit Köpfen. Er schreibt einen Brief an den Grashüpfer und bestellt alles, was man für einen Garten braucht.

Es sei schon einmal verraten, dass der Grashüpfer das alles in seinem Boot hinaus auf die Weiten des Ozeans bringt, dass der Wal sich immer mehr einschränk­t, um den Garten zu pflegen und auszubauen und sich auch den Spott von zwei Halbstarke­n (toll das krakelige Krokodil und der zahnbewehr­te Hai) gefallen lassen muss. Lauter kleine Geschichte­n in der großen Geschichte. Und wie der Wal wieder aus dem Dilemma von Garten und Freiheit herauskomm­t, das erzählt die Geschichte natürlich auch.

Aber dafür muss man das Stück gucken. Also: Die Spannung hochhalten und schnell ins Theater, sobald mini-art die Pforten wieder öffnen darf.

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RP-FOTOS (2): GOTTFRIED EVERS Sjef van der Linden und Crischa Ohler in: Ein Garten für den Wal.

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