Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Locker durch den Lockdown
Der Lockdown geht weiter – mindestens bis zum 7. März. Sich ständig an Regeln halten und einschränken zu müssen, wird aber für viele zunehmend quälender. In einer Umfrage von Wissenschaftlern des Cosmo-Projekts gaben 55 Prozent der Befragten an, ihre persönliche Situation als belastend zu empfinden. Pandemiemüdigkeit hat sich breitgemacht. Doch was kann man dagegen tun? Mit diesen Strategien aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen kommen Sie leichter durch den Lockdown.
Das sagen die Glücksforscher
Negative Gefühle akzeptieren Positive Psychologie sei oft mit dem Vorwurf konfrontiert, dass es darum gehe, immer gut drauf zu sein, sagt der Psychologe Tobias Rahm, der an der Technischen Universität Braunschweig unter anderem das Glück erforscht. Happyologie sei das Schlagwort dazu.
„Das stimmt nicht“, erklärt Rahm. „Im Gegenteil gehen wir davon aus, dass zu einem glücklich gelingenden Leben auch der konstruktive Umgang mit negativen Emotionen gehört. Mein Tipp ist: Negative Gefühle akzeptieren, ihnen Raum geben, mit anderen darüber sprechen.“Es sei total normal, dass unser Wohlbefinden leide, wenn unsere psychologischen Grundbedürfnisse derart frustriert würden. Insbesondere für Kinder sei es wichtig, jemanden zu haben, der ihnen zuhöre, ihre Gefühle ernst nehme und bestätige, dass das wirklich unschön ist gerade.
Gemeinsam spielen Viele unserer normalen Glücksquellen würden uns auch weiterhin offen stehen, sagt Rahm. Man solle sich fragen, was denn jetzt richtig schön sei, welche Aspekte man trotz Corona umsetzen könne. „Ich habe kürzlich mit meinen Freunden bis tief in die Nacht Brettspiele online gespielt und war überrascht, wie gut das funktionierte und wie viele positiven Emotionen ich daraus mitnehmen konnte.“
Die Umwelt bewusst wahrnehmen
Eine ganz konkrete Tätigkeit gegen zu viel graue Gefühle ist laut Rahm die Fotosafari. Man solle sich eine Kamera oder das Handy schnappen, spazieren gehen und die Schönheit der Welt fotografieren. „Wenn es gut klappt, sucht man die ganze Zeit nach schönen Dingen und ist außerdem noch körperlich aktiv“, sagt der Psychologe. „Beides sind hervorragende Aktivitäten zur Steigerung des Wohlbefindens.“
Alltagsfreuden schaffen Ab und zu könne man sich gut ein ordentliches Genusserlebnis bescheren, empfiehlt Rahm. Heiße Schokolade und frisch gebackenen Kuchen zum Beispiel. „Das Selbermachen zeigt, dass man dem Ganzen nicht hilflos ausgeliefert ist, und das Genießen macht gute Gefühle. Und wenn man dann noch etwas abgibt, beschert man auch anderen positive Emotionen, was wiederum die eigenen verstärkt. Gute Taten erzeugen außerdem Verbundenheit und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen .“
Das sagen die Theologen
Das Volk aber murrte… (Die Bibel, 2. Mose 16) Wenn es zu lange dauert, murrt das Volk. Das erlebt Mose bei der Wanderung durch die Wüste. Unzufriedenheit gehört seit jeher zum Menschen. Sie muss uns nicht überraschen, aber sie hat nicht das letzte Wort, sagt die Düsseldorfer Oberkirchenrätin und Seelsorgerin Barbara Rudolph. Ihr Rat: Suche nicht nach einem Sündenbock. Wenn du durch eine Wüste ziehst, brauchst du Kamele, das eine heißt „Geduld“und das andere heißt „Humor“. Und tatsächlich: Mit Geduld und Ausdauer, mit Humor und Fantasie schaffte es Mose mit seinem Gott bis ins Gelobte Land – übrigens nach langen 40 Jahren.
Und wandere ich im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir (Die Bibel, Psalm 23) Wenn es zu schwer wird, dann ist es wie in einem finsteren Tal, dann können die Verzweiflung und die Ausweglosigkeit übergroß werden. Das erlebt der Psalmbeter. Aber dabei bleibt er nicht stehen, sagt Rudolph. Als er allein nicht weiterweiß, wendet er sich an Gott. Rudolphs Rat: In schweren Zeiten nicht allein bleiben, sondern reden, mit Gott und der Welt, mit Menschen in der Nähe und Ferne. Tag und Nacht ist die Telefonseelsorge bereit, wenn es sonst keinen gibt (Tel.: 0800 1110111 oder 0800 1110222).
Lasst uns Gutes tun an jedermann
(Die Bibel, Galater 6,10) Wenn ich nur auf mich schaue, dann können Ungeduld, Sorgen und Frustration überhandnehmen. Längst nicht alle sind von der Krise existentiell betroffen, erklärt Seelsorgerin Rudolph. Sie haben den Blick frei für andere. Wer anderen Gutes tut, tut sich selber gut. Ihr Rat: Wenn es möglich ist, tue extra etwas Gutes: Spende für Menschen, die gerade jetzt darauf angewiesen sind, bei Brot für die Welt, der Obdachloseninitiative vor Ort, einer Künstlervereinigung. Oder gib Zeit im Ehrenamt bei der Diakonie oder Caritas. Es weitet den Horizont.
Das sagen die Psychologen
Selbst gestalten Nach Einschätzung der Cosmo-Forscher trifft die Pandemiemüdigkeit in erster Linie Menschen, die sich sehr stark belastet Ein Jahr dauert die Corona-Krise nun an. Für viele Menschen ist das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch seelisch belastend. Um wieder Kraft und neuen Mut zu schöpfen, empfehlen Fachleute die unterschiedlichsten Strategien. Von Gianni Costa, Wolfram Goertz, Jörg Isringhaus und Tanja Walter fühlen. Die Folge: Sie neigen dazu, Maßnahmen als übertrieben anzusehen, und schützen sich und andere darum weniger gut. „Weil sie bombardiert sind mit Regeln und Handlungsempfehlungen, beherrscht viele das Gefühl, nichts mehr selbst in der Hand zu haben und zu Passivität verdonnert zu sein“, sagt Petra Jagow, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychologen NRW. Solche Situationen erzeugten das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Ihr Rat: den Fokus auf die Dinge zu richten, die man bewusst selbst gestalten kann. Auf diese Weise erhält man seine Eigenwirksamkeit zurück.
Etappen definieren Nach immer neuen Verlängerungen schwindet für viele die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Lockdowns. Das macht es zunehmend schwerer durchzuhalten. Zu lange schon befänden sich die Menschen in einer Art Fernbeziehung zu Verwandten und Freunden, sagt Peter Wendl, Psychologe der Katholischen Universität Eichstätt. Besonders belastend ist, dass derzeit niemand das Ende sehen kann. Das ist ein Problem, das wir aus dem Alltag kennen: In einer Warteschlange zu sitzen, kann unerträglich sein, wenn man das Ende nicht abschätzen kann. Aus der Resilienzforschung weiß man, dass Menschen selbst bei längerer Wartezeit geduldiger und entspannter warten können, als nur wenige Minuten Wartezeit zu haben, dies aber nicht abschätzen zu können. Darum rät Wendl dazu, die Corona-Dauerschleife in viele kleine Etappen einzuteilen und dadurch überschaubarer zu machen. Das helfe beim längeren Durchhalten.
Das sagen die Sportmediziner
Immunsystem fit halten Michael Fritz kann jeden Tag in seiner Pradie xis Auswirkungen der Pandemie sehen. Der Haus- und Sportarzt aus Viersen hat ganz genau nachgefragt. 300 Patienten haben bei seiner Befragung zum Teil besorgniserregenAussagen de getätigt. 70 Prozent fühlten sich im Zeitraum November und Dezember 2020 tendenzifreudlos, ell niedergeschlagen und antriebslos und in 55 Prozent der Fälle mit einer Neigung zur Hoffnungslosigkeit, Überforderung und Angst. Fritz hält es für wichtig, mit Sport dagegenzuhalten. „ModeraKrafttes und Ausdauertraining aktiviert einerseits das Immunsystem, aber moduliert auch die Immunreaktion durch Vermehrung der regulatorischen T-Zellen, wodurch überschießende Immunantworten minimiert und das Risiko eines sogenannten Zytokinsturms im Rahmen von SarsCoV-2 reduziert werden kann. Der Körper kann so angemessener auf eine Infektion reagieren. Das Virus infiziert Trainierte und Untrainierte gleichermaßen, aber die Verläufe sind unterschiedlich.“
Sich bewegen Der Lockdown schränkt laut Fritz den Bewegungsumfang ein. Körperliche Inaktivität erhöhe zudem das Risiko, Probleme mit dem Herzen zu bekommen. „Wer sich bewegt, senkt diese Auswirkungen deutlich“, sagt Fritz. „Schon eine moderate sportliche Betätigung von 1000 Kilokalorien in der Woche reicht, um langfristig einen Effekt zu erzielen. Im Schnitt 2200 Schritte pro Tag sind ein guter Anfang – es dürfen natürlich gerne etwas mehr sein.“Es gehe nicht darum, sich auf Olympische Spiele vorzubereiten, sondern darum, sich zu bewegen. „Es gibt wirklich hunderte Möglichkeiten, auch bei minimalem Einsatz und ohne teure Zusatzanschaffungen einen Nutzen daraus zu ziehen.“
Mit Training Strukturen schaffen Übergewicht, Diabetes, COPD und Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen laut Fritz Risiken für einen schweren Erkrankungsverlauf von Covid-19 dar. „Sportler erkranken seltener an diesen Risikofaktoren“, sagt der Sportmediziner. Bereits chronisch Erkrankte könnten mittels Sport den Verlauf ihrer Krankheiten günstig beeinflussen. Sport stelle dann eines der wirksamsten Medikamente dar. „Sport wirkt Depressionen und Angststörungen entgegen. In Bewegung schüttet der Körper Hormone aus, die ein Wohlgefühl bewirken. Sport macht auch glücklich, weil er die ,Selbstwirksamkeitserwartung’ stärkt, also das Gefühl, Herausforderungen auch bewältigen zu können“, sagt Fritz. Im Lockdown fehle zudem vielen Menschen die Alltagsstruktur. „Regelmäßiges körperliches Training schafft aber Struktur im Alltag.“
Yoga probieren Unter den verschiedenen Bestrebungen, Körper und Seele etwas Gutes zu tun, ist Yoga mit Sicherheit die universellste. Es faltet sich auf in verschiedene Gebäude und ist damit jedem zugänglich. Ursprünglich stammt Yoga aus der indischen Philosophie, das Ziel ist immer die Selbsterkenntnis, die Wege dorthin dürfen durchaus unterschiedlich sein. Man darf Yoga – wie es im Westen häufig praktiziert wird – als körperbetonte, sehr sportliche Disziplin aus einer Summe von Einzel-Etüden sehen. Andererseits lebt Yoga im Idealfall auch von Meditation und Askese, von der Balance aus Anspannung, Lockerung und Reinigung. Für gereizte und gestresste Menschen, die sich in der Corona-Pandemie zunehmend zermürbt fühlen, kann Yoga als Akt der Resilienz, als Stärkung psychischer Widerstandskraft, verstanden werden. Zugleich bieten die Übungen die Möglichkeit, Fitness auch ohne Studio zu erlangen. Übungsvideos geben häufig eine gute Anleitung fürs Trainieren daheim.