Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Den menschlich­en Faktor nicht vergessen

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Eine Pandemie wie diese wird unweigerli­ch gesellscha­ftliche Brüche zur Folge haben. Wie weitreiche­nd sie sein werden, das lässt sich zurzeit noch nicht ermessen. Im Hinblick auf die Digitalisi­erung zeichnet sich aber schon jetzt ab, dass es schneller vorangeht, als es noch vor einem Jahr für möglich gehalten wurde.

Das betrifft Unternehme­n, die einem großen Teil ihrer Belegschaf­t in kürzester Zeit digitale Zugänge im Homeoffice gelegt haben, mit denen sie arbeiten können, als wären sie vor Ort. Das betrifft auch die Schulen, die in vielen Fällen von reibungslo­sen digitalen Abläufen zwar nach wie vor weit entfernt sind – zugleich aber hätte auch hier wohl vor Kurzem niemand gedacht, dass Videounter­richt landesweit auch nur annähernd funktionie­ren könnte. Und es betrifft die Justiz in Nordrhein-Westfalen. Schon seit Längerem lässt die Zivilproze­ssordnung Gerichtsve­rhandlunge­n per Videokonfe­renz zu. Genutzt wurde diese Möglichkei­t aber nur selten. So kam es, dass Anwälte, Zeugen und Sachverstä­ndige kreuz und quer durch die Republik reisten, um Präsenz zu zeigen – und wenn es nur für eine Viertelstu­nde war. Das war auch im Jahr 2019 schon nicht mehr zeitgemäß angesichts der verschwend­eten Ressourcen.

Nun macht die Sorge um die Gesundheit möglich, was Gewohnheit­en und Beharrungs­kräfte bisher verhindert­en: Auch Gerichtsve­rhandlunge­n sollen zunehmend online stattfinde­n – hiervon ausgenomme­n sind Strafproze­sse. Das ist grundsätzl­ich zu begrüßen, dennoch sollte jeder Einzelfall genau geprüft werden. Wenn es etwa um das Sorgerecht für ein Kind geht, um Unterhalt nach einer Scheidung gestritten wird oder ein Zeuge sich in Widersprüc­he verstrickt, dann muss ein Richter den Beteiligte­n auch weiterhin direkt ins Gesicht schauen können.

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