Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Der Iran pokert hoch
Im Streit um das Nuklearprogramm des Mullah-Regimes gibt es eine vorläufige Einigung – aber das Atomabkommen ist damit noch nicht gerettet. In Teheran ringen Hardliner und Gemäßigte um die Vormacht.
Es ist ein Kompromiss, der der Diplomatie drei Monate Zeit für einen Neuanfang lässt – doch ein Erfolg ist keineswegs sicher: die vorläufige Einigung im Streit um die Arbeit der Atominspekteure im Iran, der die Beziehungen des Landes zum Westen belastet. Der Chef der internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, hatte sich am Wochenende mit der iranischen Führung darauf geeinigt, dass die Atomkontrolleure im Iran bleiben können, wenn sie auch vorerst keinen ungehinderten Zugang zu den iranischen Atomanlagen mehr haben. Doch mit einem raschen Durchbruch ist nicht zu rechnen. Nur einen Tag nach Grossis Besuch ist in Teheran bereits ein heftiger Streit zwischen Hardlinern im iranischen Parlament und der Regierung um die Einigung ausgebrochen.
Der Streit um die Inspekteure könnte Bemühungen um eine Wiederannäherung zwischen dem Iran und den USA torpedieren. Präsident Joe Biden ist grundsätzlich bereit, die USA ins Atomabkommen von 2015 zurückzuführen, nachdem die USA den Vertrag unter Donald Trump verlassen hatten. Der Iran verspricht sich davon ein Ende der von Trump erlassenen Wirtschaftssanktionen, doch Biden besteht darauf, dass Teheran vor einem Sanktionsabbau alle Regeln des Vertrags wieder einhält. Die freie Arbeit der IAEA-Inspekteure gehört dazu. Der Iran prüft derzeit die Einladung der Europäischen Union zu informellen Gesprächen über das Atomabkommen, an denen auch die Vereinigten Staaten teilnehmen wollen. Deshalb war die Einigung im Streit über die Inspekteure wichtig.
Psychologisch sieht sich der Iran im Vorteil, weil es schließlich die USA waren, die den Vertrag gekündigt haben. Der Iran dagegen sei vertragstreu geblieben, sagt Teheran. Als Reaktion auf Trumps Ausstieg hatten Regierung und Parlament im Iran mit einem Programm gezielter Vertragsverstöße begonnen.
Grossi war nach Teheran gereist, weil von diesem Dienstag an die Arbeit der IAEA-Inspekteure im Iran stark eingeschränkt werden soll. Das von Hardlinern beherrschte Parlament des Iran hatte im vergangenen Jahr per Gesetz beschlossen, dass die Kontrolleure ab diesem Tag nicht mehr frei arbeiten dürfen, wenn die US-Sanktionen nicht vorher abgeschafft werden.
In Teheran einigte sich Grossi mit der iranischen Regierung auf einen Kompromiss, der einerseits die Arbeit der Kontrolleure garantieren und andererseits den Vorgaben des Parlaments genügen soll. Die Lösung sichere die „notwendige Verifikation und Überwachung“durch die Inspekteure, teilte der IAEAChef mit. Allerdings gebe es ab Dienstag auch „weniger Zugang“für die Experten, räumte er ein. Drei Monate lang soll die IAEA keinen Zugriff auf bestimmte Unterlagen und Informationen erhalten. Nach Angaben des iranischen Außenministers Dschawad Sarif sollen der Behörde die Aufnahmen von Überwachungskameras in iranischen Atomanlagen vorenthalten werden. Wenn die US-Sanktionen in diesen drei Monaten aufgehoben werden, erhält die IAEA das Material nachträglich. Sonst werden alle Daten gelöscht.
Für die iranischen Verfechter eines harten Kurses gegenüber dem Westen reicht das nicht. Mit der Einigung sei das Parlament übergangen worden, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der Volksvertretung, Mojtaba Sonnur, nach Angaben der Nachrichtenagentur Ilna. Auch andere Parlamentarier zeigten sich verärgert.
Das iranische Parlament hat in der Außenpolitik normalerweise nicht viel zu sagen. Allerdings verschärft der beginnende Wahlkampf vor der Präsidentschaftswahl im Juni die Auseinandersetzung zwischen den Hardlinern und der pragmatisch eingestellten Regierung von Präsident Hassan Ruhani. Revolutionsführer Ali Chamenei, der in allen Staatsangelegenheiten das letzte Wort hat, äußerte sich nicht. Chamenei zählt zu den Hardlinern, hatte das Atomabkommen aber akzeptiert, weil er sich Vorteile für die iranische Wirtschaft versprach. Denn die wirtschaftliche Not im Land ist groß: Jeder zweite Iraner hängt von staatlichen Hilfszahlungen ab. Ohne Abbau der Sanktionen kann es keine Wende geben.
Wie flexibel Chamenei trotz aller antiwestlichen Rhetorik sein kann, zeigen auch neue indirekte Kontakte zwischen der iranischen Regierung und den USA – die ebenfalls ohne sein Einverständnis undenkbar wären. Nach Angaben von Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan geht es um das Schicksal amerikanischer Staatsbürger in iranischer Haft. Die iranische Regierung verwies auf die Schweizer Botschaft in Teheran. Die Schweiz vertritt im Iran amerikanische Interessen, weil die USA seit der islamischen Revolution von 1979 keine diplomatischen Vertretungen mehr in der Islamischen Republik unterhalten. Schweizer Diplomaten hatten auch unter der Trump-Regierung in den vergangenen Jahren beim Austausch von Gefangenen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran geholfen.
Das Risiko der iranischen Strategie liegt darin, dass Teheran den Bogen überspannen und das Atomabkommen ungewollt zum Scheitern bringen könnte. Ähnlich wie am Vorabend des Atomdeals vor sechs Jahren habe der Iran mit dem Ultimatum für die Arbeit der Inspekteure versucht, Druck aufzubauen, sagt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte an der Freien Universität Berlin. Das solle „die Verhandlungsmasse erhöhen und Alarmismus im Westen auslösen“. Er sprach mit Blick auf ähnliche Situationen in der Vergangenheit von einem „Déjà-vu“.
Wie flexibel selbst Hardliner wie Chamenei sein können, zeigen die indirekten Kontakte zu den USA