Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Den menschlichen Faktor nicht vergessen
Eine Pandemie wie diese wird unweigerlich gesellschaftliche Brüche zur Folge haben. Wie weitreichend sie sein werden, das lässt sich zurzeit noch nicht ermessen. Im Hinblick auf die Digitalisierung zeichnet sich aber schon jetzt ab, dass es schneller vorangeht, als es noch vor einem Jahr für möglich gehalten wurde.
Das betrifft Unternehmen, die einem großen Teil ihrer Belegschaft in kürzester Zeit digitale Zugänge im Homeoffice gelegt haben, mit denen sie arbeiten können, als wären sie vor Ort. Das betrifft auch die Schulen, die in vielen Fällen von reibungslosen digitalen Abläufen zwar nach wie vor weit entfernt sind – zugleich aber hätte auch hier wohl vor Kurzem niemand gedacht, dass Videounterricht landesweit auch nur annähernd funktionieren könnte. Und es betrifft die Justiz in Nordrhein-Westfalen. Schon seit Längerem lässt die Zivilprozessordnung Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz zu. Genutzt wurde diese Möglichkeit aber nur selten. So kam es, dass Anwälte, Zeugen und Sachverständige kreuz und quer durch die Republik reisten, um Präsenz zu zeigen – und wenn es nur für eine Viertelstunde war. Das war auch im Jahr 2019 schon nicht mehr zeitgemäß angesichts der verschwendeten Ressourcen.
Nun macht die Sorge um die Gesundheit möglich, was Gewohnheiten und Beharrungskräfte bisher verhinderten: Auch Gerichtsverhandlungen sollen zunehmend online stattfinden – hiervon ausgenommen sind Strafprozesse. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, dennoch sollte jeder Einzelfall genau geprüft werden. Wenn es etwa um das Sorgerecht für ein Kind geht, um Unterhalt nach einer Scheidung gestritten wird oder ein Zeuge sich in Widersprüche verstrickt, dann muss ein Richter den Beteiligten auch weiterhin direkt ins Gesicht schauen können.
BERICHT
PROZESSE PER VIDEO IN JEDEM GERICHT, TITELSEITE