Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
In Sekunden zur inneren Mitte
Natalie Schiffers-De Jong hat sich im vergangenen Jahr als Yoga-Lehrerin selbständig gemacht. Nun setzt die Kleverin auf Online-Formate – und kennt einige Übungen, die auch in den unübersichtlichen Home-Office-Alltag passen.
KLEVE Rückblickend, so erklärt Natalie Schiffers-De Jong, hätte sie mit dem Schritt in die Selbständigkeit wohl noch lieber eine Weile gewartet. Doch Anfang des vergangenen Jahres wagte die 43-Jährige den Sprung ins kalte Wasser – und machte sich selbständig. „Dann kam Corona und hat alles auf den Kopf gestellt“, sagt die Kleverin. Gemeinsam mit ihrem Lehrer Michael Lieber unterrichtet sie an der Yoga-Schule Ashtangayoga Niederrhein im XOX-Gelände. Bereut habe sie den Schritt dennoch zu keinem Zeitpunkt. Und das, obwohl der 100 Quadratmeter große Trainingsraum seit Monaten menschenleer ist.
Auch der Yoga-Sport wurde – gezwungenermaßen – in den digitalen Raum verlagert. Schiffers-De Jong, die auch als Krankenschwester tätig ist, unterrichtet seitdem per Videokonferenz. Im vergangenen Sommer habe sie zwischenzeitlich mal in den Präsenzunterricht zurückkehren können, mittlerweile aber ist sie wieder hinterm Bildschirm aktiv. „Ich konnte mich der Situation ganz gut anpassen. Vielleicht passt das auch gut zur inneren Einstellung, die Yoga in den Mittelpunkt stellt: Man macht das Beste aus der Situation“, sagt sie. Und ihr Konzept hat sich mittlerweile bewährt. „Die meisten Menschen kann man damit erreichen“, sagt Schiffers-De Jong. Knapp zehn Wochenstunden bietet sie aktuell an. Es seien 18-Jährige dabei, doch auch Rentner würden sich fürs Yoga begeistern, so Schiffers-De Jong. Bei dem Online-Format machen sogar Menschen mit, die sonst nicht die weite Anfahrt nach Kleve antreten würden.
Für die Kurse hat die Kleverin den heimischen Wintergarten eingerichtet, Kissen und Yoga-Matten liegen immer griffbereit. Zudem kann sie die Tür schließen. Ein klarer Vorteil im Vergleich zum Wohnzimmer. Immerhin ist Ruhe der Schlüssel zum Erfolg. „Unser Wohnzimmer kann man leider nicht abschließen, daher kann ich da kein Yoga machen“, sagt Schiffers-De Jong, die von 2017 bis 2020 eine staatlich anerkannte Ausbildung zur Yoga-Lehrerin in Köln absolvierte. Das Ziel ist klar: Langfristig wolle Schiffers-De Jong von ihren Kursen leben, bislang ist der Sport nur ein wichtiges Zubrot. Zumal die Beiträge in Corona-Zeiten deutlich gesenkt wurden. Für 40 Euro im Monat können Schüler sich so häufig in den Wintergarten von Natalie Schiffers-De Jong schalten, wie sie wollen.
Und für viele Menschen, da ist sie sich sicher, sei die Ablenkung eine
Art Lebenselixier. „Ich bin davon überzeugt, dass Yoga bei Depressionen hilft. Auch in Stresssituationen hilft die kurze Ablenkung, das Insichkehren“, sagt Schiffers-De Jong. Der Alltag zwischen Home-Schooling, Home-Office und Haushalt sei häufig stressig, weiß die Familienmutter aus Erfahrung. Da könne es sehr wertvoll sein, auch nur für wenige
Augenblicke die innere Mitte zu finden. So empfiehlt sie etwa die 16-Sekunden-Atemübung. Vier Sekunden lang atmet man tief durch die Nase ein, hält die Luft vier Sekunden lan an, um in der Folge wieder vier Sekunden lang in Seelenruhe auszuatmen. Das Ganze wiederholt man, bis sich der Puls erholt und die Gedankenwelt wieder geordnet ist. „Solche Übungen lassen sich leicht im Alltag umsetzen und können schon sehr wertvoll sein“, sagt Natalie Schiffers-De Jong.
Und auch gewisse Rituale im Leben seien wichtig. So trinkt Schiffers-De Jong, die auch eine Ausbildung zum Ayurveda-Lifestyle-Coach absolviert hat, morgens nach dem Aufstehen einen halben Liter aufgekochtes Wasser, um den Stoffwechsel in Schwung zu bringen. Erst im Anschluss wird die Kaffeemaschine angeworfen. Zum Hintergrund: Bei
Ayurveda handelt es sich um eine traditionelle indische Heilkunst. Und nicht nur das heiße Wasser bringt die vegetarische Frühaufsteherin auf Kurs. Auch gurgelt sie morgens fünf Minuten lang eine Teelöffel-Portion Kokosöl für die Mundhygiene. Erst im Anschluss werden die Zähne geputzt. All das sei ohne großen Aufwand leistbar – und könne dennoch viel bewirken. Ähnlich niedrigschwellig sei auch ihr Sport.
Hilfsmittel brauche es eigentlich nicht. Ein ruhiger Raum sei vorteilhaft, zudem eine weiche Unterlage. Eine Yoga-Matte wäre optimal, doch auch ein größeres Kissen oder ein Teppich können als Unterlage dienen. „Natürlich wird nicht alles gleich beim ersten Mal gelingen. Das ist bei den meisten Menschen ein über Jahre währender Prozess. Aber einfachere Figuren dürfte jeder hinbekommen. Es kommt nämlich nicht darauf an, den Fuß hinter den Kopf zu bekommen. Was zählt, ist die richtige Haltung“, sagt Schiffers-De Jong. Die Sonnengrüße, den herabschauenden Hund oder den Krieger aber könne man auch hinbekommen, ohne dass ein Lehrer die belehrende Hand auflegt. Eines aber sei ganz wichtig: „Yoga darf auf keinen Fall weh tun.“