Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Bürokratie gegen Impfziel
Wenn Ampullen übrig sind, darf man nicht auf Beschlüsse der Minister warten.
Inzidenzzahlen, R-Wert, Divi-Register: Aus den Deutschen ist ein Volk geworden, das allmorgendlich auf Daten und Zahlen blickt. Die öffentliche Laune verläuft dabei oft parallel zur eigenen. Geben die Zahlen Anlass zu Hoffnung, steigt das persönliche und allgemeine Wohlbefinden – und umgekehrt. Dabei setzt sich in diesen Wochen die Erkenntnis durch, dass eigentlich nur ein Wert die Chance in sich trägt, diese Corona-Pandemie wirklich zu beenden: die Zahl der Impfungen. Das ist die entscheidende Zahl; die Bilder und Nachrichten aus Israel vom Wochenende belegen das.
Doch in Deutschland hat die fatale Diskussion eingesetzt, ob sich der Impfstoff von Astrazeneca überhaupt eigne zur Corona-Bekämpfung.
Gleichzeitig wird dabei auf die Briten verwiesen, die ein großes Impftempo vorlegen – mit dem Astrazeneca-Vakzin, wohlgemerkt. In Deutschland aber bleibt der Impfstoff mancherorts liegen. Nicht flächendeckend. Im brandenburgischen Kyritz zum Beispiel blieb das Impfzentrum in der vergangenen Wochen in Teilen leer. Viele Impfkandidaten hatten ihre Immunisierung mit dem ungeliebten Impfstoff abgesagt.
Der dortige Landrat entschloss sich daraufhin kurzfristig, bei weiteren Personengruppen, etwa Lehrern, nachzufassen. Die Landesgesundheitsministerin stoppte ihn. Denn erst heute beraten die Gesundheitsminister von Bund und Ländern über die Impfreihenfolge und die Frage, wann Lehrer dran sind.
Was soll das? Jeder, der in Deutschland geimpft wird, ist ein Gewinn für die Gesellschaft, die sich nach ihrem gewohnten Alltag sehnt. Man hat sich auf eine Impfreihenfolge geeinigt, die diejenigen schützt, die am meisten gefährdet sind. Moralisch ist das richtig. Aber sollte man, wenn Impfstoff übrig bleibt, ihn dann nicht unbürokratisch freigeben für die, die wollen? Das gebietet doch die Vernunft. Oder sollen die Länder auf ihren Ampullen sitzenbleiben?
Die deutsche Bürokratie sorgt oftmals für Gerechtigkeit – in diesem Fall ist es für alle ein Gewinn, wenn man sie kurzfristig mal außer Kraft setzt.
Unsere Autorin ist Leiterin des Berliner Parlamentsbüros. Sie wechselt sich hier mit Jan Drebes und Elisabeth Niejahr ab.