Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Das Jahr der Wissenschaft
Die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs ist das Ergebnis langer Vorbereitung.
Das Jahr 2020 wird als Jahr der Covid-19-Pandemie in die Geschichtsbücher eingehen. Unser kollektives Gedächtnis wird sich an die Kontaktbeschränkungen und das Homeschooling erinnern. Aber 2020 war auch das Jahr der Wissenschaft. Innerhalb weniger Wochen wurde Sars-CoV-2 als Krankheitserreger identifiziert und seine Oberflächenstruktur entschlüsselt. In den folgenden Monaten wurden diverse Impfstoffe entwickelt und in klinischen Studien getestet. Eine dermaßen rasante Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen ist eine Ausnahme und sollte als solche gewürdigt werden. Denn im Normalfall dauert es Jahre, bis ein Impfstoff die Zulassungsstufe
erreicht. Die schnelle Verfügbarkeit der Covid-19-Impfstoffe erfolgte Dank des Einsatzes unzähliger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, von denen die meisten der Öffentlichkeit unbekannt bleiben werden. Die beiden bisher in der EU zugelassenen Covid-19-Impfstoffe sind sogenannte mRNA-Vakzine und basieren auf einer neuen Immunisierungstechnik. Dabei wird Boten-RNA, die Antigene kodiert, in Nanopartikeln verpackt und in den Muskel injiziert. Die Nanopartikel werden von Körperzellen aufgenommen und veranlassen diese, die Antigene selbst herzustellen, um dagegen eine Immunantwort hervorzurufen. Die Attraktivität dieser Impfstrategie macht seine vielfältige Einsetzbarkeit aus, denn Boten-RNA kann einfach synthetisiert und in den Nanopartikeln leicht ausgetauscht werden. Damit können mRNA-Vakzine problemlos gegen andere Infektionskrankheiten oder auch Krebs angewandt werden. Das Prinzip der mRNA-Vakzinierung wurde bereits seit den 90er-Jahren in zahlreichen Grundlagenstudien untersucht. Es brauchte jedoch eine Pandemie, um die Impfstrategie salonfähig zu machen. Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dafür den Weg bereitet.
Gabriele Pradel ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich mit der Philosophin Maria-Sibylla Lotter ab.