Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Staatsaffäre um einen Historiker
Er soll nationalsozialistische Verbrechen in Polen aufarbeiten – und steht selbst im Verdacht, rechtsradikal zu sein: Tomasz Greniuch wurde zum Direktor des Instituts des Nationalen Gedenkens berufen. Es hagelt Kritik.
WARSCHAU Die Berufung eines Historikers mit rechtsradikaler Vergangenheit auf einen wichtigen Posten wird in Polen zur Staatsaffäre: Tomasz Greniuch war lange Zeit Mitglied in einer rechtsextremen Organisation. Es gibt sogar Fotos, auf denen zu sehen ist, wie er den Hitlergruß zeigt. „Das war der Leichtsinn der Jugend“, entschuldigte sich Greniuch in der vergangenen Woche im Radio. Die Kritik an der Personalie wird trotzdem immer lauter.
Denn mit dem Posten ist die Aufgabe verbunden, nationalsozialistische und kommunistische Verbrechen in Polen aufzuarbeiten. Tomasz Greniuch, der 1982 geboren wurde, ist seit Anfang Februar amtierender Direktor des Breslauer Büros des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN), das mit staatsanwaltlicher Funktion ausgestattet ist.
Am Sonntag meldete sich Staatspräsident Andrzej Duda über seinen Sprecher zu Wort und ließ verlauten, ein Historiker des IPN habe „unbescholten“zu sein. Er ist nicht der einzige Kritiker, dessen Wort zählt. „In Polen, einem Land, das so viel unter der nationalsozialistischen Besatzung zu leiden hatte, sollte kein Platz für nationalsozialistisches Gedankengut sein“, erklärten führende Vertreter der jüdischen Gemeinde in Warschau. Auch Oppositionspolitiker sowie Historiker protestierten.
Das Regierungslager ist jedoch geteilt. Der promovierte Historiker steht unter dem Schutz von Ryszard Terlecki, dem einflussreichen Fraktionschef der regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“(PiS), sowie von Jaroslaw Szarek, dem IPN-Präsidenten in Warschau.
Der Umstrittene war führend aktiv im Nationalradikalen Lager (ONR), einer Organisation, die in Polen 1934 nach dem Vorbild der spanischen Faschistenpartei Falange gegründet worden war und sich 1993 erneut formierte. Die Gruppierung ist für Gewalt gegen Andersdenkende bekannt, noch nach dem Jahrtausendwechsel äußerte sie sich offen antisemitisch. Bezeichnenderweise zeigte Greniuch den Hitlergruß bei einem Marsch 2005, als die ONR an den Überfall auf Juden in der südpolnischen Stadt Myslenice 1936 erinnerte. Das letzte Foto mit Hitlergruß stammt aus dem Jahr 2007; erst 2013 verließ Greniuch die Organisation offiziell.
Gegen die Nominierung hatte sich nach Medienberichten auch Premierminister Mateusz Morawiecki ausgesprochen. Doch die seit 2015 regierende nationalkonservative Partei zeigt oft wenig Scheu, mit den polnischen Nationalisten zu kooperieren. So richten die ONR und andere Gruppen auch den Unabhängigkeitsmarsch am Nationalfeiertag, dem 11. November, aus, an dem sich
Regierungsmitglieder 2018 beteiligten. PiS wie Rechtsextreme eint die Aversion gegen liberale Polen, denen sie vorwerfen, die Traditionen des Landes zu untergraben.
Der Historiker passt auch deswegen ins Gedankengut des rechten Flügels der PiS, da er sich mit den sogenannten verfemten Soldaten beschäftigt, dem Widerstand von Partisanen gegen die kommunistische Regierung Polens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der bis in die 50er-Jahre hineinreichte. Ihr Andenken wird in Spiel- und Fernsehfilmen, Dokumentationen und Denkmälern gepflegt.
Das IPN-Kollegium muss Greniuchs Nominierung noch endgültig zustimmen. Das Ganze kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Stimmung in Sachen Geschichte ohnehin gereizt ist. Kürzlich wurden mit Barbara Engelking und Jan Grabowski zwei Holocaustforscher von einem Warschauer Gericht zu einer Entschuldigung verurteilt. Ihnen wurde nach Recherchen zur polnischen Kollaboration mit der SS unsauberes Arbeiten vorgeworfen.
Das Urteil verursachte international Aufsehen. Die auf die Geschichte fixierte Regierung, die von PiS-Gründer Jaroslaw Kaczynski entscheidend geprägt wird, will vor allem die Hilfsbereitschaft der Polen gegenüber Juden vermitteln – und verweist gern auf Yad Vashem: Das israelische Institut hat Polen den Titel der „Gerechten unter den Völkern“verliehen. Ein Historiker wie Greniuch könnte diesen Ruf nachhaltig beschädigen.