Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Prozesse per Video in jedem Gericht
Die Landesregierung stattet Verhandlungssäle mit neuer Technik aus, um in bestimmten Fällen auf Präsenz verzichten zu können. Die Opposition begrüßt das, mahnt aber zur Eile.
DÜSSELDORF Die nordrhein-westfälische Landesregierung will alle Gerichte so ausstatten, dass Verhandlungen per Video möglich sind. „Die Videokonferenztechnik ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg, ausgesuchte Gerichtsverfahren effektiver und auch sicherer für die Gesundheit aller Verfahrensbeteiligten durchzuführen“, sagte Justizminister Peter Biesenbach (CDU) unserer Redaktion. 250 Gerichtssäle seien bereits ausgestattet worden, weitere 800 Zugänge landesweit kämen jetzt hinzu. Auch bei der Hardwarebeschaffung gehe es voran. Jedes Gericht in Nordrhein-Westfalen erhalte mindestens einen Zugang, hieß es ergänzend aus dem Justizministerium.
Das Land schlägt damit einen ähnlichen Weg ein wie Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Bremen. Während der Corona-Pandemie ist das Interesse an Gerichtsverhandlungen per Video stark gewachsen. Die Grundlage dafür bietet Paragraf 128a der
Zivilprozessordnung. Strafprozesse hingegen sind von dieser Möglichkeit ausgenommen.
Bisher seien in nordrhein-westfälischen Gerichten größtenteils fest verbaute oder mobile Videokonferenzanlagen zum Einsatz gekommen; der Bedarf sei vor der Pandemie auch eher gering gewesen, hieß es im Justizministerium. Die künftige Ausstattung und Technik würden nun standardisiert. Zum Einsatz kämen 800 Zugänge der Open-Source-Software Jitsi Meet des Dienstleisters Dataport. Bei dieser Firma handle es sich um einen Informationsdienstleister der öffentlichen Verwaltung. Das System sei datenschutzrechtlich geprüft.
Aus Sicht von Martin W. Huff, Geschäftsführer der Kölner Rechtsanwaltskammer, ist der verstärkte Einsatz von Videotechnik in Gerichtsverhandlungen sehr zu begrüßen: „Ich bin ein großer Verfechter der Videoverhandlungen.“Er ärgere sich schon seit Längerem darüber, dass es häufig erforderlich sei, für einen Viertelstundentermin vor Gericht quer durch die Republik zu reisen. Videoverhandlungen eigneten sich insbesondere zur Erörterung von Rechtsfragen, Anhörung von Sachverständigen oder für Gütetermine, etwa am Arbeitsgericht. Im Familienrecht oder bei schwierigen Zeugenvernehmungen seien sie hingegen eher ungeeignet. Auch in der Anwaltschaft stoßen die digitalen Gerichtstermine Huff zufolge auf positive Resonanz. Vorbehalte gebe es aber insbesondere bei Kollegen,
die Scheu vor der neuen Technik hätten.
Die SPD-Opposition bemängelte, dass die dafür erforderlichen technischen Voraussetzungen erst jetzt geschaffen würden: „Warum der Justizminister erst ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie aufgrund unserer Anfrage nach den Ausstattungen in seinen Gerichten in Nordrhein-Westfalen fragt und tätig werden will, bleibt sein Geheimnis“, sagte Fraktionsvize Sven Wolf.
Viele Termine, besonders solche mit langen Anreisen und nur kurzen Verhandlungen, wären auch aus Sicht des SPD-Politikers per Video effektiver abzuhalten: „Das würde nicht nur die Parteien und Anwälte, sondern auch die Justiz und ihre Beschäftigen entlasten und während der Pandemie das Infektionsrisiko deutlich reduzieren.“Es genüge aber nicht nur eine Videotechnik pro Gericht, sondern deren Anzahl solle sich an der Anzahl der Gerichtssäle orientieren. Ausreichend finanzielle Mittel seien im Justizetat vorhanden.
Leitartikel