Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Die Lehren aus Hanau
Man kann nur ahnen, wie es ist, ein Kind, einen Bruder, eine Freundin, einen geliebten Menschen zu verlieren, weil ein Mann mit rassistischem Weltbild seine Waffen lud und neun Menschen erschoss, die in seinen Augen fremd aussahen. Aber man kann den Hinterbliebenen in Hanau zuhören. Und die fordern zwei Dinge: dass die Umstände weiter aufgeklärt werden. Und dass die Morde nicht als Wahnsinnstat eines Einzelnen abgetan, sondern im Zusammenhang mit dem Alltagsrassismus in Deutschland gesehen werden.
Beides fordert von der Gesellschaft, sich nicht hinter Betroffenheitsfloskeln zu verstecken, sondern Fehler anzuerkennen und über die Ursachen zu sprechen. Wenn ein Mann, der seine rechtsradikale Gesinnung bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatte und wegen psychischer Probleme in der Klinik war, Waffen besitzen durfte, wollte keiner genau hinsehen. Und wenn ein psychiatrischer Gutachter im Nachhinein feststellt, dass der Täter an paranoider Schizophrenie litt, ist der Fall damit nicht erledigt. Denn es waren die Hassgedanken seiner über viele Jahre ausgeprägten rassistischen Ideologie, mit denen der Täter sich radikalisiert hat. Bis er fähig war, Menschen zu töten, in denen er keine Menschen mehr sah.
Der Opfer von Hanau zu gedenken, sollte also bedeuten, sich an ihre Gesichter, Namen, Geschichten zu erinnern und darum zu trauern, dass sie ihr Leben mit allen individuellen Hoffnungen nicht mehr weiterführen können. An Hanau zu erinnern, bedeutet auch, sich einmal mehr bewusst zu machen, dass jeder Einzelne an dem mitwirkt, was wir das gesellschaftliche Klima nennen. Mit jeder realen Begegnung, mit jedem Kommentar im Netz, mit jedem Spruch, den man nur so dahingesagt haben will. Rassismus beginnt im Alltag, die Gewöhnung an Hass und Hetze auch. BERICHT SIE WAREN KEINE FREMDEN, POLITIK