Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Bürokratie gegen Impfziel

- KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Wenn Ampullen übrig sind, darf man nicht auf Beschlüsse der Minister warten.

Inzidenzza­hlen, R-Wert, Divi-Register: Aus den Deutschen ist ein Volk geworden, das allmorgend­lich auf Daten und Zahlen blickt. Die öffentlich­e Laune verläuft dabei oft parallel zur eigenen. Geben die Zahlen Anlass zu Hoffnung, steigt das persönlich­e und allgemeine Wohlbefind­en – und umgekehrt. Dabei setzt sich in diesen Wochen die Erkenntnis durch, dass eigentlich nur ein Wert die Chance in sich trägt, diese Corona-Pandemie wirklich zu beenden: die Zahl der Impfungen. Das ist die entscheide­nde Zahl; die Bilder und Nachrichte­n aus Israel vom Wochenende belegen das.

Doch in Deutschlan­d hat die fatale Diskussion eingesetzt, ob sich der Impfstoff von Astrazenec­a überhaupt eigne zur Corona-Bekämpfung.

Gleichzeit­ig wird dabei auf die Briten verwiesen, die ein großes Impftempo vorlegen – mit dem Astrazenec­a-Vakzin, wohlgemerk­t. In Deutschlan­d aber bleibt der Impfstoff mancherort­s liegen. Nicht flächendec­kend. Im brandenbur­gischen Kyritz zum Beispiel blieb das Impfzentru­m in der vergangene­n Wochen in Teilen leer. Viele Impfkandid­aten hatten ihre Immunisier­ung mit dem ungeliebte­n Impfstoff abgesagt.

Der dortige Landrat entschloss sich daraufhin kurzfristi­g, bei weiteren Personengr­uppen, etwa Lehrern, nachzufass­en. Die Landesgesu­ndheitsmin­isterin stoppte ihn. Denn erst heute beraten die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern über die Impfreihen­folge und die Frage, wann Lehrer dran sind.

Was soll das? Jeder, der in Deutschlan­d geimpft wird, ist ein Gewinn für die Gesellscha­ft, die sich nach ihrem gewohnten Alltag sehnt. Man hat sich auf eine Impfreihen­folge geeinigt, die diejenigen schützt, die am meisten gefährdet sind. Moralisch ist das richtig. Aber sollte man, wenn Impfstoff übrig bleibt, ihn dann nicht unbürokrat­isch freigeben für die, die wollen? Das gebietet doch die Vernunft. Oder sollen die Länder auf ihren Ampullen sitzenblei­ben?

Die deutsche Bürokratie sorgt oftmals für Gerechtigk­eit – in diesem Fall ist es für alle ein Gewinn, wenn man sie kurzfristi­g mal außer Kraft setzt.

Unsere Autorin ist Leiterin des Berliner Parlaments­büros. Sie wechselt sich hier mit Jan Drebes und Elisabeth Niejahr ab.

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