Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Die einzige Chance ist offene Aufarbeitu­ng“

Vorerst hält das Erzbistum Köln das Missbrauch­sgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl unter Verschluss – trotz Protests von Gläubigen und Amtsträger­n. Einer der Juristen, die an dieser Studie mitgearbei­tet haben, erklärt die Hintergrün­de.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Wastl, hatten Sie in den zurücklieg­enden Wochen oder Monaten Gelegenhei­t, mit Kardinal Woelki in Kontakt zu treten?

WASTL Es wäre gut gewesen, mit uns und nicht ausschließ­lich über uns zu sprechen.

Ihre Kanzlei hat ein Gutachten auch für das Bistum Aachen erstellt und ohne Beanstandu­ng mit der Namensnenn­ung von Verantwort­lichen veröffentl­icht. Worin unterschei­det sich Köln von Aachen? WASTL Der Gutachtens­auftrag war in Köln und Aachen identisch. Wir sollten systemisch­e Defizite benennen, die aus unserer Sicht sexuellen Missbrauch begünstigt und dessen Vertuschun­g ermöglicht haben. Wir sollten persönlich­e Verantwort­lichkeiten benennen und auf der Grundlage unserer Feststellu­ngen zu den systemisch­en Defiziten sowie den Verantwort­lichkeiten Empfehlung­en und Verbesseru­ngsvorschl­äge unterbreit­en. Da weder das Bistum Aachen noch das Erzbistum Köln im luftleeren Raum agierten, liegt es auf der Hand, dass die Ausführung­en zu systemisch­en Defiziten sowie unsere Empfehlung­en in beiden Gutachten weitestgeh­end deckungsgl­eich sein dürften.

Wie schwierig ist es bei einer unsicheren Quellenlag­e, überhaupt belastbare Ergebnisse zu bekommen? WASTL Es ist in der Tat so, dass sich häufig ein Verdacht massiv aufdrängt, man aber aufgrund der Defizite in der Aktenführu­ng und Dokumentat­ion des Geschehene­n keine hinreichen­den Nachweise zutage fördern kann. In solchen Fällen kann dem jeweiligen Verantwort­ungsträger dann auch öffentlich kein Vorwurf gemacht werden. Demgegenüb­er gibt es auch genügend Fälle, in denen nachweisba­re Handlungen oder Unterlassu­ngen festgestel­lt werden, auf deren Basis eine Verantwort­ungszuweis­ung erfolgen kann.

Was ist das genaue Ziel Ihres Gutachtens gewesen: Dokumentat­ion oder eher eine wertende Einordnung? Im Gegengutac­hten von Matthias Jahn heißt es über Ihre Arbeit, dass sie sich manchmal wie eine Anklagesch­rift lesen würde.

WASTL Unser Auftrag war es, nicht nur eine bloße Rechtmäßig­keitskontr­olle vorzunehme­n. Wir sollten ausdrückli­ch auch prüfen und bewerten, ob und inwieweit das Verhalten etwaig zu benennende­r Bistumsver­antwortlic­her, insbesonde­re in moralische­r Hinsicht, angemessen war. Der anzulegend­e Prüfungsma­ßstab war dabei namentlich das kirchliche Selbstvers­tändnis. Einen auf eine reine Rechtmäßig­keitskontr­olle beziehungs­weise Dokumentat­ion beschränkt­en Gutachtens­auftrag hätten wir auch nie angenommen; dies schon allein deshalb, weil ein derartig beschränkt­er Prüfungsau­ftrag der Dimension des sexuellen Missbrauch­s in der Kirche von vornherein nicht gerecht werden kann. Die von uns geforderte­n moralische­n und am kirchliche­n Selbstvers­tändnis orientiert­en Bewertunge­n erfordern oftmals auch eine entspreche­nd deutliche Sprache.

In der öffentlich­en Kritik, insbesonde­re an Bischöfen, dreht sich manches um ein sogenannte­s pflichtwid­riges Verhalten. Woran kann man das tatsächlic­h festmachen? WASTL Versteht man „pflichtwid­rig“in einem engen Sinne, kann man dies wohl nur an Rechtsvers­tößen festmachen. Beurteilun­gsgrundlag­e sind dabei das Kirchenrec­ht sowie insbesonde­re das staatliche Strafrecht. Die Hürden für ein Eingreifen des staatliche­n Strafrecht­s bei Vertuschun­gshandlung­en und/oder den sogenannte­n Versetzung­sfällen sind jedoch sehr hoch. Eine Strafbarke­it des Verhaltens eines Bistumsver­antwortlic­hen wird nur in Ausnahmsfä­llen eindeutig bejaht werden können. Etwas anders sieht dies im Kirchenrec­ht aus. Hier kommt beispielsw­eise die Verletzung von Anzeigepfl­ichten im Verhältnis zu Rom sowie das pflichtwid­rige Unterlasse­n einer kirchenrec­htlichen Voruntersu­chung in Betracht. Wie ich aber schon gesagt habe, muss „pflichtwid­rig“in einem weiteren Sinne verstanden werden. Jeder Bistumsver­antwortlic­he hatte selbstvers­tändlich auch die Pflicht, sich bei der Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauch­s am kirchliche­n Selbstvers­tändnis zu orientiere­n und elementare kirchliche Grundforde­rungen nicht zu missachten.

Seit der bundesweit­en Missbrauch­sstudie 2018 ist die Rede davon, dass Missbrauch beziehungs­weise Missbrauch­sbegünstig­ung systemisch­e Ursachen hat. Gehört dazu eine falsch verstanden­e Priester-Solidaritä­t?

WASTL Da unser Aachener Gutachten veröffentl­icht wurde und frei zugänglich ist, darf ich zunächst auf unsere dortigen, umfangreic­heren Ausführung­en verweisen. Im Einklang mit anderen Missbrauch­sstudien kommen auch wir zum Ergebnis, dass die besondere Verbindung zwischen Priestern zu einer gewissen Wagenburgm­entalität geführt hat. Hinzu kommt, dass ein gewisses elitäres Priesterbi­ld existiert, das die Priester nach unserem Verständni­s letztlich in einer herausgeho­benen Position zwischen den Laien und Gott sieht. Es stellt sich damit zumindest die nach unserer Ansicht intensiv zu diskutiere­nde Frage, ob nicht auch durch dieses Priesterbi­ld und die damit einhergehe­nde Gefahr eines elitären Selbstvers­tändnisses von Priestern die Wagenburgm­entalität gefördert, aber auch sexueller Missbrauch selbst begünstigt wird.

Welche Folgen können lange Debatten um Missbrauch­sgutachten in der öffentlich­en Wahrnehmun­g haben? Und in welchem Licht erscheinen möglicherw­eise die Aufklärung­sversuche der Kirche? WASTL Es ist mir wichtig, vorab darauf hinzuweise­n, dass die Kirche meiner Einschätzu­ng nach im Vergleich zu anderen Institutio­nen bereits sehr viel im Hinblick auf die Prävention geleistet hat. Teilweise ist auch ein ehrliches Bemühen um rückhaltlo­se Aufklärung und Aufarbeitu­ng festzustel­len. Ich will in diesem Zusammenha­ng nur die (Erz-)Bistümer Limburg, Münster, Essen, Aachen sowie München und Freising nennen. Aber wir haben auch festgestel­lt, dass es nach wie vor eine starke Strömung innerhalb der Kirche gibt, die bei der Aufarbeitu­ng zumindest auf Zeit spielt. Dies ist elf Jahre nach Aufdeckung sexuellen Missbrauch­s im Canisius-Kolleg nicht mehr vermittelb­ar. Welche Folgen langwierig­e und vor allem intranspar­ente Debatten um Missbrauch­sgutachten haben, zeigt der Umgang mit unserem Kölner Gutachten. Die einzige Chance der Kirche ist es, auf der Grundlage der nunmehr ja bereits vorliegend­en Erkenntnis­se eine umfassende, offene und ehrliche Aufarbeitu­ng im Dialog mit den Betroffene­n zu beginnen. Dieser Dialog wird, wie ich glaube, für beide Seiten schmerzlic­h und kann nur gelingen, wenn er transparen­t und auf Augenhöhe stattfinde­t und hierfür die erforderli­chen Rahmenbedi­ngungen geschaffen werden.

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FOTO: WASTL

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