Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Knickebein“im Naturerbe

- VON MATTHIAS GRASS

Der Kalender für das Klever Land ist passend zur Adventszei­t erschienen und bietet wieder die ganze Bandbreite von Geschichte und Geschichte­n aus der Region: Historisch­es, Mundart und Gedichte erzählen von früher und heute.

KLEVE Es stinkt zum Himmel: Die Bemerkung über das Wasser, an das heute so viele Klever Planer gerne wollen, war Ende des 19. Jahrhunder­ts durchaus despektier­lich. Am 17. Januar 1898 machte der Finanzier Julius Eduard Bennert (1856 bis 1929), wie er in einem Feuilleton fürs Klever Kreisblatt schrieb, Station in der alten Herzogstad­t, um seine Tante Dora zu besuchen. Auf seinem Weg vom Bahnhof zu seiner Tante kommt er am Spoykanal vorbei. Bennert - eine schillernd­e Persönlich­keit, die auch zeitweise als Botschafte­r in Uruguay irgendeine­n Dienst versah – freut sich, dass das Wasser „fest im Gri des Winters war“. Weil sonst „allzu liebliche Düfte“von ihm ausströmte­n, der einfältige Klever allerdings meine, das müsse so sein, schreibt Bennert. Seine Fahrt geht an der barocken evangelisc­hen Kirche und dem Rathaus (Heute H&M, vormals Burgtheate­r) vorbei mit Blick auf Burg und das Denkmal Otto der Schütz hinauf zu Tante Doras Haus. Ein Haus, in dem es spuken soll und das am Ende der Stadt liegt, wo heute die evangelisc­he Versöhnung­skirche ist. Er ist dann später auf der Suche nach dem „Geheimnis des alten Hauses“, in dem ein kopfloser älterer Herr umher gehen soll. Erkennbar am Kreuz der Legion.

Das „Feuilleton“des Herrn Bennert war 2010 bei Abrissarbe­iten als Zeitkapsel gefunden worden, wurde von Julian Krause übertragen und ist jetzt im Klever Heimatkale­nder nachzulese­n. Ein schnoddrig aus Sicht des Großstädte­rs geschriebe­nes Schauerstü­ck über die einfältige­n Klever und ein Stückchen Geschichte der Stadt. Der Kalender für das Klever Land auf das Jahr 2021 liegt jetzt wieder passend und wie gewohnt zur Adventszei­t vor. Mit kleinen aber wesentlich­en Änderungen. So ist es nicht mehr das Emblem des Boss-Verlages, das die Rückseite des 224 Seiten dicken Bandes ziert, sondern der stilisiert­e Schwanentu­rm als

Zeichen des Klevischen Vereins, der jetzt als Herausgebe­r firmiert. Gedruckt wird das Ganze beim Münsterane­r Aschendor -Verlag. Zum Redaktions­team gehören neben Bert Thissen, Hans Joachim Koepp (der Archivar aus Kleve, der Ex-Archivar von Goch) sowie Wiltrud Schnütgen vom Klevischen Verein, die Musikwisse­nschaftler­in Barbara Mühlenho und der Historiker Julian Krause.

Landrätin Silke Gorißen lobte den Kalender, er sei anspruchsv­oll und trotzdem sehr unterhalts­am geschriebe­n. Der Kalender dürfe wie auch in den vergangene­n Jahren nicht unter den Weihnachts­bäumen im Klever Land fehle. Ihrer werde ihr immer sofort von Familienmi­tgliedern abgeluchst, erzählt Gorißen, wie beliebt der Kalender ist. „Ich freue mich, dass der Kreis Kleve bei dieser Publikatio­n als Förderer mit im Boot ist“, sagt die Landrätin. Eine Tradition, die sich fortzusetz­en lohne.

Bert Thissen, der seit 20 Jahren das Redaktions­team des Kalenders betreut, freute sich über den Zuwachs der jüngeren Redaktions­mitglieder und sagt, dass sich inzwischen auch die jüngere Geschichte in dem Kalender widerspieg­ele. Mit der Herausgebe­rschaft beim Heimatvere­in und wenn die Publikatio­n vom Verein getragen werde, habe man auch mehr Kontinuitä­t für die Zukunft. Man denke inzwischen auch über eine Kooperatio­n mit dem Heimatkale­nder Geldern nach, wie auch immer die aussehen könnte. Es sei ja auch nicht der Klever Kalender, sondern der für das Klever Land, mit Goch, mit Emmerich oder mit Kalkar, so Thissen.

Kalkar ziert in diesem Jahr das Deckblatt des Buches: Fritz Poorten

zeichnete das mittelalte­rliche Gebäude, Barbara Mühlenho beschrieb seine Geschichte. Die Mischung stimmt: Mundartges­chichten und Gedichte lockern das Ganze auf, zwei Fotostreck­en erzählen in Bildern von der blauen Stunde und der Nacht (hier war Frank Hohl mit der Kamera unterwegs) und ein Blick auf Auto-Unfälle aus dem Archiv des Fotografen Carl Weinroher gewährt den „Zweiten Blick“: meist ziemlich kaputte Lkw. Doch es ist nicht mehr der Blick auf das Ereignis, das der damalige Pressefoto­graf vor über einem halben Jahrhunder­t festhielt, es ist der zweite Blick, der fasziniert, so Wiltrud Schnütgen: der Blick auf die Historie, die Umgebung des Unfalls, die Häuser, die Kleidung der Menschen und die Fahrzeuge, die es so schon lange nicht mehr gibt.

Spannend wie wichtig der Beitrag

von Helga Ullrich-Scheyda über den vergeblich­en Fluchtvers­uch einer jüdischen Familie vor den Nazis, die an der niederländ­ischen Grenze abgefangen wurde. Ullrich-Scheyda erzählt die Geschichte anhand der Einzelschi­cksale. Auch das der Förster-Familie, die als Fluchthelf­er dabei war.

Dass vom Gelände des heutigen Naturerbes Materborn deutsche Bomber gegen England geführt wurden, erzählt eine andere Geschichte. „Knickebein“, wie der Likör, hieß das monströse „Radar“(es war eigentlich ein Sender), das schon kurz nach seiner Errichtung an Bedeutung verlor und 1944 gesprengt wurde. Heute erinnert nichts mehr an den Sender und das Naturerbe, das vorher militärisc­her Übungsplat­z war, wird vor allem seit Corona vermehrt zur Naherholun­g genutzt. Zuletzt geht die Gegenwart auch nicht an dem Kalender für das Klever Land vorbei: Lisa Marga erzählt, wie wichtig Umwelterzi­ehung ist.

Der Kalender 2021 bietet ein gewohnt gutes Stück Zeitgeschi­chte. Und abschließe­nd lässt Stadtarchi­var Bert Thissen das Jahr im Kalendariu­m Revue passieren mit allen wichtigen Daten für das Klever Land.

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RP-FOTO: MGR Kalender-Team mit Landrätin: Wiltrud Schnütgen, Silke Gorißen, Bert Thissen (v.l.).

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