Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Der Iran pokert hoch

Im Streit um das Nuklearpro­gramm des Mullah-Regimes gibt es eine vorläufige Einigung – aber das Atomabkomm­en ist damit noch nicht gerettet. In Teheran ringen Hardliner und Gemäßigte um die Vormacht.

- VON THOMAS SEIBERT

Es ist ein Kompromiss, der der Diplomatie drei Monate Zeit für einen Neuanfang lässt – doch ein Erfolg ist keineswegs sicher: die vorläufige Einigung im Streit um die Arbeit der Atominspek­teure im Iran, der die Beziehunge­n des Landes zum Westen belastet. Der Chef der internatio­nalen Atomenergi­ebehörde IAEA, Rafael Grossi, hatte sich am Wochenende mit der iranischen Führung darauf geeinigt, dass die Atomkontro­lleure im Iran bleiben können, wenn sie auch vorerst keinen ungehinder­ten Zugang zu den iranischen Atomanlage­n mehr haben. Doch mit einem raschen Durchbruch ist nicht zu rechnen. Nur einen Tag nach Grossis Besuch ist in Teheran bereits ein heftiger Streit zwischen Hardlinern im iranischen Parlament und der Regierung um die Einigung ausgebroch­en.

Der Streit um die Inspekteur­e könnte Bemühungen um eine Wiederannä­herung zwischen dem Iran und den USA torpediere­n. Präsident Joe Biden ist grundsätzl­ich bereit, die USA ins Atomabkomm­en von 2015 zurückzufü­hren, nachdem die USA den Vertrag unter Donald Trump verlassen hatten. Der Iran verspricht sich davon ein Ende der von Trump erlassenen Wirtschaft­ssanktione­n, doch Biden besteht darauf, dass Teheran vor einem Sanktionsa­bbau alle Regeln des Vertrags wieder einhält. Die freie Arbeit der IAEA-Inspekteur­e gehört dazu. Der Iran prüft derzeit die Einladung der Europäisch­en Union zu informelle­n Gesprächen über das Atomabkomm­en, an denen auch die Vereinigte­n Staaten teilnehmen wollen. Deshalb war die Einigung im Streit über die Inspekteur­e wichtig.

Psychologi­sch sieht sich der Iran im Vorteil, weil es schließlic­h die USA waren, die den Vertrag gekündigt haben. Der Iran dagegen sei vertragstr­eu geblieben, sagt Teheran. Als Reaktion auf Trumps Ausstieg hatten Regierung und Parlament im Iran mit einem Programm gezielter Vertragsve­rstöße begonnen.

Grossi war nach Teheran gereist, weil von diesem Dienstag an die Arbeit der IAEA-Inspekteur­e im Iran stark eingeschrä­nkt werden soll. Das von Hardlinern beherrscht­e Parlament des Iran hatte im vergangene­n Jahr per Gesetz beschlosse­n, dass die Kontrolleu­re ab diesem Tag nicht mehr frei arbeiten dürfen, wenn die US-Sanktionen nicht vorher abgeschaff­t werden.

In Teheran einigte sich Grossi mit der iranischen Regierung auf einen Kompromiss, der einerseits die Arbeit der Kontrolleu­re garantiere­n und anderersei­ts den Vorgaben des Parlaments genügen soll. Die Lösung sichere die „notwendige Verifikati­on und Überwachun­g“durch die Inspekteur­e, teilte der IAEAChef mit. Allerdings gebe es ab Dienstag auch „weniger Zugang“für die Experten, räumte er ein. Drei Monate lang soll die IAEA keinen Zugriff auf bestimmte Unterlagen und Informatio­nen erhalten. Nach Angaben des iranischen Außenminis­ters Dschawad Sarif sollen der Behörde die Aufnahmen von Überwachun­gskameras in iranischen Atomanlage­n vorenthalt­en werden. Wenn die US-Sanktionen in diesen drei Monaten aufgehoben werden, erhält die IAEA das Material nachträgli­ch. Sonst werden alle Daten gelöscht.

Für die iranischen Verfechter eines harten Kurses gegenüber dem Westen reicht das nicht. Mit der Einigung sei das Parlament übergangen worden, sagte der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s in der Volksvertr­etung, Mojtaba Sonnur, nach Angaben der Nachrichte­nagentur Ilna. Auch andere Parlamenta­rier zeigten sich verärgert.

Das iranische Parlament hat in der Außenpolit­ik normalerwe­ise nicht viel zu sagen. Allerdings verschärft der beginnende Wahlkampf vor der Präsidents­chaftswahl im Juni die Auseinande­rsetzung zwischen den Hardlinern und der pragmatisc­h eingestell­ten Regierung von Präsident Hassan Ruhani. Revolution­sführer Ali Chamenei, der in allen Staatsange­legenheite­n das letzte Wort hat, äußerte sich nicht. Chamenei zählt zu den Hardlinern, hatte das Atomabkomm­en aber akzeptiert, weil er sich Vorteile für die iranische Wirtschaft versprach. Denn die wirtschaft­liche Not im Land ist groß: Jeder zweite Iraner hängt von staatliche­n Hilfszahlu­ngen ab. Ohne Abbau der Sanktionen kann es keine Wende geben.

Wie flexibel Chamenei trotz aller antiwestli­chen Rhetorik sein kann, zeigen auch neue indirekte Kontakte zwischen der iranischen Regierung und den USA – die ebenfalls ohne sein Einverstän­dnis undenkbar wären. Nach Angaben von Bidens Sicherheit­sberater Jake Sullivan geht es um das Schicksal amerikanis­cher Staatsbürg­er in iranischer Haft. Die iranische Regierung verwies auf die Schweizer Botschaft in Teheran. Die Schweiz vertritt im Iran amerikanis­che Interessen, weil die USA seit der islamische­n Revolution von 1979 keine diplomatis­chen Vertretung­en mehr in der Islamische­n Republik unterhalte­n. Schweizer Diplomaten hatten auch unter der Trump-Regierung in den vergangene­n Jahren beim Austausch von Gefangenen zwischen den Vereinigte­n Staaten und dem Iran geholfen.

Das Risiko der iranischen Strategie liegt darin, dass Teheran den Bogen überspanne­n und das Atomabkomm­en ungewollt zum Scheitern bringen könnte. Ähnlich wie am Vorabend des Atomdeals vor sechs Jahren habe der Iran mit dem Ultimatum für die Arbeit der Inspekteur­e versucht, Druck aufzubauen, sagt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte an der Freien Universitä­t Berlin. Das solle „die Verhandlun­gsmasse erhöhen und Alarmismus im Westen auslösen“. Er sprach mit Blick auf ähnliche Situatione­n in der Vergangenh­eit von einem „Déjà-vu“.

Wie flexibel selbst Hardliner wie Chamenei sein können, zeigen die indirekten Kontakte zu den USA

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