Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Scharfe Kritik an Söders Impfpflicht-Idee
Die Bundesregierung hat das Versprechen abgegeben, dass Impfen nicht zur Pflicht wird. Nun heizt Bayerns Ministerpräsident eine neue Debatte an.
BERLIN Zwischen den Regierungsparteien hängt der Haussegen schief und schuld daran ist das Impfen. Die SPD hatte den ohnehin in der Kritik stehenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuletzt weiter in Bedrängnis gebracht, indem sie ihm einen saftigen Fragenkatalog zur Beschaffung des Impfstoffs vorlegte. Neuerdings aber läuft die Konfliktlinie nicht mehr nur zwischen Union und SPD. Auch innerhalb der Union werden Unterschiedliche Positionen sichtbar.
Wieder einmal ist es der bayerische Ministerpräsident, der eine neue Debatte anheizt: Markus Söder (CSU) brachte am Dienstag eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ins Spiel und forderte den Ethikrat dazu auf, entsprechende Vorschläge vorzulegen. Söder nannte explizit die Pflegekräfte, unter denen es eine „zu hohe Impfverweigerung“gebe, wie Söder gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“bedauerte. Geht es nach dem Regierungschef aus Bayern, braucht es mehr Wumms beim Impfen. Söder forderte „eine große staatliche Kampagne“, um die Bereitschaft zum kleinen Pieks in der Bevölkerung zu erhöhen.
Das Problem dabei: Söders Vorstoß steht im Konflikt zum bisherigen Versprechen der Bundesregierung, dass es keine Impfpflicht gegen Covid-19 geben wird. Immer wieder hat Gesundheitsminister Spahn dies hoch und heilig versprochen. „Wir wollen keine Impfpflicht einführen“, beteuerte auch die Bundeskanzlerin. Und auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) machte am Dienstag noch einmal unmissverständlich deutlich: „Das Wort der Bundesregierung gilt.“Aufgabe der Regierung sei es, über die Impfung gründlich zu informieren und Sorgen und Befürchtungen auszuräumen. Ein Seitenhieb auf Spahn? Unklar. Lambrecht sagte weiter: „Wenn die Menschen von der Sicherheit und Wirksamkeit der Impfung überzeugt sind, werden sich die Allermeisten auch impfen lassen.“
Dennoch stellt die Frage der Impfbereitschaft die politischen Spitzen vor massive Probleme. Anders als bei der Beschaffung der Vakzine, für die es logistische Lösungen geben kann, ist die Bereitschaft der Bürger ein sehr viel sensibleres Thema – und mit Bedenken, Sorgen, Ängsten aufgeladen: Ist die Impfung 100-prozentig sicher? Sind Langzeitfolgen ausgeschlossen? All diese Gedanken schwingen mit. Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU im
Bundestag und Söders rechte Hand in Berlin, rechnet mit einer Verlagerung der Debatte, „von einer Situation: Es gibt zu wenig Impfstoff. Hin zu einer Situation: Es gibt zu wenige, die sich impfen lassen“. Auch Dobrindt plädierte für eine „deutlich intensivere Impfkampagne“.
Die Angelegenheit ist heikel, zumal das Impfen als der Weg schlechthin im Kampf gegen Corona gilt. Bisher ist keine andere Strategie in Sicht, um das Virus in den Griff zu bekommen. Laut Experten müssen 65 bis 70 Prozent der Bevölkerung für die notwendige „Herdenimmunität“geimpft werden. Erst wenn diese erreicht ist, gilt die Pandemie als besiegt.
Doch statt der ersehnten Erleichterung der Lage zeichnete sich am
Dienstag eine weitere Verschärfung ab. Eindringlich warnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einer Ausbreitung der Virus-Mutationen hierzulande. Deutschland stehe „vor acht bis zehn sehr harten Wochen“, soll Merkel in der Arbeitsgemeinschaft Sicherheit der Unions-Bundestagsfraktion gesagt haben, wie mehrere Teilnehmer der Sitzung mitteilten. Am späten Dienstagnachmittag meldete die Landesregierung von Baden-Württemberg dann den ersten Nachweis der Mutation B.1.351 aus Südafrika.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kritisierte den Impfpflicht-Vorstoß dennoch scharf – ohne Söder namentlich zu nennen. „Die Diskussion über einen Impfzwang für bestimmte Berufsgruppen bringt uns keinen Schritt weiter, sie ist sogar schädlich“, sagte Weil unserer Redaktion. Viele Menschen seien bereit, sich impfen zu lassen, „immer mehr auch und gerade in den Alten- und Pflegeheimen“. Söders Amtskollege setzt auf den Nachahmer-Effekt: Je mehr Menschen ohne nennenswerte Nebenwirkungen den Impfstoff erhalten würden, desto größer werde nach Weils Überzeugung die Impfbereitschaft auch bei anderen.
Heikel ist die Debatte auch mit Blick auf die Berufsgruppe, um die es geht: die Pflegekräfte. Während sie in der Pandemie als unverzichtbar gelten, sind sie nun als Erste im Gespräch, wenn es um eine Impfpflicht geht. Genau diese aber lehnen Spitzenvertreter der Berufsverbände entschieden ab. Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer, beruft sich auf das Versprechen der Bundesregierung, dass es keine Impfpflicht geben wird. „Dass das auch für die Beschäftigten im Gesundheitswesen gilt, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein“, sagte Reinhardt. Auch der Deutsche Pflegerat sieht in einer Impfpflicht ein „völlig falsches Signal“, wie deren Präsident Franz Wagner sagte. „Mit Zwang erreicht man eher das Gegenteil.“
Es bleibt die Frage, mit welchen politischen Strategien die Impfbereitschaft gesteigert werden soll. Die CSU brachte am Dienstag weitere Vorschläge ins Spiel: Ein parlamentarisches Gremium, in dem gesundheitsund wirtschaftspolitische Kompetenzen gebündelt werden, soll die Impfkampagne der Bundesregierung begleiten. Und: Spitzenpolitiker sollen schnell geimpft werden, um als Vorbilder voranzugehen. Am Stoff für weitere innerkoalitionäre Debatten fehlt es auf jeden Fall nicht.