Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Frau Maier und die Masken
Auftragsvergaben an die Firma Van Laack lösten erst Kritik der Opposition aus. Dann reichte eine Unternehmerin Beschwerde ein.
WUPPERTAL Wenn Petra Maier aus ihrem Schlafzimmerfenster auf das benachbarte Seniorenheim blickt, hat sie immer wieder diese Bilder aus dem Frühjahr im Kopf. Erst seien die Rettungsfahrzeuge vorgefahren, sagt sie: „Und danach kamen die schwarzen Autos.“Die schwarzen Autos – das waren die Leichenwagen, die vor dem Wuppertaler Augustinusstift vorfuhren.
Im März wurde hier der erste Corona-Fall bekannt, bis Anfang Mai starben 20 Menschen an dem Virus. Es laufen Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung. Hätte das frühzeitige Tragen von Masken etwas geändert?
Petra Maier hat sich um Mund-Nasen-Schutzmasken bemüht, als die meisten Politiker diese noch für unnötig hielten. Sie hat sie im März dem Augustinusstift angeboten. Sie hat sie dem Ministerpräsidenten Armin Laschet angeboten. Sie hat sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geschrieben. Vergeblich.
Die Geschichte von Petra Maier handelt von Angst, Hilfsbereitschaft, Verzweiflung, Wut und Resignation. Es ist eine Geschichte in fünf Phasen, in der sie sich am Ende aus lauter Ärger über die Politik einen Anwalt nahm und ein landespolitisches Beben auslöste. Doch der Reihe nach.
Phase 1: Angst ls sich die Pandemie in Deutschland ausbreitete, beAkam
Petra Maier es mit der Angst zu tun. Die Wuppertalerin ist Handelsvertreterin, doch wegen des Virus wurden Kundenkontakte verboten. „Ich hatte plötzlich kein Einkommen mehr“, sagt sie. Gleichzeitig sah sie im Fernsehen die Bilder von Politikern, die so wenig wie die Bevölkerung wussten, was in den kommenden Monaten auf sie zukommt: „24 Stunden am Tag wurde man von heulenden Politikern berieselt.“
Im März war die Zahl der Infizierten stark gestiegen. Bund und Länder brachten mit Beschränkungen das öffentliche Leben zum Stillstand, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Die Menschen sollten zu Hause bleiben. Abstand halten. Hände waschen. Flatten the Curve. Masken mussten sie nicht tragen.
Phase 2: Hilfsbereitschaft I m Augustinusstift begann alles mit den Pinguinen. So nennt Petra Maier liebevoll die Ordensschwestern, die im Seniorenheim arbeiten. Sie gingen dort auch im Frühjahr 2020 ein und aus – und schleppten dabei das Virus ein. Petra Maier bot dem Heim Ende März Masken an, weil dort niemand einen Mundschutz getragen habe, auch das Personal nicht. Der Caritasverband, zu dem das Heim gehört, will sich dazu mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.
Im März hatte die Wuppertalerin Masken aus steriler Baumwolle bei einem Unternehmen im Münsterland in Auftrag gegeben. Sie investierte nach eigener Aussage einen sechsstelligen Betrag in die Entwicklung und Produktion. Besser als eine FFP2-Maske seien diese dank eines speziellen Innenlebens, ist Maier überzeugt: „Aber mir fehlte das Geld für eine Zertifizierung.“
Damals war Schutzausrüstung Mangelware, in Essen nähten Mitarbeiter der Uniklinik in Eigenregie sogar Stoffmasken, um für Engpässe gewappnet zu sein. Und so schrieb Petra Maier am 31. März 2020 um 7.58 Uhr eine Mail an Ministerpräsident Armin Laschet. Pro Woche könne sie 50.000 Masken liefern. Nicht aus China, sondern made in NRW.
Wenige Stunden nachdem sie ihre Mail verschickt hatte, trat Armin Laschet mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Düsseldorf vor die Presse. Spahn sagte, er sehe keine Notwendigkeit zu einer Maskenpflicht in Deutschland. Laschet nannte Spahns Äußerungen „treffend“. Keinen Monat später, am 27. April, wird sie dann doch in ganz NRW eingeführt.
Phase 3: Verzweiflung N atürlich wollte ich auch meine Existenz sichern“, sagt Petra Maier rückblickend: „Aber ich wollte auch helfen.“Jeden Tag wartet sie auf eine Mail, einen Anruf. Es meldet sich niemand, der ihre Masken möchte. Bei der Caritas heißt es, die Masken hätten nicht verwendet werden können.
Auch die Landesregierung bekommt in dieser Zeit zahlreiche Mails mit Angeboten. Die Beamten müssen genau prüfen, aber gleichzeitig alles tun, um den Bedarf zu decken. Daher werden im Zweifel selbst Kleinstmengen angekauft. Hier 1346 Masken, dort 1720.
Petra Maier hingegen fällt im Frühjahr psychisch in ein tiefes Loch. Zu ihrem 60. Geburtstag hatte sie sich Geld gewünscht. Sogar die 1500 Euro, sagt sie, habe sie für die Masken ausgegeben. „Ich bin krank geworden darüber. Man will helfen, aber niemand will deine Hilfe“, sagt Petra Maier.
In Düsseldorf ging die Beschaffung unterdessen weiter. Anfang April bestellte man für rund 170 Millionen Euro FFP2-Schutzmasken, jede Maske kostete umgerechnet mehr als fünf Euro pro Stück. Doch das ist da zweitrangig. Keiner weiß, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt. Der Gesundheitsschutz hat Priorität.
Und so scheute sich auch der Ministerpräsident nicht, persönlich zum Telefon zu greifen, als ihm sein Sohn Johannes davon erzählte, dass das Mönchengladbacher Unternehmen Van Laack, für das er nebenberuflich als Männermodel arbeitet, vielleicht helfen könnte.
Am 20. April 2020 orderte das Land zehn Millionen Schutzkittel für 45.408.156,85 Euro. Am 12. Mai 2020 folgte ein Auftrag des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) über 1,25 Millionen Mund-Nasen-Schutzmasken, im November orderte das LZPD diese Menge erneut. Alles ohne Ausschreibung.
Phase 4: Wut I m Dezember kämpfte Armin Laschet um den Parteivorsitz in der CDU. Und nun wirkte es so, als habe er einem Geschäftspartner des Sohnes einen lukrativen Auftrag auf Kosten des Steuerzahlers verschafft. So jemand will Kanzler werden?
Für die SPD im Landtag war der Schutzkittel-Skandal jedenfalls eine Steilvorlage. Die Partei präsentierte eine Vielzahl von Unternehmen, die der Landesregierung Schutzausrüstung angeboten haben sollen – aber anders als Van Laack keine Antwort bekamen. In einem Gutachten ließ man sogar ermitteln, dass der Schutzkittel-Auftrag rechtswidrig vergeben wurde.
Auch Anwalt Thomas Mösinger sagt: „Auch in diesem Fall führt Dringlichkeit nicht dazu, dass man nur einen Lieferanten anspricht.“Mösinger ist Petra Maiers Ventil, mit dem sie all ihrem Ärger über die Landesregierung im Dezember Luft macht. Der Anwalt ist ein Experte für Vergaberecht. Er sorgt im Auftrag der Unternehmerin dafür, dass die nordrhein-westfälische Polizei den November-Auftrag neu ausschreiben muss. „Da rechnet ja keiner mehr mit, dass man dagegen angeht – aber dann bin ich dagegen angegangen“, sagt Petra Maier zufrieden: „Mir ging es nicht darum, Van Laack zu schädigen.“Sie habe wachrütteln wollen, wie mit Steuergeldern verfahren werde.
Petra Maier ist schon häufig unterschätzt worden. In den 80er-Jahren hatte sie aus ihrem Elternhaus heraus ein Unternehmen aufgebaut. Sie war schwanger und ärgerte sich über die hohen Preise für Kinderwagen und Co. Also ließ sie sich über Umwege die Kataloge der Hersteller kommen und bestellte zum Einkaufspreis. „Und mit meiner Tochter ist dann auch die Firma geboren“, sagt sie. Noch in der Frauenklinik habe sie ihren Bettnachbarinnen einen Buggy und einen Hochstuhl verkauft.
„Alles fürs Baby“nannte sie die Firma, die sie in den folgenden Jahren aufbaute. Zu Hochzeiten beschäftigte sie 58 Vollzeitkräfte in sechs Geschäften. Immer weiter ging es bergauf – bis sich sich von ihrem Lebensgefährten trennte. Dieser arbeitete laut Petra Maier aber weiter in der Firma und fing an, Gelder zu unterschlagen und das Geschäft ins Chaos zu stürzen. 1998 wurde „Alles fürs Baby“liquidiert. Petra Maier verlor erst die Firma. Und am Ende auch ihr Haus in bester Wuppertaler Lage. Seitdem wohnt sie wieder auf den 45 Quadratmetern, wo alles begann.
Ihren Kampfgeist hat sie behalten. Petra Maier erzählt, dass sie sich schon einmal mit einem Ministerpräsidenten angelegt hat. Als Kind habe sie Johannes Rau mit ihren Eltern in einem Restaurant getroffen. „Als ich ihn gesehen habe, kam mir die Galle hoch.“Rau hatte damals den Bau der Bergischen Universität durchgesetzt, für die ein großes Stück Natur weichen musste. „Wir sind da früher Ski gefahren“, sagt Maier: „Das war ein Naherholungsgebiet.“Genau das habe sie auch dem Ministerpräsidenten gesagt – nur in etwas anderen Worten.
Phase 5: Resignation P etra Maiers Auftritt änderte nichts. Die Universität wurde trotzdem gebaut. Wie die Geschichte mit den Masken ausgeht, ist hingegen noch offen. Der Auftrag ist zuletzt neu ausgeschrieben worden. Petra Maier hat sich nicht daran beteiligt. Rund 10.000 Masken stehen nach eigenen Angaben noch immer in ihrem Keller: „Und da verschimmeln sie wahrscheinlich irgendwann, schön verpackt in Kartons.“