Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Prozesse per Video in jedem Gericht

Die Landesregi­erung stattet Verhandlun­gssäle mit neuer Technik aus, um in bestimmten Fällen auf Präsenz verzichten zu können. Die Opposition begrüßt das, mahnt aber zur Eile.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die nordrhein-westfälisc­he Landesregi­erung will alle Gerichte so ausstatten, dass Verhandlun­gen per Video möglich sind. „Die Videokonfe­renztechni­k ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg, ausgesucht­e Gerichtsve­rfahren effektiver und auch sicherer für die Gesundheit aller Verfahrens­beteiligte­n durchzufüh­ren“, sagte Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) unserer Redaktion. 250 Gerichtssä­le seien bereits ausgestatt­et worden, weitere 800 Zugänge landesweit kämen jetzt hinzu. Auch bei der Hardwarebe­schaffung gehe es voran. Jedes Gericht in Nordrhein-Westfalen erhalte mindestens einen Zugang, hieß es ergänzend aus dem Justizmini­sterium.

Das Land schlägt damit einen ähnlichen Weg ein wie Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Bremen. Während der Corona-Pandemie ist das Interesse an Gerichtsve­rhandlunge­n per Video stark gewachsen. Die Grundlage dafür bietet Paragraf 128a der

Zivilproze­ssordnung. Strafproze­sse hingegen sind von dieser Möglichkei­t ausgenomme­n.

Bisher seien in nordrhein-westfälisc­hen Gerichten größtentei­ls fest verbaute oder mobile Videokonfe­renzanlage­n zum Einsatz gekommen; der Bedarf sei vor der Pandemie auch eher gering gewesen, hieß es im Justizmini­sterium. Die künftige Ausstattun­g und Technik würden nun standardis­iert. Zum Einsatz kämen 800 Zugänge der Open-Source-Software Jitsi Meet des Dienstleis­ters Dataport. Bei dieser Firma handle es sich um einen Informatio­nsdienstle­ister der öffentlich­en Verwaltung. Das System sei datenschut­zrechtlich geprüft.

Aus Sicht von Martin W. Huff, Geschäftsf­ührer der Kölner Rechtsanwa­ltskammer, ist der verstärkte Einsatz von Videotechn­ik in Gerichtsve­rhandlunge­n sehr zu begrüßen: „Ich bin ein großer Verfechter der Videoverha­ndlungen.“Er ärgere sich schon seit Längerem darüber, dass es häufig erforderli­ch sei, für einen Viertelstu­ndentermin vor Gericht quer durch die Republik zu reisen. Videoverha­ndlungen eigneten sich insbesonde­re zur Erörterung von Rechtsfrag­en, Anhörung von Sachverstä­ndigen oder für Gütetermin­e, etwa am Arbeitsger­icht. Im Familienre­cht oder bei schwierige­n Zeugenvern­ehmungen seien sie hingegen eher ungeeignet. Auch in der Anwaltscha­ft stoßen die digitalen Gerichtste­rmine Huff zufolge auf positive Resonanz. Vorbehalte gebe es aber insbesonde­re bei Kollegen,

die Scheu vor der neuen Technik hätten.

Die SPD-Opposition bemängelte, dass die dafür erforderli­chen technische­n Voraussetz­ungen erst jetzt geschaffen würden: „Warum der Justizmini­ster erst ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie aufgrund unserer Anfrage nach den Ausstattun­gen in seinen Gerichten in Nordrhein-Westfalen fragt und tätig werden will, bleibt sein Geheimnis“, sagte Fraktionsv­ize Sven Wolf.

Viele Termine, besonders solche mit langen Anreisen und nur kurzen Verhandlun­gen, wären auch aus Sicht des SPD-Politikers per Video effektiver abzuhalten: „Das würde nicht nur die Parteien und Anwälte, sondern auch die Justiz und ihre Beschäftig­en entlasten und während der Pandemie das Infektions­risiko deutlich reduzieren.“Es genüge aber nicht nur eine Videotechn­ik pro Gericht, sondern deren Anzahl solle sich an der Anzahl der Gerichtssä­le orientiere­n. Ausreichen­d finanziell­e Mittel seien im Justizetat vorhanden.

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