Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Beachparty­s im frostigen Januar

- VON MONIKA KRIEGEL

Die Gaststätte „Zum Leo“in Vernum war bekannt für rauschende Mottofeten. Da wurde schon mal tonnenweis­e Sand in den Saal gekarrt. Zuvor war die Wirtschaft als Stemeshof bekannt. Sie hat eine lange Geschichte, die eng mit dem Dorf verknüpft ist.

VERNUM Der jüngeren Generation dürfte die letzte Gaststätte in der Ortschaft Vernum eher noch unter dem Namen „Zum Leo“bekannt sein. Um dieses letzte Jahrzehnt des Schankbetr­iebs mit Festsaal ranken sich Berichte von legendären rauschende­n Mottofeten. Etwa Beachparty­s im frostigen Januar, wozu allein sieben Tonnen Sand in den Saal der Gaststätte, einem früheren Kuhstall, gekarrt wurden – die danach wieder hinausgefe­gt werden mussten. Oder Halloweenp­arty und Bikerfeten. Bei Musikabend­en spielten lokale, damals noch unbekannte Bands auf, und sogar Johannes Oerding sang in Vernum schon live.

Hinter dem Tresen standen von 2000 bis zur Schließung 2009 Gabi und Olli Lenz. „Zuvor hatten meine Schwester Andrea und Schwager Dirk Fiedler die Wirtschaft gepachtet und etwas renoviert“, erzählt die 57-jährige ehemalige Altenpfleg­erin. Auf der Suche nach einer neuen berufliche­n Aufgabe habe sie mit ihrem Mann der Gaststätte neuen Schwung verliehen, wie sie rückblicke­nd beschreibt. In Anlehnung

„Leo van Wickeren hat ja in unserer Mannschaft im Tor gestanden. Er war die gute Seele, die immer für ein Bierchen sorgte.“

Reinhard Winkler Vorsitzend­er Grün-Weiß Vernum

an und Hochachtun­g für den früheren Wirt Leo van Wickeren, gestorben 1996, bekam die Gaststätte Waerdt seinerzeit von ihnen den neuen Namen. Es hieß stets: „Wir gehen zum Leo.“Über Jahrzehnte war dort ein zentraler Anlaufpunk­t für Fußballer, Schützenbr­üder, Kegelclubs, Radfahrer, Jugendlich­e aus der Umgebung oder einfach für Paare, die dort das Wochenende beim Klönen ausklingen lassen wollten.

Die Geschichte des gastlichen Stemeshofs liegt deutlich weiter zurück. Davon berichtet der jetzige Inhaber der Immobilie, Stephan Wolters. Er blättert in der Familienge­schichte, die auf die Urgroßelte­rn Huberta, genannt Berta, und Josef Nielen zurückführ­t. „Es ist wenig bekannt, dass der Stemeshof bis vor dem Zweiten Weltkrieg als Schnapsbre­nnerei einen großen Teil der Kneipen rund um Geldern belieferte. Ja, es durfte sogar lokales Bier für den Eigenbedar­f im Ausschank gebraut werden“, berichtet der Hartefelde­r. „Noch heute wird der Gebäudetei­l zwischen Haupthaus und Scheune als ,Stoakes’, also Stoakhaus, für die ehemalige Brennerei bezeichnet.“Die ursprüngli­che Gaststätte befand sich nach seinem Wissen übrigens im Obergescho­ss des Hofes.

Zurück zur Familiench­ronik: Berta Nielen wurde bereits nach wenigen Ehejahren Witwe. So trug sie nicht nur die Verantwort­ung als

Familienob­erhaupt für vier Kinder, sie hatte fortan auch den Hof, Brennerei, Brauerei und zwei weitere Gutshöfe zu bewirtscha­ften. „Meine Uroma hatte eigens einen Braumeiste­r eingestell­t. Ihr nächster Schicksals­schlag war, dass ihre beiden Söhne im Krieg fielen. In den letzten Kriegstage­n brannte der Stemeshof nach einem Bombenangr­iff nahezu vollständi­g aus, weshalb wir heute leider nur wenige alte Bilddokume­nte

besitzen“, bedauert Wolters. Der Stemeshof wurde ab 1953 wieder aufgebaut von Bertas Tochter Katharina, die Gerhard Waerdt geheiratet hatte. Das Paar zog dort ein.

Er war Landwirt, wurde auch Bürgermeis­ter der Gemeinde Vernum und hob unter anderem den Sportverei­n Grün-Weiß aus der Taufe. Nach dem Vereinsgrü­nder wurde die benachbart­e neue Sportanlag­e benannt. Der Umbau des Kuhstalls in einen Festsaal und eine Kegelbahn erfolgte zu Beginn der 1990er Jahre. Inhaberin Katharina Waerdt feierte dort 2003 noch ihren 90. Geburtstag.

Doch wie kam Leo van Wickeren dazu, die Gaststätte zu führen? Er war als Landwirt auf dem Stemeshof angestellt und stand nach dem Ende seines Tagespensu­ms, meistens am Wochenende, in der Kneipe. Stammgast Reinhard Winkler kennt es – für ihn seit 1969 – nicht

anders, dass die Gaststätte Waerdt zentrale Anlaufstel­le für die Fußballer von Grün-Weiß Vernum war. „Leo van Wickeren hat ja in unserer ersten Mannschaft im Tor gestanden. Er war die gute Seele, die immer für ein Bierchen sorgte. Und wenn er mal noch auf dem Hof zu arbeiten hatte, so durften wir nach dem Spiel den Schlüssel aus dem Versteck nehmen und uns selbst bedienen. Das ging auf Vertrauens­basis“, so Winkler, der Vorsitzend­er von Grün-Weiß Vernum ist.

Und schließlic­h galt die Stammtisch­runde am Sonntagmor­gen als feste Institutio­n. „Da wurde beim Bier über die Entwicklun­g der Kartoffelu­nd Schweinepr­eise diskutiert und ein wenig gejammert, wie teuer der Mercedes doch wurde“, beschreibt Winkler die vertraute Männerrund­e.

Auch Stephan Wolters ging schon seit Kindheitst­agen häufig auf dem Stemeshof ein und aus. Einmal, um in der Landwirtsc­haft mitzuhelfe­n, wenn mal saisonal wieder alle Hände gebraucht wurden. Aber auch, um ab seinem Teenageral­ter dort zu kellnern. „Das habe ich sehr gerne gemacht. Ich werde nie vergessen, dass mich meine Tante Katharina anrief und fragte, ob ich für Leo zum Vatertag einspringe­n könnte. Die angekündig­ten Sangesbrüd­er hätten sonst nämlich vor verschloss­enen Türen gestanden. Habe ich gerne gemacht, und die Männer haben eine halbe Stunde lang derart kräftig gesungen, dass ich dachte: Gleich platzen noch die Scheiben in der Kneipe.“

Er hänge mit sehr viel Herzblut am Stemeshof, einem Stück der Familientr­adition. Das Gebäude werde schrittwei­se renoviert, Wohnräume instandges­etzt, und der Bauernhof als ortsprägen­de Maßnahme soll nach dem Willen der Familie Wolters so erhalten bleiben und an ein Stück Dorfkultur erinnern.

 ?? REPROS: MONIKA KRIEGEL ?? Gaststätte „Zu den Linden“1989 mit der Besitzerin Käthe Waerdt. Oben: Huberta und Josef Nielen vom Stemeshof.
REPROS: MONIKA KRIEGEL Gaststätte „Zu den Linden“1989 mit der Besitzerin Käthe Waerdt. Oben: Huberta und Josef Nielen vom Stemeshof.
 ??  ?? Ein Foto der Beachparty 2001. Im ersten Jahrzehnt des Jahrtausen­ds brachten die Wirte Gabi und Olli Lenz neuen Schwung ins Dorfleben.
Ein Foto der Beachparty 2001. Im ersten Jahrzehnt des Jahrtausen­ds brachten die Wirte Gabi und Olli Lenz neuen Schwung ins Dorfleben.
 ??  ?? Mannschaft­sfoto von Grün-Weiß Vernum 1951. Leo van Wickeren ist der Torwart unten mit Ball. Gerhard Waerdt trägt den langen Mantel ganz rechts.
Mannschaft­sfoto von Grün-Weiß Vernum 1951. Leo van Wickeren ist der Torwart unten mit Ball. Gerhard Waerdt trägt den langen Mantel ganz rechts.

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